Über Nazi- und Holocaust- Vergleiche im Ukraine-Konflikt

Böse Banalisierung

Ohne Nazi-Vergleich und Instrumentali- sierung des Holocaust wird offenbar kein Krieg mehr geführt. Wie die FIR erinnert, hat bereits die rot-grüne Regierung vor über 20 Jahren den Krieg gegen Jugoslawien pro- pagandistisch damit legitimiert, dass es ein »neues Auschwitz« zu verhindern und den »Hitler-Wiedergänger« Slobodan Milošević zu stoppen gelte. Dagegen hatten damals zahlreiche Überlebende aus NS-Vernich- tungslagern protestiert.

Boris Romantschenko hatte unter den Nazis mehrere Konzentrationslager überlebt. Am 18. März ist er bei einem russischen Bombenangriff auf die ukrainische Stadt Charkiw ums Leben gekommen, im Alter von 96 Jahren. Das Entsetzen über seinen Tod ist, mit Recht, weltweit groß. Doch in vielen deut- schen Medien mischen sich geschichtsrelativierende Töne in die Berichte. »Merken Sie sich diesen Namen«, heißt es etwa in der »Welt«, nur um Romantschenko dann vor allem als Opfer des russischen »Vernich- tungskrieges« darzustellen – und nicht auch des nationalsozialistischen Vernichtungsprojekts. »Putins Vernichtungskrieg ist nur militärisch zu stoppen«, tönt der liberale Journalist Richard Herzinger. Er spitzt dies noch weiter zu, wenn er …

… »totalen Vernichtungskrieg« und Putins »Auslöschungsfeldzug gegen das ukrainische Volk« schreibt. Herzinger wandte sich zwar seit Jahren in der »Jüdischen Allgemeinen Zeitung« gegen rechte Geschichtsrelativierung. Nun scheint er den Unterschied zwischen einem rechtswidrigen Angriffskrieg und einem Vernichtungskrieg, wie er von 1941 bis 1945 von Deutschland gegen die Sowjetunion geführt wurde, nicht mehr zu kennen oder gar bewusst zu verwischen. Die Nazi-Führung ließ nie einen Zweifel daran, dass die Lebensgrundlage einer vermeintlich minderwertigen »Rasse« vernichtet und geraubt, die Überlebenden anschließend von einer ver- meintlichen Herrenrasse versklavt werden sollten. Solche Pläne sind von der russischen Regierung nicht bekannt und nichts spricht dafür, dass sie solche hat.

Gegen die Verwendung des Begriffs Vernichtungskrieg wandte sich die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) in einer Erklärung, die Geschichtsrevisionismus und Holocaustrelativierung im Ukraine- Konflikt kritisiert. Darin wird auch beanstandet, dass in den Medien weiter die von ukrainischen Presseagenturen verbreitete Meldung wiederholt wird, russisches Militär habe gezielt die Gedenkstätte Babyn Jar angegriffen. In Wirklichkeit griff das russische Militär ein Fernsehturm in der Nähe der Gedenkstätte an, wie ein Journalist der »Jerusalem Times« mit Bildern belegte. Doch diese Richtigstellung ging unter. Tatsächlich hat ein vermeintlicher Angriff auf eine Gedenkstätte für ermordete Jüdinnen und Juden im »wiedergutgemachten« Deutschland eine enorme Entlastungsfunktion: Lässt sich doch so der antifaschistische Kampf imaginär nachholen, den die übergroße Mehrheit in Deutschland damals nicht geführt hat.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj schreckte derweil nicht davor zurück, im Deutschen Bundestag zu behaupten, der jetzige Krieg sei »ein Babyn Jar«. Damals erschossen deutsche Polizisten, Wehrmachtssoldaten, SS-Männer und ukrainische Milizionäre in der Schlucht bei Kiew über 33 000 unbewaffnete Menschen jüdischen Glaubens. Babyn Jar steht für die Morde durch Massenerschießungen, den »holocaust by bullets«. Als Selenskyj, wie üblich mit markigen Worten und in militärischer Kleidung, kürzlich vor der israelischen Knesset sprach, kam es zum Eklat. »Hören Sie, was jetzt in Moskau gesagt wird, hören Sie, wie sie wieder dieses Wort gebrauchen: die Endlösung«, rief er den Abgeordneten zu. Regierung und die Gedenkstätte Yad Vashem kritisierten das deutlich und warfen ihm die Trivialisierung der Shoah vor.

Ohne Nazi-Vergleich und Instrumentalisierung des Holocaust wird offenbar kein Krieg mehr geführt. Wie die FIR erinnert, hat bereits die rot-grüne Regierung vor über20 Jahren den Krieg gegen Jugoslawien propagandistisch damit legitimiert, dass es ein »neues Auschwitz« zu verhindern und den »Hitler-Wiedergänger« Slobodan Milošević zu stoppen gelte. Dagegen hatten damals zahlreiche Überlebende aus NS-Vernichtungslagern protestiert. Doch anders als Boris Romantschenko fanden sie zynischerweise wenig Aufmerksamkeit, weil sie nicht Opfer russischer Bomben wurden. Peter Nowak

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