„Lin May Saeed. Im Paradies fällt der Schnee langsam. Ein Dialog mit Renée Sintenis“ Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, Berlin-Westend (S3, S9 Heerstraße) bis 25. Februar 2024, Mi-Mo 11-18 Uhr Eintritt 8/5/0 Euro

Utopische Harmonie

Das Georg-Kolbe-Museum zeigt die erste und letzte große Einzelausstellung von Lin May Saeed

Gleich beim Eintreten fallen die fast überlebensgroßen Tierskulpturen auf, die den großen Raum im Georg-Kolbe-Museum mit ihrer Präsenz beherrschen. Schon vor dem Eingang werden die BesucherInnen mit einem traurigen Hund konfrontiert, der den Kopf gesenkt hat. Die erste Einzelausstellung der deutsch-irakischen Bildhauerin Lin May Saeed ist ein Erlebnis und auch ein Vermächtnis. Denn die Berliner Künstlerin konnte zwar noch die ausgestellten Werke auswählen, war aber …

… schon schwer erkrankt. Am 30. August 2022 starb sie mit 50 Jahren an einem Gehirntumor. Wir lernen also postum die Arbeit einer Frau kennen, die ihre Kunst eng mit ihrem Tierrechtsaktivismus verbunden hat.

Skulptur gewordene Tierrechte

An der Kunstakademie in Düssel­dorf entdeckte Lin May Saeed nicht nur die Kunstform der Skulptur für sich. Dort wurde sie auch zur Aktivistin für Tierrechte. „Gegen Ende der Neun­zi­ger­jahre kam die Pelz­mode gerade wieder auf. In der Mode­stadt Düssel­dorf war das sehr spür­bar“, berichtete die Künstlerin über den Beginn ihres Engagements. Sie begann Flug­blät­ter zu vertei­len und lernte Gleichgesinnte kennen. Stark beeinflusst wurde die Künstlerin von dem Buch „The Case for Animal Rights“ des US-Philosophen Tom Regan. Das Buch ist ein Grundlagenwerk der Bewegung für Tierrechte. Es liegt mit anderen Büchern zur Philosophie der Tierrechtsbewegung in der Ausstellung zum Lesen bereit.

Lin May Saeed blieb nicht bei der theoretischen Auseinandersetzung um die Rechte der Tiere stehen. In der Exposition ist in einem eigenen Raum auch das mit Beton gefüllte Auto zu sehen, in dem sie acht Stunden vor dem Eingang eines Schlachthofs in Niedersachsen zubrachte. Es war eine Protestaktion gegen die Vernutzung von Tieren.

Romantisches Naturbild

Interessant ist auch der Ausstellungsort. Das Georg-Kolbe-Museum befindet sich in einer noblen Villa tief im Westen Berlins, in dem der deutschnationale Künstler Georg Kolbe von 1928 bis 1947 lebte und arbeitete. Zum konservativen Berliner Bürgertum gehörte auch die Künstlerin Renée Sintenis, deren Werke ebenfalls in der Exposition zu sehen sind. Doch ob die Ausstellung tatsächlich ein „Dialog“ zwischen May Saeed und Sintenis ist, muss bezweifelt werden. Dazu sind allein schon die künstlerischen Exponate zu unterschiedlich. Die kleinen Tierbilder von Sintenis kommen gegenüber den großen Skulpturen von May Saeed kaum zur Geltung.

Interessant wäre auch gewesen, sich kritischer mit der Tierrechtsideologie auseinanderzusetzen, der Lin May Saeed in den letzten Jahren ihres Lebens anhing. Dahinter stand ein teilweise romantisches Bild der Natur, was auch an einigen ihrer Bilder zu erkennen ist, die eine so nie existierende Harmonie zwischen Menschen und Tieren zeigen. Dabei lässt sich der Kampf gegen die kapitalistische Vernutzung von Mensch und Tier auch ohne Naturromantik begründen. Leider gab es dazu auch im umfangreichen Begleitprogramm zu der sehr empfehlenswerten Ausstellung keine Diskussionen.

Peter Nowak 

Ausstellung:
„Lin May Saeed. Im Paradies fällt der Schnee langsam. Ein Dialog mit Renée Sintenis“
Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, Berlin-Westend (S3, S9 Heerstraße)
bis 25. Februar 2024, Mi-Mo 11-18 Uhr
Eintritt 8/5/0 Euro
www.georg-kolbe-museum.de