Lichtenberger Bündnis will Nachbarschaft für die Gefahr der Abwertung von Armut Betroffener sensibilisieren

Berlin-Lichtenberg: Aktionswochen gegen Sozialchauvinismus

Zum Auftakt am 18. November wird ab 18 Uhr in der Remise in der Magdalenenstraße 19 darüber diskutiert, was es bedeutet, in Berlin obdachlos zu sein. Dabei soll über die verschiedenen Formen von Diskriminierung und Ausgrenzung der Menschen ohne Wohnung berichtet und auch die Rolle von Sozialunternehmen und den Trägern der Obdachlosenhilfe kritisch unter die Lupe genommen werden.

In Lichtenberg ist die Bekämpfung rechter Gewalt seit vielen Jahren Thema. Einst war der Bezirk bekannt für neonazistische Strukturen, inzwischen auch für die Zurückdrängung dieser durch zivilgesellschaftliche antifaschistische Organisierung vor Ort. Diese Arbeit wird weiterhin von Anwohner*innen fortgeführt. So starten an diesem Samstag im Ortsteil Lichtenberg die Aktionswochen gegen Sozialchauvinismus, das heißt, gegen die Abwertung von Menschen aufgrund ihrer vermeintlich sozialökonomisch schwächeren Position. Bis zum 15. Dezember soll sich auf acht Veranstaltungen damit beschäftigt werden. Die Veranstaltungsreihe wird …

… von einem Bündnis antifaschistischer und zivilgesellschaftlicher Gruppen vorbereitet, die sich teilweise seit Jahren mit den unterschiedlichen Formen rechter Gewalt auseinandersetzen.

»Die Aktionswochen sind für uns die logische Fortsetzung der Auseinandersetzung mit zwei rechten Morden in unserem Bezirk«, sagt Moritz von der Antifaschistischen Vernetzung Lichtenberg (AVL) zu »nd«, die Teil des Bündnisses ist. Der Aktivist bezieht sich dabei auf die Morde an Kurt Schneider im Jahr 1999 und Eugeniu Botnari im Jahr 2016.

»Sozialchauvinismus, also die Stereotypisierung und Abwertung von armen Menschen, Suchtkranken oder Transferleistungsbezieher*innen, war das Tatmotiv für die Mörder von Kurt Schneider«, sagt Moritz. Der 38-Jährige wurde am 6. Oktober 1999 von vier Neonazis an einer Tankstelle an der Frankfurter Allee zunächst zusammengeschlagen und anschließend mit einem Küchenmesser erstochen. 2018 wurde Schneider als Opfer rechter Gewalt anerkannt. Seit 2019 erinnert eine Gedenktafel in der Nähe des Tatorts an ihn.

Moritz bezeichnet im Gespräch mit »nd« Eugeniu Botnari als weiteres Opfer des Sozialchauvinismus in Lichtenberg. Der Migrant aus Moldau arbeitete als Hilfsarbeiter auf dem Bau. Nachdem er seine Arbeit verloren hatte, wurde er obdachlos. Am 20. September 2016 wurde Botnari wegen eines vermeintlichen Ladendiebstahls von dem Inhaber eines Supermarkts in Lichtenberg so schwer verprügelt, dass er wenige Stunden später an den Folgen verstarb. Im April 2023 beschloss das Bezirksamt Lichtenberg, den bisher namenlosen Bahnhofsvorplatz nach Botnari zu benennen. Damit wurde eine Forderung von Anwohner*innen und antifaschistischen Gruppen in Lichtenberg umgesetzt, die jährlich am Todestag an Botnari erinnerten.

»Sein Tod macht auch deutlich, dass Sozialchauvinismus bis weit in die Mitte der Gesellschaft verbreitet ist«, erklärte Lena, die ebenfalls bei AVL aktiv ist. »Um das zu sehen, reicht häufig schon ein Blick auf die Titelseiten der Springerpresse. Dem möchten wir etwas entgegensetzen und zumindest in unserem Bezirk eine Sensibilisierung schaffen«, benennt sie die Zielsetzung der Aktionswochen.

Zum Auftakt am 18. November wird ab 18 Uhr in der Remise in der Magdalenenstraße 19 darüber diskutiert, was es bedeutet, in Berlin obdachlos zu sein. Dabei soll über die verschiedenen Formen von Diskriminierung und Ausgrenzung der Menschen ohne Wohnung berichtet und auch die Rolle von Sozialunternehmen und den Trägern der Obdachlosenhilfe kritisch unter die Lupe genommen werden.

In weiteren Veranstaltungen wird unter anderem über die Proteste gegen die Hartz-IV-Gesetze vor Jahren gesprochen und über die Entstehung von Sozialchauvinismus aus wissenschaftlicher Perspektive. Bei einem Rundgang zum ehemaligen Berliner Arbeitshaus wird Historiker Thomas Irmer über die vergessene Geschichte der Verfolgung von als »asozial« stigmatisierten Menschen im Nationalsozialismus informieren. Treffpunkt ist der 3. Dezember, 14 Uhr, am Gedenkort in der Hauptstraße 8.

Die Antifaschist*innen Lena und Moritz betonen, dass die Aktionswochen auch zur Vernetzung im Stadtteil beitragen sollen. »Wir wollen verschiedenste solidarische Orte im Bezirk für die Nachbar*innenschaft und das Veranstaltungspublikum bekannt machen. Vielen ist nicht bewusst, wie viele solcher Orte es auch in Lichtenberg gibt.«

Das vollständige Programm der Lichtenberger Aktionswochen gegen Sozialchauvinismus findet sich unter: aktionswochen.blackblogs.org/2023/08/29/programm-2023/

Peter Nowak