Drei Todesfälle in einer Dessauer Polizeistation werfen Fragen auf. Neue Beweise und Recherchen fordern dringend Aufklärung. Ein Schatten fällt auf die Polizeiarbeit.

Drei mysteriöse Todesfälle in Dessauer Polizeistation: Neue Erkenntnisse werfen Fragen auf

Im Dezember 1997 wurde der Maschinenbauingenieur Klaus-Jürgen Rose schwer verletzt in unmittelbarer Nähe des Polizeirevier : Was ist auf dem Dessauer Polizeirevier passiert? Ist das ein Einzelfall oder ist Dessau überall? Nur gibt es sonst kaum jemanden, der so genau hinschaut, wenn dort ein armer oder gar obdachloser Mensch stirbt.

Seit dem 7. Januar 2005 macht ein Polizeirevier in Dessau bundesweit Schlagzeilen. An diesem Tag verbrannte dort Oury Jalloh gefesselt auf einer Pritsche in einer Polizeizelle. Dass sein Name inzwischen über Deutschland hinaus bekannt ist und …

… jedes Jahr am 7. Januar Antirassisten aus ganz Deutschland nach Dessau kommen, um dem Toten zu gedenken, ist einer kleinen Gruppe von Freunden und Unterstützern Jallohs zu verdanken.

Die unermüdliche Suche nach Antworten

Sie haben nicht aufgehört zu fragen, warum Oury Jalloh sterben musste und haben schon einige Antworten bekommen. Sie haben Geld für Gutachten gesammelt, die beweisen, dass er sich nicht selbst angezündet haben kann. Das war die offizielle Erklärung für seinen Tod. Aber wenn es keine Selbstverbrennung war, stellt sich die Frage: Wer war der Täter? Und sofort rückt die Polizeistation wieder in den Mittelpunkt.

Doch seit letzter Woche geht es nicht mehr nur um Oury Jalloh. Durch die Recherchen zu seinem Fall wurde auch bekannt, dass genau in dieser Wache schon zwei Menschen zu Tode gekommen sind.

Tödliche Vorfälle in Dessau: Der Fall Klaus-Jürgen Rose

Im Dezember 1997 wurde der Maschinenbauingenieur Klaus-Jürgen Rose schwer verletzt in unmittelbarer Nähe des Polizeireviers aufgefunden und starb wenig später an seinen schweren Verletzungen, deren Ursache nie geklärt werden konnte.

Fakt ist, dass er kurz zuvor wegen Trunkenheit am Steuer zur Wache gebracht werden musste und sich dabei nicht gerade kooperativ verhalten haben soll. Die offizielle Version lautete: Rose sei entlassen worden, habe sich wieder betrunken hinters Steuer gesetzt, sei erneut auf die Wache gebracht und wieder entlassen worden, kurz darauf sei er schwer verletzt in der Nähe aufgefunden worden. Seine Witwe und seine Tochter fordern nun eine Wiederaufnahme der Ermittlungen.

Das lange Schweigen und aufkommende Zweifel

Denn im Zuge der Recherchen zu Oury Jalloh wurde auch der Fall Rose noch einmal genauer untersucht und es gibt starke Indizien dafür, dass Rose sich seine Verletzungen auf der Polizeiwache zugezogen hat.

Die taz beschreibt seinen Zustand so: Er starb an inneren Verletzungen, „die kurz vor seinem Tod zu einer Querschnittslähmung führten, übersät mit tiefen Unterblutungen der Haut, Hoden zerquetscht, Lunge zerrissen, durch Schläge auf den Kiefer waren Zähne ins Gesicht eingedrungen, ein Lendenwirbel so zertrümmert, dass der Wirbelkanal offen lag“.

Enthüllung von schweren Misshandlungen: Was geschah wirklich auf der Polizeiwache?

Das klingt nach schweren Misshandlungen. Man fragt sich, warum nicht sofort Ermittlungen auch gegen die Beteiligten der Polizeistation eingeleitet wurden, auf der sich Rose unzweifelhaft kurz zuvor befunden hatte. Noch beunruhigender ist, dass bereits nach Roses Tod das Gutachten einer halleschen Rechtsmedizinerin vorlag, deren Gutachten zu Ermittlungen in der Polizeidirektion geradezu einlädt.

Der Bericht der Rechtsmedizinerin: Eindeutige Anzeichen von Gewalt

Die taz zitiert daraus, dass die „zahlreichen stumpfen Gewalteinwirkungen“, die zu Roses Tod geführt hätten, „als Folge von Misshandlungen anzusehen“ seien. Die parallelen Einblutungen am Rücken seien „typischerweise durch Stockschläge“ entstanden.

Einer der drei ihr übergebenen Polizeiknüppel weise eine Breite der Blutungsstreifen von 2,5 Zentimetern auf und sei „am ehesten (…) geeignet, diese Verletzungen zu verursachen“. Am Schulterblatt, am Rücken, an den Innenseiten der Beine und an den Hoden seien Verletzungen erkennbar, bei denen „am ehesten an Fußtritte zu denken“ sei.

Eine „besonders schwere Gewalteinwirkung“ sei dagegen so intensiv, dass sie nicht durch Schläge oder Tritte erklärt werden könne. Hier käme am ehesten ein Sturz aus der Höhe in Betracht.

Aber: Das „Gesamtverletzungsmuster“, das Fehlen von Kopfverletzungen und bestimmten Schürfwunden, spreche dagegen, dass Rose so aus dem Fenster gefallen sei, wie er aufgefunden wurde. Die Verletzungen ließen sich am ehesten dadurch erklären, dass er aus großer Höhe gegen einen „prominenten Gegenstand“ geprallt sei. Die Verhältnisse an der Hauswand, an der Rose aufgefunden wurde, seien jedoch „mit Sicherheit als Verletzungsursache auszuschließen“.

Die Frage nach dem Tatort: Wo wurden die tödlichen Verletzungen zugezogen?

Daraus kann man nur schließen, dass der schwerverletzte Rose dorthin gebracht wurde und die letztendlich tödlichen Verletzungen woanders verursacht worden sein müssen. Vielleicht auf der Polizeiwache?

Inzwischen steht fest, dass die Akten zum Fall Rose manipuliert wurden. Daten wurden nachträglich eingetragen. Außerdem will ein Zeuge gehört haben, wie sich die Polizisten darüber unterhielten, dass sie einen, der sie angreifen wollte, geschlagen hätten.

Man stelle sich vor, man hätte einen Schwerverletzten gefunden, der nachweislich vorher zuletzt in einem linksautonomen Zentrum war. Kann man sich vorstellen, dass nicht sofort ermittelt und das Zentrum durchsucht worden wäre? Genau das hätte unmittelbar nach Roses Tod im Polizeirevier geschehen müssen. Fast 30 Jahre später ist es schwieriger, überhaupt Beweise zu finden.

Zwei weitere Todesfälle in Dessau: Hätten sie verhindert werden können?

Wäre die Wache damals konsequent durchsucht worden, hätten möglicherweise zwei weitere Tote im Dessauer Polizeirevier verhindert werden können. Neben Oury Jalloh wäre dies Mario Bichtemann, der 2002 in demselben Polizeirevier starb.

In einem Bericht der Frankfurter Rundschau heißt es über ihn: „Der obdachlose Mario Bichtemann wird in Zelle 5 des Dessauer Reviers eingesperrt. Als die Zellentür aufgeschlossen wird, liegt er mit einem Schädelbasisbruch tot auf dem Boden.“

Die Verbindung der Todesfälle: Zufall oder Zusammenhang?

Warum gibt es keinen Schrei nach Aufklärung, wie Bichtemann sich diese Verletzung in einer Zelle zuziehen konnte? Die Fälle Rose, Bichtemann und Jalloh gingen bereits im Jahr 2017 kurz erneut durch die Medien, weil ein leitender Oberstaatsanwalt vor sieben Jahren die drei Todesfälle im Dessauer Polizeirevier nicht als Zufall, sondern als Zusammenhang behandelte:

Nach Recherchen der Mitteldeutschen Zeitung (MZ) ging der jahrelang zuständige Dessauer Oberstaatsanwalt Folker Bittmann in seinem Vermerk vom 4. April 2017 nicht nur von einem Tötungsdelikt „seitens garantenpflichtiger Polizeibeamter“ aus. Er verknüpfte diesen Verdacht auch mit den früheren Todesfällen Rose und Bichtemann.

Er stellt auch die Frage, ob Oury Jalloh sterben musste, weil er bereits von Polizisten verletzt worden war und dies vielleicht auch öffentlich gemacht hätte. Dann aber, so die Überlegung des Staatsanwaltes, wären vielleicht auch die Todesfälle Bichtemann und Rose im Dessauer Polizeirevier wieder öffentlich diskutiert worden. Das aber sollte wohl mit allen Mitteln verhindert werden.

Die Forderung nach Aufklärung: Was geschah auf dem Dessauer Polizeirevier?

Mit den neuesten Recherchen zu Rose wird dieses Szenario noch wahrscheinlicher. Wo bleibt der Aufschrei? Jetzt müsste es eine bundesweite Mobilisierung nach Dessau geben, mit der Forderung nach Aufklärung: Was ist auf dem Dessauer Polizeirevier passiert? Ist das ein Einzelfall oder ist Dessau überall? Nur gibt es sonst kaum jemanden, der so genau hinschaut, wenn dort ein armer oder gar obdachloser Mensch stirbt.

Es muss noch einmal betont werden, dass ohne die Arbeit des Unterstützungskomitees für Oury Jalloh auch die beiden anderen Todesfälle heute vergessen wären. Das zeigt auch, wie wichtig es ist, dass antirassistische Initiativen mit Armutsbetroffenen, Opfern von Polizeigewalt etc. zusammenarbeiten.

Sie haben es schwer, sich gegen die Law-and-Order-Politiker vieler Parteien durchzusetzen, die die Polizei außerhalb jeder Kritik stellen wollen. Peter Nowak