Ein erst 2020 eröffnetes Lokal in Weimar wird geschlossen. Die Inhaberinnen werfen Behörden und Rathausspitze nach Zerstörungen Verharmlosung der Gefahr von rechts vor.

Kein Platz für das Café „Spunk“

Kritik üben die Betreiberinnen insbesondere am Verhalten der Behörden. So konnte bis heute keiner der Täter ermittelt werden, obwohl die Gruppe, die mutmaßlich für die Angriffe verantwortlich sind, antifaschistischen Initiativen durchaus bekannt ist. Die Polizei erklärt, es gebe keine Beweise. Zudem widerspricht das "Spunk"-Team dem parteilosen Oberbürgermeister Peter Kleine, der in Weimar keine organisierten Rechten sehen will. »Diese Stadt hat ein echtes Naziproblem«, erklärte das Team.

Das kleine Café in der Weimarer Marienstraße passt in die Umgebung: Die Bauhaus-Universität befindet sich in Sichtweite, die Gegend ist von jungen Menschen bevölkert. Manche von ihnen kommen auf einen Kaffee oder Tee ins Café „Spunk“. Bei schönem Wetter sitzen sie plaudernd auf einer hölzernen Sitzbank vor dem Laden. Auch der Innenraum lädt zum Verweilen ein. Geschmackvoll wurden alte Tische und Stühle restauriert. Das „Spunk“ ist ein Wohlfühlcafé, das aber auch klar als Ort zu erkennen ist, an dem Rechte nicht erwünscht sind. So steht auf dem Tresen die Skulptur einer geballten Faust mit rot lackierten Fingernägeln. Dass sich die Betreiberinnen Lara Lütke und Alessa Dresel klar links positionieren, ist an den Büchern im Schaufenster zu erkennen. Feministische Titel und ein Comic gegen rechts gehören dazu. In einem Regal liegen Flyer von antirassistischen und antifaschistischen Initiativen aus Weimar und Umgebung. Doch nach den Semesterferien wird es den Treffpunkt in der bisherigen Form nicht mehr geben. Die Besitzerinnen wollen den Betrieb …

… mit Beginn des Herbstsemesters einstellen. Jetzt würden nur noch die Modalitäten der Übernahme durch einen anderen Betreiber verhandelt, erzählt ein junger Mitarbeiter. Er studiert Urbanistik in der Bauhaus-Uni und verdient sich seinen Lebensunterhalt mit der Arbeit im Café. Lütke und Dresel haben als Grund für die Einstellung des Betriebs wiederholte, mutmaßlich rechts motivierte Angriffe einerseits und mangelnde Solidarität der Stadtgesellschaft andererseits angegeben. Sogar mitten am Tag sei eine Gruppe von Jugendlichen aggressiv gegen Gäste und einen Mitarbeiter vorgegangen, erzählten sie kürzlich dem MDR. Bevor die Täter flohen, zerstörten sie noch eine Regenbogenfahne. Ein Mann aus der Tätergruppe filmte den Angriff. Dieser Vorfall im Juni war der letzte Auslöser für die Frauen, entnervt aufzugeben. Schließlich habe es eine ganze Serie rechter Angriffe gegeben, erzählt der Mitarbeiter im Gespräch mit „nd“. Die Betreiberinnen hatten daraufhin zornig erklärt: „Wir haben keinen Bock mehr auf diese Stadt, wir schließen im Herbst.“ Schon vor der Eröffnung im März 2020 wurde das Schlüsselloch des Cafés mehrmals mit Sekundenkleber zugeschmiert, zweimal mussten Lütke und Dresel das Schloss ersetzen. Im Februar 2021 wurde die Fensterscheibe, an der von innen ­Gedenkplakate für die neun Opfer des rassistischen Anschlags von Hanau angebracht waren, mit einem Ziegelstein eingeworfen. Im November 2021 wurde mit einem spitzen Gegenstand auf die Fensterscheibe eingeschlagen. An der entsprechenden Stelle hing ein Plakat, das zu einer Demo gegen einen Aufmarsch der Neonazipartei III. Weg im oberfränkischen Wunsiedel aufrief.  Im Frühjahr 2022 wurde das Ladenfenster zweimal mit schwarz-rot-gelben Farbbomben beworfen, einmal an Hitlers Geburtstag. Dabei sei auch die Hausfassade beschädigt worden, berichteten Lütke und Dresel. Die Kosten für die Reinigung seien bei ihnen hängen geblieben. Hinzu kam die psychische Belastung. „Von rechter Gewalt und Bedrohung betroffen zu sein, ist nicht nur für uns eine emotional sehr belastende und psychisch traumatische Erfahrung. Diese Ereignisse versetzen uns als Betroffene in einen Zustand der permanenten Angst und kosten uns jeden Tag unglaubliche Überwindung, den Betrieb geöffnet zu halten“, sagte Alessa Dresel dem MDR. Kritik üben die Betreiberinnen insbesondere am Verhalten der Behörden. So konnte bis heute keiner der Täter ermittelt werden, obwohl die Gruppe, die mutmaßlich für die Angriffe verantwortlich sind, antifaschistischen Initiativen durchaus bekannt ist. Die Polizei erklärt, es gebe keine Beweise. Zudem widerspricht das „Spunk“-Team dem parteilosen Oberbürgermeister Peter Kleine, der in Weimar keine organisierten Rechten sehen will. »Diese Stadt hat ein echtes Naziproblem«, erklärte das Team. Mit dieser Einschätzung ist es keineswegs allein. Vor einem Jahr hatten mehr als 50 zivilgesellschaftliche Initiativen einen offenen Brief an Kleine unterzeichnet, in dem er aufgefordert wird, stärker gegen den zunehmenden Rassismus in der Stadt vorzugehen. Auch das Café „Spunk“ gehörte zu den Unterzeichnern – ebenso wie die Stadtwerke und die Grüne Jugend. Dass es sich hierbei keineswegs um Panikmache handelt, wird an der Liste von rechten Aktionen deutlich, die von zivilgesellschaftlichen Gruppen bekannt gemacht wurden. Allein für die ersten drei Monate des Jahres 2021 kam eine lange Aufzählung zusammen. Nur einige Beispiele: Am 21. Januar 2021 wurden in der Innenstadt vier Stolpersteine mit grauer Farbe übermalt. Im März 2021 wurden Plakate, die an die Opfer des Anschlags von Hanau im Februar 2020 erinnern, mit blauer Farbe unkenntlich gemacht. Am 28. März 2021 wurde eine Ausstellung des Netzwerkes Antirassismus Weimar zum Internationalen Tag gegen Rassismus zerstört, die am Jugend- und Kulturzentrum Mon Ami angebracht war. Dort berichteten Menschen über ihre Rassismuserfahrungen in Weimar. Den Betreiber*innenwechsel im Café „Spunk“ könnten die Rechten als Erfolg verbuchen. Denn die Interessenten, die den Betrieb weiterführen wollen, haben bereits erklärt, sie wollten strikt unpolitisch bleiben. Peter Nowak