Griechische Demokratie marktkonform versenkt


Eine Delegation griechischer Gewerkschaftler und sozialer Aktivisten auf Deutschlandbesuch berichtet nicht nur von den verheerenden Folgen der Krise, sondern auch von solidarischen Gegenstrategien

Die europäische Krise wird am 1. Mai auf den unterschiedlichen Demonstrationen an zentraler Stelle präsent sein. Eine Delegation griechischen Gewerkschaftler und Aktivisten sozialer Initiativen wird in Berlin sowohl auf der Demonstration des DGB am Vormittag als auch um 18 Uhr an der „Revolutionären 1. Mai-Demonstration“ teilnehmen. Dort wollen sie an der Spitze gehen. „Ein zentraler Punkt soll dort der Protest gegen die EU-Troika sein. Wir kommen aus einem Land, in dem gerade von dieser Troika die Demokratie marktkonform versenkt wird“, begründeten die Delegationsmitglieder ihr Engagement.

Auf einer Pressekonferenz im Berliner verdi-Haus haben sie noch einmal berichtet, wie die Krise in sämtliche Lebensbereiche eingreift. Krebspatienten sterben früher, weil sie sich die teure Chemotherapie nicht leisten können, Kinder werden in der Schule vor Hunger ohnmächtig, viele Menschen ziehen von der Stadt auf das Land, weil es dort eher die Chance gibt, etwas Essbares zu finden.

Hilfe und politische Veränderung

Doch die Delegation berichtete nicht nur über die verheerenden Auswirkungen der von Deutschland geförderten Austeritätspolitik, sondern auch über ein Netzwerk sozialer Initiativen, die unmittelbare Hilfe mit der Notwendigkeit einer grundlegenden politischen Veränderung verknüpft. Das Netzwerk Solidarität für Alle ist innerhalb von wenigen Monaten auf 250 Initiativen angewachsen. Gesundheitsinitiativen gehören ebenso dazu wie Lebensmittelläden ohne Zwischenhändler und Tauschmärkte. Auch im Bildungs- und Kulturbereich haben sich solche sozialen Initiativen gegründet.

Christos Giovanopoulos von Solidarität für Alle betont, dass dieser Name für das Netzwerk Programm ist. Die sozialen Leistungen werden ohne Ausnahme allen in Griechenland lebenden Menschen gewährt. Damit setzen die Initiativen einen Kontrapunkt gegen die Propaganda der griechischen Rechten wie der Nazipartei Goldene Morgenröte, die in der Krise mit Rassismus und Ausgrenzung reagieren und die Migranten zu Sündenböcken erklären. Giovanopoulos sieht das Anwachsen der extremen Rechten als Seismograph einer Gesellschaft, die durch die Krise zerrüttet wurde.

Das Prinzip der Selbstorganisation ist ein Bruch mit der Stellvertreterpolitik, wie sie in großen Teilen der griechischen Linken vorherrschend war. Giovanopoulos verortet die Entstehungsphase der sozialen Initiativen in den massenhaften Platzbesetzungen der Empörten im Jahr 2012. Nachdem die mit großer staatlicher Repression zerschlagen worden waren, zogen sie sich in die Stadtteile zurück und wurden zu den Initiatoren zahlreicher sozialer Bewegungen. Das Prinzip der Vollversammlung und der demokratischen Entscheidungsfindung wurde auf den Plätzen der großen griechischen Städte zuerst ausprobiert.

Erste selbstverwaltete Fabrik in Griechenland

Auch vor der Produktionssphäre macht die Idee der Selbstverwaltung nicht halt. Makis Anagnostou ist Vorsitzender der Betriebsgewerkschaft der Firma Viomichaniki Metaleftiki in der griechischen Stadt Thessaloniki. Er erklärte stolz, dass er die erste selbstverwaltete Fabrik Griechenlands vorstellt. Viomichaniki Metaleftiki gehörte zum ehemaligen Mutterbetrieb Filkeram Johnson. Hier wurden Kacheln, Bodenbeläge, speziell beschichtete Dämmplatten für Wärmeisolierung an Gebäuden hergestellt. Die Belegschaft wollte sich aber nicht mit der Arbeitslosigkeit abfinden.

Seit Februar 2013 hat sie die Produktion in Eigenregie aufgenommen Anagnostou will mit seinem Besuch in Deutschland Kontakte zur Solidaritätsbewegung knüpfen. Schließlich stehen alle Initiativen, die sich um einen sozialen Ausweg aus der Krise bemühen, unter Druck der griechischen Regierung. Im Windschatten der Krise wurden in den letzten Monaten massiv oppositionelle Strukturen bekämpft. Mehrere lange Jahre besetzte Zentren wurden geräumt, zweimal wurden Streiks per Regierungsentscheidung beendet, indem die Beschäftigten zwangsverpflichtet wurden und kürzlich wurde die linke Internetplattform Indymedia Griechenland abgeschaltet, die aber weiterhin in einer Notversion erreichbar ist.
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Peter Nowak