"Konspirationistisches Manifest": Nach der Schrift vom "kommenden Aufstand" gibt sich erneut eine akademisch geprägte Gruppe in einem Essay rebellisch.

Anonymes Bekenntnis zur Verschwörung

Es wimmelt an Zitaten von Wissenschaftlern, Philosophen und Schriftstellern Auch wenig bekannte Quellen werden herangezogen. Besonders frappierend ist, dass die Autoren auch in den verschiedenen Wissensfakultäten bewandert sind. Seien es die verschiedenen Literaturepochen, theologische Abhandlungen, aber auch viele Quellen aus der Vorgeschichte von Internet und Smartphone. Zu all diesen Themen und noch viel mehr haben die Buchautoren geforscht. Wie schon beim Komitee-Text bleibt auch hier die Perspektive bescheiden. Letztlich läuft es hier auf ein widerständiges Leben heraus, das nicht näher spezifiziert, aber mit dem Begriff "sich verschwören" schon wieder mystifiziert wird.

„Wir sind Konspirationisten, wie von nun an alle vernünftigen Menschen“. Mit diesem Satz, der in Deutschland auch bei vielen Linken die Alarmglocken klingeln lässt, beginnt ein knapp 200-seitiger Essay, der den schlichten Titel „Konspirationistisches Manifest“ trägt. Das Buch ist ganz in Schwarz gehalten und auf der Rückseite prangt der etwas kryptische Satz: „Wer werden siegen, weil wir tiefgründiger sind“.Der Text wird dem Umfeld des „Unsichtbaren Komitees“ zugerechnet, jener Gruppe von Intellektuellen, die sich mit ihrer 2007 zuerst in französischer Sprache erschienenen Schrift „Der kommende Aufstand“ anonym als Staats- und mehr noch als Zivilisationskritiker hervorgetan haben. Die Texte des „Unsichtbare Komitees“ wurden von Teilen der außerparlamentarischen Linken in Deutschland verschlungen, bekamen aber auch durchweg gute Kritiken im bürgerlichen und linksliberalen Feuilleton. Das ist auch nicht so verwunderlich, weil das Manifest …

… bei aller rhetorischen Radikalität jegliche Form linker Organisation abgelehnt – und letztlich ein Rückzug in selbstorganisierte Landkommunen und sogenannte temporär befreite Zonen propagiert wird. Dabei wird übersehen, dass sich dort dann vielleicht die Polizei eine Zeit lang zurückzieht, aber die kapitalistischen und patriarchalen Gesellschaftsstrukturen deshalb nicht verschwunden sind.

Radikaler Flügel des Liberalismus

Da in den Texten des „Unsichtbaren Komitees“ auch jede Form von gewerkschaftlicher Tätigkeit abgelehnt wurde, konnte man von einem radikalen Liberalismus kombiniert mit anarchistischen Grundannahmen sprechen, was für Teile der außerparlamentarischen Linken vieler europäischer Länder und der USA nicht untypisch ist.

Das machte den Text des „Unsichtbaren Komitees“ attraktiv auch für das liberale Feuilleton. Auch das „Konspirationistische Manifest“ ist geprägt von einer totalen Ablehnung nicht nur jedes Staates und jeder Herrschaft, es ist auch eine Zivilisationskritik. Wie immer die Beziehungen der Autoren der neuen Schrift zum „Unsichtbaren Komitee“ gestaltet sind – dazu gibt es ja aus verständlichen Gründen keine offiziellen Erklärungen –, ideologisch ist eine Nähe unverkennbar.

In der positiven Form liest sich vor allem der erste Teil des „Konspi“-Manifests sehr spannend, man ist schnell gefangen im besonderen Sound des Textes. Aber man stellt auch fest, dass die Autoren, auch hier dem Komitee sehr ähnlich, sich wenig um reale Machtverschiebungen in bürgerlichen Gesellschaften interessieren und schon gar nicht für Klassenkämpfe.

Dass ist nicht verwunderlich, weil die Autoren unverkennbar einen akademischen Hintergrund haben, wie unschwer an den Zitaten einer Menge von Wissenschaftlern, Philosophen und Schriftstellern zu erkennen ist. Auch wenig bekannte Quellen werden herangezogen. Besonders frappierend ist, dass die Autoren auch in den verschiedenen Wissensfakultäten bewandert sind.

Seien es die verschiedenen Literaturepochen, theologische Abhandlungen, aber auch viele Quellen aus der Vorgeschichte von Internet und Smartphone. Zu all diesen Themen und noch viel mehr haben die Buchautoren geforscht. Wie schon beim Komitee-Text bleibt auch hier die Perspektive bescheiden. Letztlich läuft es hier auf ein widerständiges Leben heraus, das nicht näher spezifiziert wird, aber mit dem Begriff „sich verschwören“ schon wieder mystifiziert wird.

Wobei die Autoren schon am Anfang des Buches die Herkunft des Wortes darlegen und erklärten, dass es ursprünglich um Treffen ging. Es wird nur in einigen Thesen am Schluss davor gewarnt, in wahrnehmbaren linken Gruppen aktiv zu werden.

Sie sollten möglich nicht auf den Radar von repressiven Staatsapparaten kommen. Konträr zu dieser doch sehr gemäßigten Perspektive finden sich immer wieder auch positive Bezüge einer radikalen Praxis in dem Buch. Die Autoren beziehen sich sogar manchmal positiv auf die radikale Phase der Bolschewiki von 1917 bis 1920 und loben da auch die Schriften des kommunistischen Philosophen Georg Lukacs zu dieser Zeit. Heftig kritisiert wird er allerdings dafür, auch später an sozialistischen Vorstellungen festgehalten zu haben.

Kein wirklicher Begriff vom Staat und seinen Apparaten

Die Fokussierung der Autoren auf den Kampf gegen die Macht in all ihren unterschiedlichen Ausführungen führt dazu, dass an manchen Stellen die Unterschiede zwischen bürgerlicher Demokratie und faschistischer Herrschaft verschwinden.

So richtig es ist, immer wieder zu betonen, dass auch Faschismus eine bürgerliche Herrschaftsform ist, so falsch ist es, quasi jeden Unterschied einzuebnen. Diesen Eindruck hat man manchmal, wenn dann darüber geschrieben wird, welche linken Wissenschaftler auch in den 1930er- und 1940er-Jahren mit den US-Staatsapparaten kooperierten. Dass es dabei um den Kampf gegen den deutschen Faschismus ging, dessen Niederlage für Juden beispielsweise nun gar nicht nebensächlich war, bleibt bei einer allgemeinen Machtkritik ausgeblendet.

Diese fehlende Differenzierung wird auch deutlich, wenn da die These vertreten wird, der Grund für die Lockdowns im Frühjahr 2020 könnte darin gelegen haben, dass die Herrschenden nur so den Aufständen in vielen Teilen der Welt Herr werden konnten. Dazu werden auch die massiven Proteste in Hongkong gezählt, die damals tatsächlich die prochinesische Führungsclique unter Druck setzten.

Auf die Inhalte der Proteste wird erst gar nicht eingegangen. Denn dann hätte man festgestellt, dass es da keineswegs um eine Kritik an Macht und Staat ging, sondern nur gegen den Machtanspruch Chinas. Einige der Protestierenden schwenkten die Fahne der ehemaligen Kolonialisten. Zudem hatte dieser Hongkong-Aufstand durchaus Anhänger in Staatsapparaten, nicht in der chinesischen Führungsclique, aber sehr wohl bei den Staatsapparaten der USA und auch der EU. Ein globaler Lockdown als Reaktion auf Kämpfe in unterschiedlichen, teils verfeindeten Staaten lässt sich so nicht erklären.

Verschwörungstheorie als Marketing

Überhaupt bleibt auch die Beschäftigung mit Lockdown und der Corona-Pandemie geprägt von der Machtkritik. Die Materialität des Virus wird nicht bestritten, es wird aber an verschiedenen Stellen suggeriert, dass es längst nicht so gefährlich sei, wie manche glauben. Tatsächlich finden sich manchen Stellen Thesen, die anschlussfähig an irrationalistische Tendenzen der Corona-Maßnahmenkritiker sind.

Andererseits gelingen den Autoren auch sehr treffende und polemische Anmerkungen zu jener Fraktion in der Linken, die unter Corona-Bedingungen die Staatsapparate an Härte im Durchgreifen gegen angebliche Impf- oder Maskengegner noch übertrumpfen wollten. Treffendere Kritiken finden sich in der zweiten Ausgabe der Zeitschrift „Der Erreger“, die den Vorzug hat, Texte aus sehr unterschiedlichen linken politischen Milieus zusammengetragen zu haben. Dazu gehört eine feministische Kritik ebenso wie zahlreiche Texte von Linken aus verschiedenen Ländern. Textauszüge des neuen „Manifests“ finden sich auch im „Erreger“.

Jetzt ist das knapp 200 Seiten starke Manifest auch in Buchläden zu erwerben. Eine kritische Lektüre sei empfohlen; und die Frage stellt sich auch, ob das Bekenntnis zur Konspiration nicht auch ein Marketing-Ding ist. Es wird sich zeigen, ob die Feuilletons, die den „kommenden Aufstand“ so lobten, diese Schrift überhaupt erwähnen oder eher totschweigen. (Peter Nowak)