Tegel: Seit Jahren wehren sich Mieter/innen einer kleinen Stadtrandsiedlung gegen Verdrängung

„Wir wollen hier wohnen bleiben“

„Wir wollen hier wohnen bleiben“ oder „Kommt der Luxus in unser Haus, fliegen hier die Mieter raus“. Diese Parolen finden sich auf Transparenten nicht etwa in den Stadtteilen Kreuzberg oder Neukölln, sondern in der kleinen Straße „Kehrwieder“ in der Siedlung am Steinberg im Stadtteil Tegel. Die kleinen, gepflegten Häuser lassen eher an eine Kleinstadtidylle denken. Doch die Bewohner/innen leisten hier ungewöhnlich zähen Widerstand, dessen Verlauf sie stets auf einer weißen Fahne dokumentieren. „Dauerdemo 3800 Tage“ stand kürzlich darauf.

Dass die Bewohner/innen der kleinen Tegeler Siedlung, fast alle im Seniorenalter, noch immer um ihre Wohnungen bangen müssen, ist eine späte Folge der Privatisierungspolitik des „rot-roten“ Berliner Senats nach der Jahrtausendwende. In der Folge der Zerschlagung der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft GSW gingen …

… die fünf Reihenhauszeilen und drei zweistöckigen Mehrfamilienhäuser 2010 schließlich an eine private Fondsgesellschaft, die wie überall auch am Steinberg mit Wohnraum Profit machen will.

Dabei haben sie wohl nicht mit dem Widerstandswillen der Mieter/innen in „Klein-Kleckersdorf“ gerechnet, wie die Bewohner/innen ihre Siedlung selbstironisch nennen. Dass ihnen bei ihrem langjährigen Widerstand der Humor nicht vergangen ist, zeigt sich auch an den großen Fotos am „Dorfplatz“ der Siedlung, der auch der Ort der Dauerdemonstration ist. Dort sind einige Mieter/innen zu sehen, die auf ihren Pullovern, Jacken und Mützen ihr selbst kreiertes Logo „Wir können uns überall sehen lassen“ verewigt haben. Und natürlich das selbstbewusste Motto: „Siedlung am Steinberg – kein Bock auf Luxus“. 

Für Erika, eine ältere Frau, die gerade mit ihrem Hund spazieren geht, ist der Grund für diesen lang andauernden Widerstand in der kleinen Siedlung  sehr einfach zu erklären. „Wir sind langjährige Mieter, die in unseren Wohnungen bleiben wollen. Das sehen meine Nachbarn genauso. Wir kennen uns schon lange und sind alle im Rentenalter. Also machen wir unsere Dauerkundgebung und zeigen der Öffentlichkeit, dass unsere Wohnungen keine Geldanlage sind“,  meint Erika. Und tatsächlich ist ihr Dauerwiderstand für viele Berliner Mieter/innen, die ebenfalls gegen Verdrängung kämpfen, zu einer Art Inspiration geworden. Immer wieder werden sie eingeladen und müssen über das Geheimnis ihres langen Atems reden.

Mieter/innen als Investorenschreck​ 

Dieses Selbstbewusstsein der Bewohner/innen der Siedlung hat auch die „Am Steinberg Entwicklungsgesellschaft GmbH“ zu spüren bekommen. Dabei handelt es sich um eine private Investorengruppe, die umfangreiche bauliche Maßnahmen in der Siedlung plant. „Nur so kann der Fortbestand dieses einmaligen Baudenkmals für die nächsten 100 Jahre gesichert werden“, heißt es auf der Website der Entwicklungsgesellschaft, die die Häuser unter dem Namen „Stonehill Gardens“ zahlungskräftigen Käufern anpreist. 

Anfang Januar 2024 machte die Meldung die Runde,  dass einem 84jährigen Mieter gekündigt wurde, weil er seine Wohnung in der Siedlung wegen der Modernisierungsarbeiten nicht verlassen will. Später wurde klargestellt, dass es keine  Räumungsklage gegen den Senior geben wird.  

Doch für die Bewohner/innen der Siedlung sind damit die Gründe für ihren Dauerprotest längst nicht entfallen. Für viele ist er zu einem wichtigen Teil ihres Lebens geworden. Sie werden auch weiterhin an berlinweiten Protesten teilnehmen, denn die Bewohner/innen der Siedlung verstehen sich als Teil der Berliner Mieterbewegung. Die kann von den Mieter/innen der Steinberg-Siedlung lernen, wie man sich auch ohne neue Methoden wie Community-Organizing und digitale Vernetzung wehren kann, wenn man einfach seine Nachbar/innen gut kennt und mit ihnen gemeinsam agiert.        Peter Nowak