
Am 17 September 2023, sprang ein Geflüchteter aus Pakistan aus dem fünften Stockwerk seiner Wohnung in Eberswalde, er überlebte schwer verletzt. Der Mann war in Panik geraten, weil die Polizei vor der Wohnungstür stand. Die suchten allerdings einen Mitbewohner. Diese Panik ist auch die Folge einer deutschen Flüchtlingspolitik, die Aktivist*innen der Antirassistischen Initiative Berlin (ARI) seit 30 Jahren beobachten. In diesen Tagen erscheint ihre neue …
… Auflage der Dokumentation »Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen«, in die das »nd« bereits einen Blick werfen konnte.Das kleine Team der ARI sammelt Nachrichten über Todesfälle, Misshandlungen und Gewalt im Zusammenhang mit der deutschen Flüchtlingspolitik. Auch Vorfälle an den deutschen Grenzen, aber auch infolge rassistischer Angriffe vonseiten der Bevölkerung und im öffentlichen Raum werden aufgeführt.Die meisten der von dem Dokumentationsteam akribisch geprüften Fälle werden öffentlich kaum wahrgenommen oder werden schnell vergessen. So wurde am 19. Mai 2022 in Chemnitz Bilal Jafal tot in seinem Bett aufgefunden. Seine Mitbewohner*innen sagten, dass der libanesische Geflüchtete schwere Verletzungen im Gesicht und am Kopf erlitten hatte, nachdem er von zwei Männern in der Innenstadt angegriffen wurde. Dabei wurde ihm auch eine Flasche auf den Hinterkopf geschlagen. Öffentlich wenig berichtet wurde auch, dass am 24. Mai 2022 neun kurdische Geflüchtete von einem Stromschlag schwer verletzt wurden, als sie am Münchner Rangierbahnhof aus dem Güterzug klettern wollten, mit dem sie die letzte Station ihrer langen Flucht durch verschiedene Länder zurückgelegt hatten. Eine junge Frau stirbt, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben, ein junger Mann ist seitdem halbseitig gelähmt. Die Ausländerbehörde droht ihm mit Abschiebung.Tausende solcher Schicksale hat die ARI seit drei Jahrzehnten gesammelt. Elke Schmidt hat das antirassistische Projekt 1993 mit einer Mitstreiterin gestartet. Damals hatte sich der Onkel eines verschwundenen tamilischen Flüchtlings an die ARI gewandt. Die ARI forschte nach und fand heraus, dass der Mann mit acht anderen Menschen aus Sri Lanka beim Grenzübertritt in der Neiße an der deutsch-polnischen Grenze ertrunken war. Mit einem Filmteam machte die ARI damals seinen Tod öffentlich.Im Jahr 2022 starben laut der aktuellen Dokumentation mindestens zwei Personen auf dem Weg in die Bundesrepublik oder an ihren Grenzen, 59 Geflüchtete verletzten sich dabei. Mindestens 470 Fälle von Selbstverletzungen und Suiziden zählt die ARI unter Geflüchteten, 24 dieser Fälle ereigneten sich in Haft.Die Recherchearbeit der ARI ist eine gute Ergänzung der Dokumentation der Initiative Death in Custody, die 233 Todesfälle von Schwarzen Menschen, People of Color und von Rassismus betroffenen Menschen durch Polizeigewalt und in staatlichem Gewahrsam seit 1990 in Deutschland auflistet. Beide Dokumentationen sind das Zeugnis einer erschreckenden Realität in Deutschland, die häufig vergessen wird. Peter Nowak