Abschied von dem Mythos einer linken Mehrheit, aber nicht vom Mitregieren

Die Linkspartei muss angesichts des Aufstiegs der AfD von einigen Lebenslügen Abschied nehmen, will aber vom Mitregieren nicht lassen

Der Tortenwurf auf Sahra Wagenknecht[1] gleich zu Beginn des Parteitags der Linken sorgte bei der FAZ wieder einmal für alte Reflexe. Die Jagd auf die außerparlamentarische Linke, die sich auch noch mal ganz pragmatisch eine Veranstaltung von der der Linkspartei nahestehenden Rosa Luxemburg Stiftung finanzieren lasse, wurde eröffnet[2]: „Denn sie wissen, wer die Torte warf.“

Wie üblich, wenn es zur Jagd auf Linke geht, wurde natürlich keine Stellungnahme von ihnen eingeholt. Die von der FAZ in den Mittelpunkt gerückte antifaschistische Jugendzeitung http://www.heise.de/tp/artikel/48/48385/1.html3] dementierte die Vorwürfe:

Aber während des Parteitags hatten alle unsere Redaktionsmitglieder anderes zu tun: Am See sitzen, die nächste Ausgabe planen, Demos organisieren, feiern gehen. Kurzum: Wir waren’s nicht.

Angeblich hat sich einer der Tortenwerfer für diese Zeitung als Journalist akkreditieren lassen. Doch unabhängig davon, wer jetzt dafür verantwortlich war, die Parteitagsregie könnte sich für die Aktion bedanken. So konnten nämlich gar nicht erst interne Streitereien über der Frage aufbrechen, ob Sahra Wagenknecht mit ihrer Annäherung an die Regierungsparteien in der Flüchtlingsfrage nicht den Parteikonsens verlassen hat.

Genau eine solche Debatte wurde auch dadurch verhindert, dass die Tortenwerfer in ihrem Erklärungstext Wagenknecht in die Nähe der AfD gerückt hatten. Das führte zu einer Solidarisierung mit der umstrittenen Politikerin und verhinderte eine Diskussion. Ob die Unfähigkeit, die Politik der Regierungspartei, aber auch der Grünen in der Flüchtlingsfrage zu kritisieren und stattdessen den Popanz AfD aufzubauen, auch damit zu tun hat, dass die Verfasser gegen eine Annäherung an SPD und Grüne gar nichts haben, bleibt offen. Das zeigte sich auch im Anschluss an den Parteitag.

Der Mythos von der Mehrheit links der Union

So warf der Taz-Korrespondent Stefan Reinicke[4] der Linkspartei „intellektuelle Erstarrung“ vor und begründete dies damit, dass die Partei nicht aus Furcht vor einem Erstarken der AfD jegliche eigenen Vorstellungen aufgegeben und sich gleich zum Wurmfortsatz von SPD und Grünen gemacht hat.

„Die Linkspartei bekriegt die SPD lieber als sie klug und pragmatisch von links unter Druck zu setzen. Damit ist Rot-Rot-Grün vom Tisch“, legt Reinecke die alte Platte von der Mehrheit links von der Union auf. Tatsächlich war diese ominöse Mehrheit schon immer das Stöckchen über dass die Linkspartei springen sollte.

Um Teil dieser ominösen Mehrheit zu werden, sollte sie Nato und Marktwirtschaft offiziell anerkennen und sich damit endgültig überflüssig machen. Dabei weiß auch Reinecke, dass an der Linkspartei noch nie ein solches Bündnis gescheitert ist. In Hessen waren es SPD-Abweichler, die eine solche Konstellation scheitern ließen. Dort wären unter Minister Hermann Scheer[5] vielleicht einige reformerische Ansätze im Energiesektor herausgekommen und genau das störte die SPD-Atomlobby so sehr, dass sie dieses Bündnis verhinderten.

Seit einigen Jahren ist klar, dass die Grünen eher ein Bündnis mit der Union als mit der Linkspartei anstreben. Dass die SPD nicht im Sinn hat, eine Mehrheit links von der Union zur Geltung zu bringen, zeigt sich ganz klar im Bundestag. Noch gäbe es dort eine rechnerische Mehrheit von SPD, Grünen und Linkspartei. Auf deren Parteitag wurde daher die SPD aufgerufen, diese Mehrheit für die Umsetzung einiger sozialer Reformschritte zu nutzen, beispielsweise die Senkung des Rentenalters.

Dafür bräuchte es keine formale Koalition. Aber ein solches Herangehen könnte zeigen, ob ein Reformbündnis jenseits der Union mehr als Gerede ist. Aktuell wird ein solches Bündnis in Portugal praktiziert. Die SPD und auch die Grünen werden allerdings in dieser Legislaturperiode nichts dafür tun. Und nach den nächsten Bundestagswahlen ist unwahrscheinlich, dass es noch eine rechnerische Mehrheit dieser drei Parteien gibt.

Trotzdem haben führende Politiker der Linkspartei immer wieder betont, dass an ihnen solche Kooperationen nicht scheitern werden – dass sie aber auf bestimmte Grundsätze gestützt werden müssten. Wenn das in der Taz so interpretiert wird, als sehe die Linkspartei in der SPD den Hauptfeind, so ist das schlicht unzutreffend. Es hat sich nur in den letzten Jahren immer wieder gezeigt, dass die SPD im Zweifel immer lieber ein Bündnis mit der Union als mit der Linkspartei anstreben wird. Da bleibt der Linkspartei gar nicht anders übrig, als sich auf die eigene Kraft zu stützen, die bekanntlich nicht sehr stark ist.

Weder Merkel noch AfD

Dass auf dem Parteitag mehrmals betont wurde, dass sich die Linkspartei klar von der AfD abgrenze, ohne sich um Merkel zu scharen, könnte Folge eines Lernprozesses sein. Die Linke hat damit nur die Realitäten zur Kenntnis genommen. Denn die Unterschiede von der Merkel-Linie zum Rechtspopulismus sind längst nicht so gravierend, wie es medial suggeriert wird. Wenn dann Linkspartei-Politiker wie Sahra Wagenknecht darauf verweisen, dass es die Politik dieser und vorherhergehender Bundesregierungen war, die zur Entsolidarisierung und Ausgrenzung beigetragen und damit die AfD gestärkt hat, dann ist das schlicht die Benennung von Fakten.

Es war die Bundesregierung in unterschiedlichen Konstellationen, die mit der Politik der Agenda 2010 den Rechtspopulismus in Deutschland einläuteten und ihn auch schon praktizierten, bevor die AfD gegründet wurde. Die Herausbildung eines eigenen linken Pools jenseits von Merkel und AfD müsste daher die Losung sein. Das Problem für die Linkspartei ist aber, dass sie diesen Kurs nicht durchhalten kann und will, weil sie dann auch die Koalition in Thüringen infrage stellen müsste. Doch das kommt für die Partei nicht in die Tüte.

Schließlich sieht sie es als großen Erfolg, einen eigenen Ministerpräsidenten zu haben Die Thüringische Vorsitzende der Linkspartei Susanne Hennig-Wellsow[6] machte sich auf dem Parteitag zur Anwältin dieser Koalition. Die Partei solle ihren „politischen Handlungsspielraum bis zur letzten Sekunde ausnutzen“. Unter Buhrufen bekannte sie: „Ja, Thüringen muss auch abschieben.“ Die Weisung von Ministerpräsident Bodo Ramelow, bei der Durchsetzung solcher Maßnahmen keine Familien zu trennen und Kinder nicht nachts aus dem Bett zu holen, werde nicht immer befolgt. Da die „juristischen Mittel begrenzt“ seien, sei hier die Gesellschaft gefordert, so Hennig-Wellsow.

Nun existiert schon längst ein gesellschaftlicher Widerstand gegen diese Abschiebungen im von der Linkspartei regierten Thüringen. Am 11. Mai wurde sogar für eine Stunde in Jena ein Büro der Linkspartei auch aus Protest gegen die Abschiebepolitik besetzt[7]. Anders als die Tortenaktion gegen Wagenknecht fand diese Aktion aber viel weniger öffentliche Aufmerksamkeit, wie auch die reale Abschiebepolitik mit Beteiligung der Linkspartei weniger empört als eine Äußerung von Wagenknecht .

Besonders heuchlerisch ist es, wenn Politiker der Grünen wie deren sächsischer Parteivorsitzende Jürgen Kasek auf Twitter[8] Verständnis für den Tortenangriff auf Wagenknecht signalisieren, obwohl die Partei überall, wo sie Einfluss hat, an der Verschärfung des Asylrechts beteiligt ist.

Alle, die ihr ein willigeres Mitregieren empfehlen, wissen genau, dass sie dann von den Grünen nicht mehr unterschieden werden kann und so ihr linksreformistisches Profil endgültig verliert. Das hat sie in den letzten Monaten etwas polieren können, als ein Teil des linken Flügels der Piraten begann, die Linkspartei kritisch zu unterstützen, nachdem sie selber mit einer eigenen Partei gescheitert waren.

Mehrere ihrer Protagonisten kandieren auf der Liste der Linken wie Anke Domscheit- Berg[9]. Sie können der Linkspartei dabei helfen, sich von ihrer doppelten traditionssozialdemokratischen Erblast aus WASG und SED zu emanzipieren. Vorstellungen von einer Welt mit weniger Lohnarbeit sowie feministische und antirassistische Ansätze werden sich eher in diesen Kreisen finden. Andererseits zeigt auch das Loblied, das Domscheit-Berg auf die Selbstständigkeit singt, dass auf wirtschaftlichem Gebiet damit eher das realpolitische Lager in der Partei gestärkt wird.

Auch nach dem Parteitag geht der Spagat weiter: Obwohl alle wissen, dass es die linke Mehrheit jenseits der Union nicht gibt, halten sie sich immer wieder eine Tür zum Mitregieren offen. Gregor Gysi, der kurz vor dem Parteitag mediengerecht seinen Part gespielt hat, die Partei zu schelten, wenn er nicht mehr die erste Rolle spielt, aber mittlerweile damit leben muss, dass sein Resonanzraum begrenzt ist, hat bereits eine Kooperation mit der Union auf Länderebene ins Gespräch gebracht[10].

Die Reaktionen in seiner Partei interessierten ihn scheinbar nicht. Da ihm nicht eine besondere Redezeit eingeräumt wurde, ist er auf dem Parteitag nicht anwesend gewesen[11]. Dass Gysi wie Oskar Lafontaine, die sich lange Zeit für unersetzbar hielten, nun aus dem Schmollwinkel Ratschläge und Kritik austeilen und sich in der Partei niemand mehr groß darüber aufregt, kann tatsächlich als ein kleiner Emanzipationsprozess der Linkspartei bewertet werden.

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48385/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48368/

[2]

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/die-linkspartei-sollte-wissen-wer-auf-sahra-wagenknecht-losgegangen-ist-14258655.html

[3]

http://strassenauszucker.blogsport.de/

[4]

http://www.taz.de/!5304844

[5]

http://www.hermannscheer.de/

[6]

http://www.susannehennig.de/

[7]

https://linksunten.indymedia.org/de/node/178706

[8]

https://twitter.com/jkasek?lang=de

[9]

http://ankedomscheitberg.de/

[10]

http://www.faz.net/aktuell/politik/wahl-in-sachsen-anhalt/gregor-gysi-schlaegt-cdu-linke-koalition-fuer-sachsen-anhalt-vor-14127817.html

[11]

http://www.welt.de/print/welt_kompakt/print_politik/article155802258/Gregor-Gysi-fehlt-bei-Parteitag.html