The Spies Who Ruined Our Lives England2024 - 90 min. Regie: Justyn Jones, Madoc Roberts Produktion: Jason Kirkpatrick Kamera: Tom Allen, Francesca Araiza Schnitt: Madoc Roberts

Staatlich tolerierte Vergewaltigung

Der Film „The Spies, who ruined our lives“ dokumentiert über 40 Jahre Infiltration linker Gruppen durch die Polizei in Grossbritannien. Einige der Spitzel agierten auch in anderen Ländern. Am 19 November wird der Film um 19.30 Uhr beim Politischen Café in der Kinzigstrasse 9 (K9) in Friedrichshain gezeigt. Im Anschluss erfolgt eine Diskussion mit Kirkpatrick.

Bei der Premiere des Films vor einigen Wochen in Berlin fanden nicht alle Interessierten Plätze. Schliesslich spielte in dem Film der Polizeispitzel Mark Kennedy eine zentrale Rolle. Er infiltrierte unter dem Namen …

… Mark Stone zahlreiche linke Gruppen nicht nur in Grossbritannien. Auch in Deutschland nahm an im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts an zahlreichen länderübergreifenden linken Protesten der globalisierungskritischen Bewegung teil. Dabei lernte er auch den in Berlin lebenden Aktivisten Jason Kirkpatrick kennen.

Der musste 2010 erfahren, dass der angebliche Freund und Genosse ein Polizeispitzel ist. Seitdem hat Kirkpatrick zahlreiche Interviews gegeben, Veranstaltungen organisiert und vor vielen Ausschüssen ausgesagt. „Ich dachte ich kann irgendwann ein normales Leben führen. Doch der Fall Kennedy/Stone lässt mich nicht mehr los“, sagte Kirkpatrick. Die Idee für das Filmprojekt habe er seit Jahren gehabt. Gemeinsam mit dem britischen Regisseur Justyn Jones hat er es nun realisiert. In den knapp 90 Minuten kommen zahlreiche Aktivist*innen zu Wort, die wie Kirkpatrick mit Kennedy befreundet waren.

Betroffene Frauen kommen zu Wort

Ein Schwerpunkt liegt in der sexistischen Komponente. Kennedy/Stone freundete sich mit in linken Gruppen engagierten Frauen an. Was für ein besonderer Schock es für sie war, als sie erfuhren, dass der angebliche Genosse ein Polizeispitzel war, wird in den Interviews deutlich, die mehrere der betroffenen Frauen geben. Kate Wilson gehörte dazu. Sie gehörte zu den Frauen, mit denen der vermeintliche Genosse enge Beziehungen eingegangen war. Nachdem seine wahre Identität bekannt wurde, fordert Wilson Aufklärung. Im Film betont sie, dass sie sich nicht auf unverbindliche Erklärungen der Londoner Polizeispitze einlässt, die im Fall Kennedy/Stone Fehler einräumte, die nicht mehr vorkommen sollen.

Kate Watson liess sich nicht mit schönen Worten vertrösten. Sie klagte ein hohes Schmerzensgeld ein. Doch sie und auch viele andere Frauen betonten, dass die „staatlich tolerierte Vergewaltigung“ auch mit viel Schmerzensgeld nicht wieder gutgemacht werden kann. In dem Film kommen auch viele weitere betroffene Frauen zu Wort. Eine von ihnen war Mitglied einer kleinen sozialistischen Partei und erfuhr erst viele Jahre später, dass der angebliche Genosse, mit dem sie eine längere Beziehung hatte, ein Polizeiagent war. Sie war trotzdem bereit, wieder Kontakt mit dem Mann aufzunehmen, weil der Sohn, der aus der Beziehung hervorgegangen war, seinen Vater kennen lernen wollte. Der wollte nach der ersten Begegnung nicht nur den Kontakt mit dem Polizeispitzel aufrechterhalten, sondern will sogar selber Polizist werden.

Eine andere Frau wurde aktiv, als sie erfuhr, dass der angebliche Genosse, der ein Polizeiagent war, viele Jahre später für die konservative Partei (Tories) für ein Mandat in einem Kommunalparlament kandierte. Sie verteilte in seinen Wahlkreis in die Briefkästen Flugblätter, in denen sie über seine Agententätigkeit informierte. Er wurde trotzdem ins Kommunalparlament gewählt, verlor aber bei der nächsten Wahl sein Mandat an einen Kandidaten der Labour-Party. Ob die Informationskampagne der Frau dazu beigetragen hat, muss offen gelassen werden. Eine andere Frau erfuhr, dass ihr Ex-Freund und angeblicher Genosse ein Polizeiagent war, und zwar durch eine Biographie seines Halbbruders, eines Pfarrers. Dort schrieb er völlig unbefangen, welchen Beruf sein Halbbruder hatte.

Auf der falschen Seite der Geschichte

Aber auch männliche Aktivisten kommen in dem Film zu Wort, die noch immer schwer begreifen können, dass ihre angeblichen Freunde und Genossen Polizeiagenten war. Dazu gehörte der linke britische Aktivist Tarik Ali und der Anti-Apartheid-Aktivist Peter Hain. Der betonte im Film, dass diejenigen, die die Polizeiagenten befehligten, immer wieder auf der falschen Seite der Geschichte gestanden haben: auf der Seite des Apartheid-Regimes in Südafrika, auf Seiten derer, die Vietnam mit Krieg überzogen, später auch auf Seiten der Konzerne, die Mensch und Umwelt zerstören.

Der Film zeigt, was für unterschiedliche Gruppen durch die Polizei infiltriert wurden. Die Polizeiabteilung hat mehr als 1000 linke Gruppen infiltriert, darunter Initiativen, die sich gegen den Vietnamkrieg oder das Apartheid-Regime in Südafrika engagierten. Klimaaktivist*innen wurden ebenso überwacht wie feministische Gruppen, die von einer Polizeiagentin ausspioniert wurden, die sich Sarah nannte. Auch auf migrantische Familien, deren Kinder Opfer von Polizeigewalt waren, wurden Polizeiagenten angesetzt. Eine von ihnen war Peter Francis. Er quittierte seinen Dienst aus politischen Gründen, wurde Whistleblower und berichtet im Film sehr offen über seine frühere Tätigkeit. Ihn habe besonders schockiert, dass er für seine Spitzeltätigkeit die Identität verstorbener Kinder annehmen musste, erzählt er.

Im Anschluss an den Film berichtete Kirkpatrick, dass Kennedy/Stone auch zahlreiche linke Projekte in verschiedenen deutschen Städten besuchte hat. Was er darüber berichtete, ist bis heute nicht bekannt. Vielleicht kann der Film die Diskussion auch nach so viel Jahren noch anstossen, auch über die Polizeiagenten, die in Deutschland linke Gruppen infiltrierten. Da gab es in den letzten Jahren zahlreiche Beispiele. Interessant*innen können über die Emailadresse madoc@barkingmad.tv kostenlos Filmkopien für Vorführungen erhalten. Ein Termin steht schon fest.

Am 19 November wird der Film um 19.30 Uhr beim Politischen Café in der Kinzigstrasse 9 (K9) in Friedrichshain gezeigt. Im Anschluss erfolgt eine Diskussion mit Kirkpatrick. Weitere Termine werden veröffentlicht auf der Homepage. Peter Nowak