
Gestapelte Konservendosen im Hof der Moritzburg in Halle lassen zunächst an eine vergessene Lieferung denken. Schließlich sind die Dosen noch eingeschweißt und tragen Etiketten, sind aber umgestürzt. Doch beim näheren Betrachten sieht man, dass dort bekannte Köpfe des …
… Wirtschaftsliberalismus abgebildet sind, jener Strömung in der ökonomischen Theorie, die dem Kapital keine Grenzen setzen will. Für sie sind Gewerkschaften und Sozialgesetzgebung fast schon Kommunismus und werden bekämpft. Der ultrarechte US-Philosoph Murray Rothbard ist ebenso darunter wie die Ökonomen Ludwig von Mises und Hans-Hermann Hoppe. Sie werden heute von Ultrarechten in aller Welt wiederentdeckt, beispielsweise vom argentinischen Präsidenten Milei. Deswegen liegt neben den umgestürzten Konservendosen auch noch ein Waffenständer als Symbol der Unterdrückung nach innen und außen.
Das Werk des sozialkritischen Berliner Künstlers Andreas Siekmann trägt den Titel „Nach Dürer“ und ist vom „Denkmal für die besiegten Bauern“ inspiriert, das der frühbürgerliche Künstler Albrecht Dürer 1525 entwarf, aber nie realisierte. Wie viele zeitgenössische Künstler solidarisierte sich auch Dürer mit der Bauernrevolution, die vor 500 Jahren in Bad Frankenhausen eine entscheidende Niederlage erlitt.
Die Rache der Feudalherren, die durch die Erhebung für eine kurze Zeit um ihre Macht fürchten mussten, war grausam. Die Zahl der ermordeten, verstümmelten und vertriebenen Menschen ging in die Zehntausende. Die Strafen sollten so abschrecken, dass der gemeine Mann und auch die gemeine Frau es nicht mehr wagen würden, die Herrschaft anzugreifen.
„Planetarische Bauern“
500 Jahre nach der Niederlage der Revolution, die noch immer unter dem Label „Bauernkrieg“ firmiert, gibt es in vielen Städten Ausstellungen und Veranstaltungen. Dabei ist die Ausstellung „Planetarische Bauern“, die jetzt in Halle zu sehen ist, besonders zu empfehlen. Sie stellt einen größtenteils gelungenen Versuch dar, die Bauernrevolution mit aktuellen politischen und sozialen Problemen in aller Welt künstlerisch zu verknüpfen. Die beschriebene Installation von Andreas Siekmann, die beim Besuch in der Moritzburg den Weg weist, ist auch ein gutes Beispiel für die inhaltliche Qualität der gezeigten Exponate von 30 Kunstschaffenden aus ganz verschiedenen Weltregionen.
Der chinesische Künstler Liu Chuang geht mit seinem Film „Lithium Lake and Island of Polyphony“ auf die Folgen der Lithiumgewinnung für Mensch und Natur ein. Lithium gehört zu den wichtigsten Schmiermitteln des heutigen Kapitalismus. In vielen Ländern wehren sich die Menschen gegen den Lithiumabbau, beispielsweise in Serbien (Rabe Ralf Februar 2024, S. 20).
Auch Lara Almarcegui widmet sich mit ihrer Installation „Die Halden in Deutschland“ den Verflechtungen zwischen Mensch und Natur durch Bergbau und Städtebau. Dabei setzt sie sich künstlerisch mit den Methoden der ökonomischen Aneignung auseinander. So bemüht sie sich, bei Ausstellungen den Boden der jeweiligen Museen zu erwerben. Zudem stellt sie die Frage, warum die vom Bergbau hinterlassenen Flächen, die überwiegend brach liegen, nicht wieder an die Allgemeinheit als sogenannte Allmende zurückgegeben werden. Schon an diesen Beispielen zeigt sich, dass es bei „Planetarische Bauern“ keineswegs um eine romantische Erinnerung an den Bauernaufstand vor 500 Jahren geht, sondern um sehr aktuelle Themen.
Computer für gerechtes Wirtschaften
Besonders beeindruckend ist der „Xeno Computer 0.1: Cybersyn 2.0“. Der Titel verweist auf ein Stück Digitalisierungsgeschichte. Das Projekt „Cybersyn“ im Chile der Unidad Popular sollte vor mehr als 50 Jahren dabei helfen, eine gerechte Gesellschaft mit sozialistischer Ökonomie zu entwickeln. Linke „Kybernetiker“ aus aller Welt waren daran beteiligt. Doch nach dem Militärputsch 1973 wurden viele verfolgt und mussten um ihr Leben fürchten, wenn sie nicht noch in letzter Minute flüchten konnten. In den letzten Jahren wurde das Cybersyn-Projekt in Fachliteratur und Belletristik wiederentdeckt. Erwähnt seien der Roman „Gegen die Zeit“ von Sascha Reh oder die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Cybersyn durch Simon Schaupp (Rabe Ralf Februar 2025, S. 13). Es war ein frühes Beispiel dafür, wie Computertechnologie im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung genutzt werden kann.
Auch Alice Creischer geht in ihrem Beitrag auf ein Stück Bewegungsgeschichte ein. Die Künstlerin befragte Bäuerinnen und Bauern vor allem im Mansfelder Land zu ihren Produktions- und Lebensbedingungen und orientierte sich dabei an dem historischen „Fragebogen für Arbeiter“, mit dem Karl Marx 1880 die Situation des französischen Proletariats untersuchte. Es war das erste Beispiel einer sogenannten militanten Untersuchung, das heißt, mit dem Fragebogen wurden nicht nur Informationen über die Lage der Lohnabhängigen gesammelt, es sollte auch ihr Selbstbewusstsein gestärkt werden. „Fragebogen für Arbeiter:innen – Antworten aus der Landwirtschaft“, wie Creischer ihr Projekt nennt, hat gerade heute eine besondere politische Bedeutung, wo die „Bauernproteste“ in Teilen der gesellschaftlichen Linken sehr kritisch beäugt werden und rechte Gruppen versuchen, darauf Einfluss zu nehmen (Rabe Ralf Dezember 2024, S. 3).
Beeindruckend ist auch die Arbeit „Minuswelt“ von Sarah Fichtinger und Nikola Supukovic, die mit dem Kollektiv Total Refusal ein Computerspiel entwickelten, bei dem in einer spätmittelalterlichen Welt die Frauen im Mittelpunkt stehen. Es stützt sich auf die wenigen Zeugnisse von Frauen aus der damaligen Zeit. Dazu gehört Ottilie von Gersen, eine ehemalige Nonne, die als Gefährtin von Thomas Müntzer bekannt wurde. Sie war aber auch eine selbstbewusste Frau, über deren weiteres Leben nach der Ermordung ihres Mannes nichts überliefert ist.
Einen sehr realpolitischen Bezug hat die Installation von Fernando García-Dory, der in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband der Berufsschäfer ein Treffen von Schäferinnen und Hirten einberuft, die nach dem Vorbild der Bauernrevolution ebenfalls 12 Artikel mit Forderungen verfassen.
Unvollendete Geschichte
Manche der Exponate haben esoterische Bezüge und beschwören eine scheinbar heilige Natur. Doch die große Mehrheit dreht sich um die gesellschaftlichen Bedingungen der globalen Landwirtschaft. Bei der Bandbreite von linker Kybernetik bis zur Versammlung der Schäfer:innen bleibt meist wenig Platz für Naturromantik.
Ausstellung: „Planetarische Bauern. Landwirtschaft, Kunst, Revolution“, bis 14. September, Kunstmuseum Moritzburg, Halle (Saale)
planetarische-bauern.de
„Planetarische Bauern“ ist in dem ganzen Rummel um das 500. Jubiläum der Bauernerhebung sehr sehenswert, weil die Ausstellung nicht einfach die Ereignisse vor einem halben Jahrtausend historisiert, sondern sie als noch unvollendete Geschichte darstellt. Denn tatsächlich sind die Ziele der damaligen Revolution bis heute nicht erreicht. Wichtiger noch, sie lassen sich im Kapitalismus nicht verwirklichen. Peter Nowak
Ausstellung: „Planetarische Bauern. Landwirtschaft, Kunst, Revolution“, bis 14. September, Kunstmuseum Moritzburg, Halle (Saale)
planetarische-bauern.de
https://www.raberalf.de/rezensionen/landwirtschaft-kunst-und-revolution