Erfahren Sie, wie politische Gruppierungen nach dem Treffen in Potsdam gegen die AfD agieren, die Rolle der Medien und die Dynamik innerhalb der Linken.

Remigration: Unwort des Jahres 2023 und die AfD-Verbotsdebatte

Wenn 2024 eine Neuauflage dieses Aufstands der Anständigen ausgerufen wird, ist die staatskritische linke Bewegung noch schwächer als vor 24 Jahren. Ob es sie noch gibt und ob sie sich vielleicht sogar erneuern kann, wird unter anderem davon abhängen, ob es ihr gelingt, im entscheidenden Wahljahr 2024 nicht zum bloßen Wahlkampfanhängsel von SPD und Grünen zu werden. Schafft sie es, eine eigenständige linke Kraft zu werden, die Abschiebungen nicht erst dann kritisiert, wenn sie von rechts als Remigration verkauft werden? Schafft sie es, deutlich zu machen, dass ein großer Teil der realen Remigration heute außerhalb der deutschen Grenzen stattfindet und, wenn es nach dem Willen auch von SPD und Grünen geht, noch verstärkt werden soll?

Langsam nimmt das politische Leben im neuen Jahr wieder Fahrt auf und es steht für die verschiedenen Gruppierungen im Zeichen des Kampfes gegen die AfD. Dieses Thema spielte am Wochenende bei ganz unterschiedlichen politischen Veranstaltungen …

… eine wichtige Rolle.

Politisches Erwachen im Neuen Jahr: Der Kampf gegen die AfD

Beim Neujahrsempfang der Linken in Berlin ebenso wie beim Jahresauftakttreffen der an marxistisch-leninistischen Parteikonzepten orientierten Linken, der von der jungen Welt organisierten Rosa-Luxemburg-Konferenz.

Einigkeit und Differenzen: Die Linke gegen ein Parteiverbot

Dort war man sich allerdings weitgehend einig, dass ein Parteiverbot schon deshalb nicht der richtige Weg sei, weil die Linke, sollte sie stärker und auch staatskritischer werden, bald mit ebensolchen Verbotsdiskussionen rechnen müsse.

Die Forderung nach Verbot: Demonstration in Potsdam

Vor allem auf der Demonstration in Potsdam dominierte dagegen die Verbotsforderung. Dort wurde die Nähe zu den politisch Verantwortlichen noch einmal dadurch unterstrichen, dass neben Bundesaußenministerin Baerbock auch Bundeskanzler Scholz persönlich in Potsdam auftrat. Die Kundgebung war vom sozialdemokratischen Oberbürgermeister Potsdams in kurzer Zeit aus dem Boden gestampft worden.

Aufdeckung durch Medien: Das Geheimtreffen der Rechten

Unmittelbarer Anlass war eine vor wenigen Tagen lancierte Meldung des linksliberalen Mediennetzwerks Correctiv, das ein Treffen einer Art Neuauflage der Harzburger beobachtet und ausgewertet hatte. Als Harzburger Front bezeichnete man in der Spätphase der Weimarer Republik ein Bündnis von Nazis, Rechtskonservativen und verschiedenen staatstragenden Parteien.

Auch in Potsdam trafen sich im November in einem noblen Hotel CDU-Mitglieder, andere Rechtskonservative, einige Vermögende, AfD-Politiker und sprachen über Remigration, die massenhafte Abschiebung von Menschen mit Migrationshintergrund.

Die Rolle der CDU und Wirtschaft: Verborgene Teilnehmer bei rechten Treffen

Dabei muss man sich zunächst über die Informationspolitik auch der Medien wundern. Da wurde von einem Geheimtreffen von Rechtsextremisten und AfD-Politikern gesprochen, als ob die große Mehrheit der AfD-Politiker nicht selbst Rechtsextremisten wären. Interessanter wäre es, darauf einzugehen, dass gerade bei diesem Treffen auch CDU-Mitglieder und Personen aus der Wirtschaft bei den rechten Treffen anwesend waren.

Die Täuschung der Öffentlichkeit: Was bedeutet „Geheimtreffen“?

Diese Tatsache wurde durch die Themensetzung in den Hintergrund gedrängt. Auch der Begriff Geheimtreffen ist irreführend. Es handelte sich um ein nicht-öffentliches Treffen oder eine Klausurtagung, wie sie tagtäglich in solchen Hotels zu ganz anderen Themen stattfinden. Eine wirkliche Klausurtagung würde sicherlich nicht in einem solchen Hotel stattfinden.

Der Begriff soll etwas Illegales und Verschwörerisches suggerieren. Politisch noch absurder ist der Vergleich mit der Wannseekonferenz, auf der der Massenmord an den Juden besprochen wurde.

Es ist schon auffällig, wie oft in den vergangenen Monaten zu Recht vor einer Relativierung der Shoah gewarnt wurde. Und dann wird ein politisch auf jeden Fall zu bekämpfendes Treffen der Rechten gleich mit der Wannseekonferenz in Verbindung gebracht und damit selbst eine Form der Relativierung der Shoah betrieben.

Die Unbekannten Inhalte: Was wurde wirklich besprochen?

Auffallend ist auch, dass bei all der Aufregung um das Treffen wenig über den eigentlichen Inhalt der Gespräche bekannt wurde. Klar ist nur, dass es um Remigration ging, wie die Rechten ihre Pläne zur massenhaften Abschiebung von Menschen mit Migrationshintergrund inzwischen verharmlosend nennen. Der Begriff schaffte es prompt zum Unwort des Jahres 2023.

Die Reaktion der linksliberalen Jury: Unwort des Jahres 2023

Dass eine linksliberale Jury so schnell auf ihre Begriffsfindung reagiert, können die Rechten sicher als Erfolg ihrer Diskursarbeit verbuchen. Auch der Rechtsintellektuelle Martin Sellner kann sich freuen. Schließlich hat der Mitbegründer der Identitären Bewegung in Österreich das Buch „Remigration. Ein Vorschlag“ im Antaios-Verlag veröffentlicht. Es dürfte nach der Debatte ein Verkaufsschlager werden.

Die offene Frage: Was plant die Rechte wirklich?

Nun ist es kein Geheimnis, dass die Rechte nicht nur in Deutschland die Remigration zu einem ihrer Ziele erklärt hat. Sie steht auch im Wahlprogramm der AfD. Ist es da so verwunderlich, dass die Rechten in Klausur gehen und darüber diskutieren, wie sie dieses Ziel umsetzen wollen?

Es wäre doch wichtig, mehr darüber zu wissen, was sie eigentlich genau planen, um besser dagegen vorgehen zu können, ohne mit dem Kauf von Sellners Buch Geld in die Kassen rechter Verlage zu spülen. Es bleibt die Frage, warum gerade bei den Inhalten der Gespräche eine große Leerstelle bleibt.

Die Parallelen zwischen Rechten und Regierungsparteien

Sind hier die Grenzen der Überwachung erreicht? Oder liegt diese Unbestimmtheit einfach daran, dass die Rechten auf ihrer Potsdamer Klausur mit ihren Remigrationsplänen gar nicht so weit von den Überlegungen der staatstragenden Parteien entfernt sind, die sich in den vergangenen Monaten mit Abschiebeankündigungen überboten haben.

Die Abschiebepolitik der Bundesregierung: Ein kritischer Blick

Besonders markig äußerte sich erneut Bundeskanzler Scholz, der im Spiegel erklärte, dass in großem Stil abgeschoben werden müsse.

Es ist davon auszugehen, dass es dazu auch Klausurtagungen gab, also nicht öffentliche Treffen, bei denen die Details dieser angekündigten Massenabschiebungen besprochen wurden. Remigration nennt man das natürlich nicht. Aber für die Gegner jeder Abschiebung gilt das Motto „Stop Deportation“.

Die Realität der Remigration: Was geschieht wirklich?

Das gilt für sie nicht erst dann, wenn die AfD diese Abschiebungen im großen Stil ankündigt. Denn Remigration findet schon heute mit jeder Abstimmung in Deutschland und noch mehr an den EU-Außengrenzen statt. Dort werden Flüchtlinge in großem Stil zurückgeschickt.

Man kann also von Remigration im großen Stil sprechen, nur eben außerhalb der deutschen Grenzen. Das würde dann auch große Teile der Bevölkerung nicht aufregen, die jetzt zu Recht gegen den Rechtsruck auf die Straße gehen.

Aber dann müsste man sich mit Scholz und Co. auseinandersetzen, wenn sie jetzt dazu aufrufen, dass jetzt alle zusammenstehen müssen gegen die AfD. Für diejenigen, die jetzt massenhaft abgeschoben werden, gilt das offensichtlich nicht.

Die Doppelmoral im Kampf gegen die AfD

Als besonders verwerflich wurde in den Medien noch angemerkt, dass auf der rechten Klausurtagung auch über die Rückwanderung von Migranten gesprochen wurde, die bereits die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Auch hier blieb meist unerwähnt, dass solche Debatten in den vergangenen Monaten auch von Unions- und SPD-Politikern geführt wurden.

Es wurde deutlich gemacht, dass Menschen, die sich etwa islamistisch betätigen, auch die Staatsbürgerschaft wieder entzogen werden könnte.

An solche Debatten knüpfen dann die Ultrarechten mit ihren Remigrationskonzepten an. Und es bleibt nicht bei solchen Plänen – so wurde türkischen Linken die Aufenthaltserlaubnis entzogen, weil sie weiterhin in linken türkischen Exilstrukturen aktiv waren.

2019 forderten einige der Betroffenen in einer Petition die Rückgabe ihrer Aufenthaltstitel. Sie erreichte nicht einmal das bescheidene Ziel von 200 Unterstützerunterschriften. Ilker Sahin, einer der Betroffenen, wurde zu einer Haftstrafe von 5 Monaten ohne Bewährung verurteilt, weil er gegen die Meldeauflagen und die Residenzpflicht verstoßen hatte, indem er vor dem NRW-Justizministerium in Düsseldorf demonstrierte und die Stadt Köln nicht verlassen durfte.

Diese Maßnahmen waren aber die direkte Folge des Entzugs des Aufenthaltsrechts und genau dagegen protestierten Ilker und andere Betroffene mit Dauerdemonstrationen vor dem Düsseldorfer Justizministerium. Es wäre wünschenswert, wenn die Empörung über rechte Remigrationskonzepte dazu führen würde, die Menschen zu unterstützen, die bereits heute in Deutschland mit dem Entzug des Aufenthaltsrechts konfrontiert sind.

Es ist nicht das erste Mal, dass Politiker von SPD und Grünen gemeinsam mit Linksliberalen zum „Aufstand der Anständigen“ aufrufen. Nach rassistischen Anschlägen auf Migranten mit und ohne deutsche Staatsbürgerschaft kam es im Herbst 1992 zu Großdemonstrationen in Berlin.

Auf ihnen wurde der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker ausgebuht, weil er die damaligen massiven Einschränkungen des bundesdeutschen Asylrechts verteidigt und mitgetragen hatte. Im Jahr 2000 rief dann Bundeskanzler Schröder erneut zu einem „Aufstand der Anständigen gegen rechts“ auf, nachdem es vermehrt zu rechten Anschlägen gekommen war.

Als gesellschaftliche Bewegung verpuffte er schnell, hatte aber zur Folge, dass sich eine Vielzahl zivilgesellschaftlicher Initiativen etablierte, die sich gegen unterschiedliche Formen rechter Politik wandten.

Gleichzeitig verlor im Jahr 2000 eine staats- und kapitalismuskritische Antifa-Bewegung, die nicht nur die extreme Rechte, sondern auch die Politik der sogenannten Mitte kritisierte, massiv an Einfluss.

Die Herausforderung für die linke Bewegung: Erneuerung oder Anhängsel?

Wenn 2024 eine Neuauflage dieses Aufstands der Anständigen ausgerufen wird, ist die staatskritische linke Bewegung noch schwächer als vor 24 Jahren. Ob es sie noch gibt und ob sie sich vielleicht sogar erneuern kann, wird unter anderem davon abhängen, ob es ihr gelingt, im entscheidenden Wahljahr 2024 nicht zum bloßen Wahlkampfanhängsel von SPD und Grünen zu werden.

Schafft sie es, eine eigenständige linke Kraft zu werden, die Abschiebungen nicht erst dann kritisiert, wenn sie von rechts als Remigration verkauft werden? Schafft sie es, deutlich zu machen, dass ein großer Teil der realen Remigration heute außerhalb der deutschen Grenzen stattfindet und, wenn es nach dem Willen auch von SPD und Grünen geht, noch verstärkt werden soll?

Die Zukunft der Solidaritätsbewegung: Hoffnung trotz Pessimismus

Werden Scholz und andere Bundespolitiker auch gefragt, wohin sie sich zurückziehen, wenn sie im großen Stil abschieben wollen? Und gelingt es, eine Solidaritätsbewegung mit den Menschen aufzubauen, die schon heute von den Verschärfungen des Asylrechts betroffen sind? Die erwähnte Nichtreaktion auf die Petition von Ilker Sahin stimmt pessimistisch.

Kritische Stimmen gegen die Abschiebepolitik: Hoffnung auf Widerstand

Dass bei den Kundgebungen gegen rechte Politik am Wochenende am Brandenburger Tor auch kritische Stimmen zur Abschiebepolitik der Bundesregierung zu hören waren, zeigt, dass es noch Hoffnung auf eine staats- und regierungsunabhängige Bewegung gibt, die als Antwort auf das Erstarken der AfD noch mehr „demokratische Abschiebungen“ fordert.

Solche Töne waren heute Morgen in der Sendung kontrovers im Deutschlandfunk zu hören, wo man sich in der Ablehnung der AfD und ihrer Rhetorik einig war und dann Vorschläge kam, man müsse Flüchtlinge so abschieben, wie es die dänische Regierung unter starker Beteiligung der dortigen Sozialdemokraten vorexerziert hatte. Diese hatten die dänischen Rechtspopulisten stimmenmäßig dezimiert, weil sie deren Politik in weiten Bereichen übernommen hatten.

Die heuchlerische Politik gegen Rassismus: Irmela Mensah-Schramms Kampf

Würde eine solche Entwicklung auch in Deutschland einsetzen, hätte die seit Jahren unermüdliche Kämpferin gegen Rassismus und Neonazis, Irmela Mensah-Schramm, recht. Im Deutschlandfunk bezeichnete sie kürzlich die Aufrufe der Politik zu mehr Engagement gegen rechts als heuchlerisch.

Man fordere die Bürger auf, lauter zu werden, und ignoriere oder kriminalisiere sie dann. Ihr fast 40-jähriges Engagement sei von Strafanzeigen gegen sie begleitet worden, beklagte Mensah-Schramm und verwies auf eigene Erfahrungen. Die Frau entfernt Nazischmierereien in der ganzen Republik, erhält dafür Ehrungen der Zivilgesellschaft, aber auch immer wieder Probleme mit Polizei und Justiz. Peter Nowak