Hubert Aiwanger (Freie Wähler) bleibt vorerst im Amt. Das entschied der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Sonntagmittag, wie in einer Pressemitteilung erklärt wurde. Nachdem der Chef der Freien Wähler in Bayern den Fragenkatalog an den bayerischen Ministerpräsidenten geschickt hatte, war Söders Reaktion abgewartet worden. Dass er Aiwanger vorerst im Amt belässt, mag auch eine …
… taktische Frage sein. Denn nun gilt es, Aiwanger zu zähmen, damit er als Koalitionspartner der CSU nicht zu forsch auftritt.
Söder wird sich noch an die Kundgebung gegen das Energiegesetz der Bundesregierung erinnern, bei der Aiwanger mit seiner populistischen Volte Söder glatt die Show gestohlen hat. Da gab Aiwanger den Strauß, der ja der Prototyp eines erfolgreichen Rechtspopulisten in der BRD war.
Erfolg des rechten Stammtischs
Hätte Söder Aiwanger entlassen, hätte er sich als Opfer nicht nur einer Kampagne der Linken und Linksliberalen, sondern auch der CSU darstellen können. Möglicherweise hätte er dann auf deren Kosten Stimmengewinne erzielen können.
Insofern ist die Entscheidung von Söder selbst auch eine populistische Entscheidung und folgt der Vorgabe von Franz Josef Strauß, niemals gegen den bayerischen Stammtisch zu regieren. Wer gesehen hat, wie Aiwanger in den vergangenen Tagen in bayerischen Bierzelten gefeiert wurde, bekommt eine Ahnung von jenem Deutschland, in dem noch unberührt von allen woken Diskussionen eine rechte Hegemonie herrscht. Dort kann sich ein Aiwanger als Opfer feiern lassen.
Genau diese Stimmung befördert Aiwanger mit seinem Umgang mit den Vorwürfen, wenn er von einer Kampagne gegen ihn spricht. Er muss gar nicht im Einzelnen aufzählen, wer diese Kampagne angeblich trägt: die SPD, die Grünen, die Linke allgemein.
Natürlich wird er die jüdischen Interessenverbände nicht beim Namen nennen, die fordern, dass die rechten Flugblätter aus Aiwangers Schultagen nicht einfach folgenlos bleiben dürfen. Denn die blieben eben nicht in Aiwangers Schultasche, wie rechte Kreise jetzt munkeln, sondern wurden in der Schule vermutlich auch verteilt.
Indem sich Aiwanger als Opfer bestimmter Kampagnen stilisiert, verhält er sich wie viele Rechte, die, wenn Konsequenzen für ihr Handeln gefordert werden, auf die Kampagnen derer verweisen, die schon immer Gegner der Rechten waren und sind.
Vorbild Waldheim
Aiwanger agiert hier wie der ehemalige österreichische Bundespräsident Kurt Waldheim, der Wahlkämpfe nur mit Ressentiments gegen diejenigen führte, die einen ehemaligen aktiven Nazi nicht im Präsidentenamt sehen wollten. Und ein großer Teil dieses Österreichs, das zeigt der Film Waldheims Walzer von Ruth Beckermann, der auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung heruntergeladen werden kann, hat sich hinter Waldheim versammelt.
Dort wird auch gezeigt, dass Waldheims Anhänger sich eines offenen Antisemitismus bedienten, den der Kandidat freilich nie so offen äußerte. Die Kampagne für Waldheim bereitete auch den Boden für den Aufstieg der rechtspopulistischen FPÖ. Der damalige große Zampano der österreichischen Rechtspopulisten, Jörg Haider, brauchte nur aufzugreifen, was in der Kampagne für Waldheim vorbereitet worden war.
Wer profitiert von der Aiwanger-Affäre?
Nun könnte man sich fragen, wer von der Affäre Aiwanger profitiert? Die Freien Wähler, die CSU oder vielleicht die Alternative für Deutschland (AfD)? Das wird auch davon abhängen, wie es in der Causa Aiwanger weitergeht. Denn die heutige Erklärung Söders stellt Aiwanger auf Bewährung. Sollte mehr über seine vermeintlich rechten Jugendjahre bekannt werden, könnte er sein Amt noch verlieren.
Diese Distanz zeigt sich auch in Söders Aussage, Aiwanger solle sich wieder Vertrauen erarbeiten und sich in Demut üben. Das kommt bei einem Teil seiner Anhänger, die ihr Idol gerade als Opfer sehen und entsprechend inszenieren wollen, sicher nicht gut an. Söder geht es um eine möglichst handzahme rechte Opposition. Denn dass die Freien Wähler bisher als eine Art salonfähige AfD funktionierten, war auch klar.
Aber Söder steht auch bei der CSU-Basis unter Druck, denn die wollte eine CSU à la Strauß, nach der rechts von ihr nur noch die Wand ist. Das heißt, die CSU soll so viel rechte Politik machen, dass es von rechts keine Konkurrenz mehr gibt. Dafür verbreitete Strauß Parolen, die sich heute nicht einmal ein Björn Höcke von der AfD leisten könnte.
Erinnert sei nur daran, dass Strauß schon 1969 erklärte, ein deutsches Volk mit seinen Nachkriegserfolgen wolle von Auschwitz nichts mehr hören. Strauß hätte also auch keine Skrupel gehabt, antisemitische Parolen zu verbreiten, wenn es seinem Credo gedient hätte, dass rechts von ihm nur die Wand sein darf.
Wenn Söder nun Aiwanger als Hausaufgabe mitgibt, sich mit den jüdischen Gemeinden ins Benehmen zu setzen, ist das nur auf den ersten Blick eine Maßnahme gegen Antisemitismus. Denn Söder schiebt jetzt den jüdischen Organisationen den Schwarzen Peter zu, sich mit dem Chef der Freien Wähler auseinanderzusetzen. Dabei wäre das in mehrfacher Hinsicht eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Insofern hat der rechtskonservative Historiker Michael Wolfssohn recht, wenn er in Bild schreibt, dass bei Konflikten in der deutschen Politik nicht immer die Juden herhalten sollten. Umso unverständlicher ist es, dass Wolfssohn sich dann auf die Seite Aiwangers schlägt.
Antisemiten und Judenmörder im Parlament des Nachkriegsdeutschlands
Eine gewisse Scheinheiligkeit kann man der aktuellen Diskussion natürlich nicht absprechen. Denn auch Aiwangers Kritiker erwecken den falschen Eindruck, in Deutschland könne niemand politische Karriere machen, der sich über KZ-Opfer lustig macht. Dabei saßen bis in die 1970er-Jahre in allen Bundes- und Landtagen Politiker, die in der NS-Zeit an der Verhaftung und Ermordung von politischen Gefangenen, aber auch von Juden beteiligt waren, und sie waren meist älter als 16 Jahre. Diese NS-Täter wurden bis in die 1990er-Jahre von großen Teilen der Bevölkerung gefeiert oder zumindest verteidigt.
Zum politischen Klima in der Jugend der 1990er-Jahre, als Aiwanger zur Schule ging, hat Eberhard Seidel in der Taz unter dem Stichwort „Völkische Jugend“ einige wichtige Hintergrundinformationen geliefert, die heute weitgehend vergessen sind. Denn nicht nur Ostdeutschland hatte in den 1990er-Jahren seine Baseballschläger-Jahre. Auch in vielen Teilen der BRD gab es Zonen, in denen Menschen, die nicht ins rechte Weltbild passten, Angst haben mussten. Eberhard Seidel nennt einige Beispiele:
1988, als das Flugblatt erscheint, tickt ein Teil der um 1970 in Westdeutschland Geborenen rechts, national und völkisch. In diesen Jahren sind rechtsradikale Hooligans, neonazistische Kameradschaften (Michael Kühnen und andere), rechte Skinheads, rechte Rockbands, Holocaust- Leugnung und Geschichtsrevisionismus immens erfolgreich unter der westdeutschen Jugend. Es ist eine Subkultur, die vor allem die Gleichaltrigen aus türkischen, jugoslawischen, griechischen und marokkanischen Familien als Bedrohung sieht.
Eberhard Seidel, Taz vom 2./3. September
Daniel Keil beschreibt eine solche rechte Zone am Beispiel des osthessischen Neuhof, wo Martin Hohmann lange Bürgermeister war. Hohmann wurde wegen einer antisemitisch verlesenen Rede aus der CDU ausgeschlossen und dockte schnell bei der AfD an.
Eine solche Auseinandersetzung um rechte Zonen auch in Westdeutschland könnte das Beste sein, was durch die Aiwanger-Affäre passieren kann. Das wird aber verhindert, wenn die Angelegenheit so extrem personalisiert und wenn schließlich von Söder die Aufgabe, sich damit auseinanderzusetzen, den jüdischen Verbänden zugeschoben wird.
Nur wenigen fällt auf, dass das Pamphlet der Aiwanger-Brüder nicht nur Juden beleidigt, sondern alle Nazi-Gegner, die in den genannten Lagern eingesperrt, gefoltert und teilweise ermordet wurden. Darauf weist der jüdische Sozialist Ernst Grube hin. Er ist einer der wenigen noch lebenden Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime. Trotz aller Sonntagsreden ist von dem Erlebten seiner Generation in weiten Teilen der Gesellschaft wenig zu hören. Auch das ist eine bittere Erkenntnis der Causa Aiwanger.
Peter Nowak