Wenn es nach Sonntagsreden auf EU-Ebene ginge, hätten sie nie inhaftiert werden dürfen. Jetzt wurden sie freigelassen. Die Reaktionen zeigen eine perfide Doppelmoral.

Wie aus Fluchthelfern Schlepper werden

Vor allen antirassistische Gruppen beobachteten einige der Verfahrenund schrieben darüber. Den Zeugnissen dieser kleinen Solidaritätsbewegung verdanken wir es, dass die nur als Schlepper betitelten Menschen einen Namen und ein Gesicht bekommen. Es sind Menschen wie Ahmed Hamed oder die unter der Sammelbezeichnung Rözke 11 zusammengefasste Gruppe von Geflüchteten, die kriminalisiert wurden, weil sie an der Grenze vermitteln wollten und ihre Dolmetscherdienste anboten.

Ungarn steht immer wieder wegen seiner rechtskonservativen Innenpolitik und seiner nicht ganz so russlandfeindlichen Außenpolitik bei Politikern der EU in der Kritik, während Rechte aller Couleur ein Vorbild in Ungarn sehen. Beide Seiten müssten eigentlich verwirrt sein über den jüngsten Schritt der ungarischen Regierung, der dazu führte, dass Österreich den ungarischen Botschafter einberief. Denn die rechtskonservative Regierung hat doch tatsächlich  …

„Schlepper freigelassen“, wie es in vielen Medien hieß.

Das Selbstverständnis der EU

Dabei handelt es sich allerdings um einen rassistischen Begriff. Wie die Bundeszentrale für politische Bildung richtig anmerkt, handelt es sich um Fluchthelfer. Es ist von der politischen Konjunktur abhängig, wenn die Menschen wegen der Hilfe bei der Flucht ausgezeichnet oder als angebliche Schlepper stigmatisiert und kriminalisiert werden. In der BRD galten alle, die Fluchthilfe aus der DDR in den Westen geleistet hatten, pauschal als Helden. Aus Sicht der DDR-Offiziellen waren sie Schlepper.

Es sagt viel über das europäische Grenzregime, wenn im offiziellen Sprachgebrauch der EU, die Menschen, die dafür sorgen, dass zumindest noch manchmal Geflüchtete hereinkommen, ebenfalls als Schlepper diffamiert und ihnen lange Haftstrafen gewünscht werden.

Anders ist nicht zu erklären, dass sich die EU-Verantwortlichen jetzt darüber aufregen, dass Fluchthelfer endlich aus der ungarischen Haft entlassen wurden, in die sie eigentlich – wenn man die Sonntagsreden der EU und auch Urteile von europäischen Gerichten – ernst nimmt, nie hätten kommen dürfen.

Wenn in der DDR Fluchthelfer freigelassen wurden, stand meistens ein Deal dahinter. Danach wurden sie zumindest kurzzeitig als Helden gefeiert, egal welche politischen Hintergründe sie hatten. Doch die in Ungarn inhaftierten Fluchthelfer gelten nicht als Helden, sie gelten als Gefahr für die EU. Denn natürlich hat die ungarische Rechtsregierung nicht plötzlich einen Antirassismus-Kurs absolviert und die Menschen deshalb freigelassen. Vielmehr war ihr die Haft zu teuer – und außerdem wollten sie die EU vorführen, deren Gerichte ja die ungarische Regierung gerne mal rügen für ihre Rechtsaußen-Politik, für ihre Missachtung der Rechte von Minderheiten und Geflüchteten.

Die Reaktionen auf die Freilassung machten in der Tat die Heuchelei dieser EU-Länder deutlich und zeigten, dass sie sich in der Kriminalisierung von Geflüchteten und Fluchthelfern mit der viel geschmähten ungarischen Regierung durchaus einig sind. Das wurde schon in den letzten Jahren deutlich, als viele EU-Länder Ungarn vordergründig wegen seiner Abschottungspolitik kritisierten und intern äußerten, dass sie froh waren, dass Ungarn und auch die Balkan-Länder die Geflüchteten stoppten.

Röszke 11 oder die schwache Solidarität

Man wollte kein zweites 2015 – dieser Spruch ist immer wieder zu hören. Damit ist eine Situation gemeint, in der Ungarn eben nicht als Grenzwächter aufgetreten ist, sondern die Geflüchteten in die Länder gelassen hat, in die sie wollten, die meisten nach Deutschland. Damals wurden sie von einem erheblichen Teil der Bevölkerung in Deutschland begrüßt. Das dürfte den aus ungarischer Haft entlassenen und in ausgewiesenen Fluchthelfern nicht passieren.

Es wäre schon ein Erfolg, wenn es gelänge, weitere Repression gegen sie zu verhindern. Es gab in den letzten Jahren nur eine schwache Solidarität mit den in Ungarn inhaftierten Fluchthelfern. Vor allen antirassistische Gruppen beobachteten einige der Verfahrenund schrieben darüber:.

Am 20. September 2018 waren wir erneut als internationale Beobachter beim Prozess gegen den Syrer Ahmed Hamed in Szeged (Südungarn). Ahmed H. hatte im September 2015 seine Eltern und die Familie seines Bruders auf der Flucht von Syrien nach Europa begleitet und aus menschlicher Not gehandelt, als es nach der plötzlichen Schließung der ungarischen Grenze zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den Flüchtenden kam. Danach wurde er als „Rädelsführer“ verhaftet.


Aus der Erklärung der internationalen Beobachtungsdelegation am Prozess gegen Ahmed H.

Den Zeugnissen dieser kleinen Solidaritätsbewegung verdanken wir es, dass die nur als Schlepper betitelten Menschen einen Namen und ein Gesicht bekommen. Es sind Menschen wie Ahmed Hamed oder die unter der Sammelbezeichnung Rözke 11 zusammengefasste Gruppe von Geflüchteten, die kriminalisiert wurden, weil sie an der Grenze vermitteln wollten und ihre Dolmetscherdienste anboten.

Nicht nur in Ungarn, auch in Polen sitzen Menschen im Gefängnis, weil sie verhindern wollten, dass die Migranten aus Belorussland, die von der polnischen Politik und Presse zur nationalen Gefahr erklärt worden waren, einfach im Wald erfrieren oder verhungern. In der Regel erfahren wir wenig über ihr Schicksal und auch nichts über das der Menschen, die zu Schleppern erklärt werden.

Durch den berechnenden Akt ihrer Freilassung durch die ungarische Regierung werden sie für kurze Zeit bekannt und machen einmal mehr deutlich, wie schwach die Kräfte sind, die dafür eintreten, dass Menschenrechte, dazu gehört auch die Bewegungsfreiheit unteilbar sind. (Peter Nowak)