Immer noch zu deutsch

Ein Jahr nach Entstehung der Bewegung der »Empörten« ist diese noch immer kein gesamteuropäisches Phänomen. Auch im Rahmen der »Blockupy«-Proteste in Frankfurt standen eher die Verbotsverfügungen der Behörden als die europäische Krisenpolitik im Vordergrund.

Nachdem am vergangenen Wochenende in vielen europäischen Städten die Entstehung der Bewegung der Indignados vor einem Jahr mit Demonstrationen gefeiert worden ist, wird in dieser Woche Frankfurt zum Zentrum der Proteste gegen die europäische Krisenpolitik. Das ist zumindest der Wunsch einer großen Anzahl von Gruppen, die seit Monaten unter dem Sammelbegriff »Blockupy« zu Aktionstagen vom 16. bis zum 19. Mai aufrufen. In den vergangenen Wochen bekam die Protestbewegung neuen Schwung. Allerdings war dies weniger auf die jüngsten politischen Entwicklungen in Europa, insbesondere die griechischen Wahlen, zurückzuführen. In Griechenland gibt es gegenwärtig keine parlamentarische Mehrheit mehr für die Weiterführung des von der EU vorgeschriebenen Spardiktats. Die Volksabstimmung über den Sparplan, die der ehemalige sozialdemokratische Ministerpräsident Georgios Papan­dreou nach starkem Druck aus Brüssel und Deutschland wieder zurückziehen musste, hat so in Form von Parlamentswahlen doch noch stattgefunden. Plötzlich sind ganz neue Töne aus Griechenland zu hören, wenn einer der Wahlsieger, der Vorsitzende der zweitstärksten Partei Syriza (Linksallianz) in einem Brief an die EU-Verantwortlichen die Zeit der Spardiktate für beendet erklärt. Die Tageszeitung Der Standard aus Wien hat den Wahlausgang in Athen in einem Kommentar zu einer »griechischen Revolution« stilisiert, die den Kritikern des Kapitalismus Auftrieb gebe.

Obwohl die Proteste in Frankfurt sich genau gegen die EU-Politik richten, die in Griechenland exemplarisch exekutiert werden soll, wurden die Wahlergebnisse im Rahmen der Protestaktionen kaum diskutiert. Schließlich nennt sich eine der wichtigsten Gruppen im Protestbündnis »No Troika«, und bezieht sich so unmittelbar auf die Gruppe der EU-Abgesandten, die die Sparmaßnahmen diktiert hat und für die Umsetzung sorgen soll. Popularität verschafft wurde den »Blockupy«-Protesten dennoch eher von den deutschen Ordnungsbehörden. Die haben in der vorigen Woche sämtliche angemeldeten Aktionen verboten. Dazu gehören das Aufstellen von Zelten in der Innenstadt von Frankfurt, eine Rave-Party sowie eine Mahnwache von kapitalismuskritischen Ordensleuten.

Mittlerweile haben die Ordnungsbehörden gar wieder einen von Juristen heftig gerügten Ladenhüter aus der Hochzeit der globalisierungskritischen Proteste aus der Schublade geholt. So verschickte die Polizei an politische Aktivisten Verfügungen, sich während der Protesttage nicht in der Frankfurter City aufzuhalten. Die Verbotspolitik wird flankiert von Versuchen, das Bündnis »M31« zu kriminalisieren, das am 31. März eine Demonstration an der Baustelle der EZB am Rande der Frankfurter Innenstadt organisiert hatte. Diese war aufgelöst worden, nachdem es zu auch innerhalb des Bündnisses umstrittenen Steinwürfen gekommen war. Viele der Demonstrierenden wurden stundenlang eingekesselt. Nach diesen Vorfällen wurde das »M31«-Bündnis vom Frankfurter CDU-Ordnungsdezernenten Markus Franz zu einer »gewaltbereiten Gruppierung« erklärt.

Die Verbotsversuche in Frankfurt liegen ohnehin im europäischen Trend. Die konservative Regierung in Spanien verfolgt etwa Gewerkschafter, die sich am Generalstreik am 29. März beteiligt haben. Laura Gómez, eine Funktionärin der CGTg seit dem 24. April in Untersuchungshaft. Zudem will man das Errichten von Zelten in den spanischen Innenstädten mit hohen Strafen belegen. Auf dieser Grundlage hat die Polizei in der Nacht zum 13. Mai in vielen Städten, in denen Demonstranten Protestcamps errichten wollten, die Kundgebungen aufgelöst. An der Puerta del Sol, wo sich am Samstag laut Polizeiangaben rund 30 000 Menschen versammelt hatten, schritt die Polizei in der Nacht ein und räumte gewaltsam den Platz, auf dem sich noch mehrere hundert Demonstranten befanden. Mindestens 15 Menschen wurden festgenommen.

Ähnlich wie über die sozialen Kämpfe in anderen europäischen Ländern ist auch über die Repression in den Publikationen der deutschen Kapitalismuskritiker wenig zu erfahren. Facebook und Twitter hin oder her: Von einer europäischen Protestbewegung kann nicht die Rede sein. Der hiesigen Protestbewegung gegen die europäische Krisenpolitik könnte man genau dasselbe vorwerfen, was sie an der Politik der großen Gewerkschaften seit Jahren zu Recht kritisiert: Auch sie agiert noch vorwiegend im nationalstaatlichen und nicht im europäischen Rahmen. Daher sorgt nicht das »No-Troika« der griechischen Wähler, sondern das Frankfurter Ordnungsamt für die Mobilisierung.

Dabei gibt es seit Monaten immer wieder Aufrufe von unterschiedlichen Teilen der griechischen Protestbewegung, die Verbündete in anderen europäischen Ländern sucht. Statt eine Antwort aus dem linken Spektrum kursiert nun ein von Intellektuellen verfasster moralischer Appell zur »Neugründung Europas« (s. Seite 5), aus dem man schließt: Alles soll so weitergehen, wie bis jetzt, nur die Rhetorik soll etwas sozialer werden. Dazu passte auch der Wahlsieg des Sozialdemokraten François Hollande in Frankreich. Selbst konservative Politiker aus Italien und Spanien nutzen jetzt die Chance, die deutsche Dominanz in der EU zu kritisieren, während die Bundesregierung eisern am Grundsatz festhält, Sparkurs und Wirtschaftswachstum gehörten zusammen. So könnte gerade der oft beschworene »frische Wind aus Frankreich« dazu dienen, den alten EU-Kurs mit Unterstützung von Grünen und Sozialdemokraten gegen die »No-Troika«-Rufe aus Griechenland, Irland oder anderen Ländern der europäischen Peripherie zu festigen.

Ob es während der Frankfurter Aktionstage die Gelegenheit geben wird, sich mit solchen Szenarien auseinanderzusetzen, ist offen. Dabei fehlt es an einer transnationalen Kommunikation. Auf einem europäischen Treffen zur Krise in der EU von Gewerkschaftern und sozialen Initiativen Anfang Mai in Brüssel gab es vielfach die illusionäre Hoffnung auf neokeynesianische Elemente in der europäischen Wirtschaftspolitik durch eine Stärkung der sozialdemokratischen Parteien auf EU-Ebene.

Ob das »M31«-Bündnis eine eigene Strömung im Rahmen der europaweiten Proteste bilden wird, bleibt abzuwarten. An einer maßgeblich von dieser Strömung organisierten Demonstration in Berlin Anfang Mai, die sich unter dem Motto »Mehr Technokratie wagen« mit den sozialen Bewegungen in Griechenland solidarisierte, hatten sich noch höchstens 150 Menschen beteiligt. Am vergangenen Wochenende demonstrierten in Berlin nach Veranstalterangaben knapp 5 000 Menschen für eine Neubelebung der »Occupy«-Bewegung. Nach Verboten der Polizei wurde gar nicht erst versucht, das geplante Zeltlager am Alexanderplatz zu erreichten.

Ende Mai wird in Irland in einem Referendum über den Fiskalpakt abgestimmt. Dort rufen soziale Gruppen und Gewerkschaften zu einem linken »Nein« auf. Einen besseren Anlass für die Mobilisierung für die europäischen Krisenproteste im Mai könnte man sich eigentlich nicht vorstellen. Man muss ihn nur nutzen.

http://jungle-world.com/artikel/2012/20/45454.html
Peter Nowak