An den Beispielen der Konferenz re:publica und des Streits um den Schriftstellerverband PEN zeigt sich das Fehlen emanzipatorischer Alternativen

Burgfrieden auf der re:publica: Woher der Wind in Deutschland weht

Die Auseinandersetzung zwischen dem gegenwärtigen PEN-Zentrum um dem PEN Berlin zeigt auch hier, woher der Wind weht. Eher bedächtige Sozialdemokraten werden vom Milieu der Grünen an Kriegsbegeisterung rechts überholt. Hinter ihnen steht die Innovationsoffensive des digitalen Kapitals auf der weltweiten Suche nach neuen Profitmöglichkeiten. Eine natofreundliche Zivilgesellschaft könnte hier ganz divers und gendergerecht mit dafür sorgen, dass in der öffentlichen Meinung die pazifistischen und antimilitaristischen Stimmen übertönt werden.

Die Zeiten ändern sich: „Es geht die Angst um vor Datenkraken und Ausspähsoftware. Die Angst ist berechtigt. Ausgespäht wird, und Konzerne wie Google, Facebook & Co. nutzen ihre Datenmonopole vor allem zur Entwicklung von Projekten, die ihre Profite erhöhen – und die sie dann auch an den Finanzämtern der Länder, in denen sie aktiv sind, vorbeischleusen. Ein digitaler Ausbeutungsprozess par excellence also“. So beschrieb …

…  Tom Mustroph in der Tageszeitung Neues Deutschland die Grundstimmung auf der ersten re:publica im Jahr 2007.

Der Berichterstatter betonte, dass es auf dieser Konferenz keineswegs um eine diffuse Angst vor den Internetkonzernen ging. Vielmehr dominierte eine differenzierte Debatte über den Umgang mit ihnen, den Zugang zu ihnen und die Besitzverhältnisse an ihnen. Das wäre eine gute Grundlage, um beispielsweise darüber zu reden, über die Vergesellschaftung von Konzernen wie Google zu reden.

Schließlich tagt die re:publica:https://re-publica.com/de nach zwei Jahren Corona-Pause in Berlin wieder öffentlich. Doch der Wind weht heute anders, wie Fabian Lembeck anmerkt anmerkt. Natürlich überlagert dort der Ukraine-Konflikt alle anderen Themen. Doch nicht die Suche nach einen schnellen Ende des Krieges, sondern der ersehnte Sieg der Ukraine dominiert die Debatte. So bekommt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auch viel Applaus, als er in der seiner Rede auf der re:publica die Phrase von der Zeitenwende wiederholt, mit der das größte Aufrüstungsprogramm im Nachkriegsdeutschland einleitete.

Re:publica im Staat angekommen

Scholz‘ Auftritt bestätigt die Einschätzung von Fabian Lembeck:

Die rep:ublica ist mittlerweile tatsächlich eine Konferenz der Bundesrepublik. Das zeigt auch ein Blick auf die Liste der Standbetreiber, die hier eigene Inhalte anbieten. Das Bundesinnenministerium, früher der Feind aller Aktivist:innen, darf sich dort mit einem bunten Programm präsentieren. Kontroverse Themen wie den Einsatz von Spionage-Software durch Bundesbehörden klammert man dort lieber aus.

Fabian Lembeck, Neues Deutschland

Nicht über das von deutschen Nachrichtendiensten und dem Bundeskriminalamt verwendete Ausspähprogramm Pegasus wird auf der re:publica geredet. Vielmehr will das Bundesinnenministerium auf der Konferenz Fachpersonal anwerben. Schließlich werden IT-Spezialisten gebraucht, wenn es darum geht, befürchtete russische Angriffe im Internet abzuwehren.

Da wird schon mal innenpolitischer Burgfrieden ausgerufen und der deutsche Staatsapparat wird als Verbündeter gesehen. Aber auch Software-Konzerne wie SAP haben die re:publica längst als Werbemöglichkeit entdeckt und sind dort mit einen eigen Stand Präsenz.

Hat sich nun die re:publica verändert oder eher nur das Umfeld? Letzteres sollte mit Nein beantwortet werden. Die re:publica ist eher ein typisches Beispiel für eine zivilgesellschaftliche Initiative, die sich anfangs eher staatskritisch gerierte, was aber die Voraussetzung ist, um als Gesprächspartner anerkannt zu werden.

Das aber ist das eigentliche Ziel der Zivilgesellschaft. Sie versteht sich als Teil des ideologischen Staatsapparats und so ist es auch verfehlt, ihr immer wieder die mangelnde Staatsferne vorzuwerfen, die sie nie hatte. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die aktuelle re:publica in Kriegszeiten auch ihren Burgfrieden gemacht hat.

PEN oder die bewaffnete Diversität

Es gibt sie aber noch, die kritische Zivilgesellschaft. Das zeigte sich auch in Schriftstellerkreisen mit der Gründung des PEN Berlin, dessen Charta nicht mit Pathos und Worthülsen wie dem Kampf gegen Hass und für den Frieden spart. Da fragt man sich, was den PEN Berlin vom PEN-Zentrum unterscheidet, das natürlich auch gegen Hass und für Frieden auf der Welt ist.

Nun könnte man von einen Generationen- und Kulturkonflikt reden. Nicht wenige der Mitbegründer haben eine linke politische Biographie. Ihre Abneigung gegen wohltemperierte sozialdemokratische Bratwurstbuden kann man verstehen. Bei der emotionalen Austrittserklärung des Autors und früheren Vorsitzenden Denis Yücel aus dem PEN-Zentrum blitzte noch der libertäre Geist auf, für den Yücel über Jahre hinweg als Autor der Jungle World und der taz bekannt war.

Auch wer mit seinen Texten nicht einverstanden war, konnte sich doch an Yücels Polemik erfreuen. Doch dazwischen liegen einige Jahre, seine Verhaftung in der Türkei, seine Etablierung als Welt-Kolumnist und auch seine Forderung nach einer Flugverbotszone über der Ukraine, die ein wesentlicher Grund für die Eskalation des Streits im PEN-Zentrum war.

Dass die Auseinandersetzung sich darin nicht erschöpft, zeigt sich daran, dass beim PEN-Berlin auch Autorinnen und Autoren wie Dietmar Dath oder Dietrich Diedrichsen dabei sind, die bisher nicht als Nato-Freunde hervorgetreten sind.

Warum nicht ein kosmopolitisches Forum der Kriegsgegner?

Doch es steht zu befürchten, dass es sich dabei eher um linke Feigenblätter handelt. Schließlich könnten Gründungsmitglieder wie der Grüne Daniel Cohn-Bendit, Konservative wie Jan Fleischhauer und Deniz Yücel sich auf das Motto „Frieden schaffen mit Nato-Waffen“ einigen, so divers sie auch sonst sind.

Dabei könnte gerade ein moderner PEN in Zeiten des Krieges über alle Ländergrenzen hinweg die Stimmen bündeln, die sich gegen alle Kriege stellen, egal auf welcher Seite. Es wäre gerade der die Stärke einer transnationalen Schriftstellerorganisation, gegen die Rufe des Krieges, von welcher Seite auch immer einzutreten.

Die Forderung nach einer Flugverbotszone ist dagegen ein klarer Rückschritt, weil sie die Gefahr einer Ausweitung des Krieges erhöht und keinen Ausweg aus nationalistischer Logik bietet.

Der antifaschistische italienische Schriftsteller Umberto Eco hatte bereits 1995 zum 50. Jahrestag des Sieges über den Faschismus auf einem Symposium an der Columbia-Universität in New York 14 Merkmale aufgezählt, die typisch sind für das, was er den Ur-Faschismus nennt.

Als eines dieser Merkmale benennt Eco die Verurteilung des Pazifismus als Kollaboration mit dem Feind. Genau diese Diffamierung von Kriegsgegnern können wir aktuell aber auf beiden Seiten beobachten. Wäre es nicht eine lohnende Aufgabe für einen modernen PEN, genau diese Stimmen gegen alle Kriege weltweit zu bündeln? Das wäre eine Frage, über die es sich zu streiten lohnt.

Die Auseinandersetzung zwischen dem gegenwärtigen PEN-Zentrum um dem PEN Berlin zeigt auch hier, woher der Wind weht. Eher bedächtige Sozialdemokraten werden vom Milieu der Grünen an Kriegsbegeisterung rechts überholt. Hinter ihnen steht die Innovationsoffensive des digitalen Kapitals auf der weltweiten Suche nach neuen Profitmöglichkeiten. Eine natofreundliche Zivilgesellschaft könnte hier ganz divers und gendergerecht mit dafür sorgen, dass in der öffentlichen Meinung die pazifistischen und antimilitaristischen Stimmen übertönt werden.(Peter Nowak)