Als im März 2020 der Corona-Lockdown begann, waren viele überzeugt, dass sich die Situation bis Ostern normalisiert haben würde. Als dann deutlich wurde, dass auch das Osterfest im Lockdown begangen werden musste, trösteten sich viele damit, dass zumindest im Sommer wieder die kapitalistische Normalität Einzug halten würde. Es kam bekanntlich anders. Dass wir jetzt Ostern 2021 wieder einen besonders harten Lockdown erleben werden, hätten sich aber wohl vor einem Jahr nur die härtesten Pessimisten ausgemalt. Es ist auch frappierend, dass sich nun die Debatte …
… von vor einem Jahr wiederholt. So forderte Anfang April 2020 der ehemalige Fernsehmoderator Peter Hahne eine Kirchenöffnung über Ostern.
Auch jetzt wird wieder die Debatte hochkochen, ob digitale Gottesdienste Präsenzgottesdienste ersetzen können. Wie im letzten Jahr trommeln klerikale Kreise für eine Kirchenöffnung zu Ostern. So entsteht tatsächlich der Eindruck, hier würden die alten Debatten bis ins Detail wiederholt.
Warum nach einem Jahr kein Fortschritt?
Daraus ergeben sich zwei Fragen: Warum haben es innerhalb dieses Jahres die medizinischen Forschungen, die Entwicklung einer Corona-Warn-App sowie die im Dezember als Rettung angepriesenen Impfungen nicht vermocht, die epidemiologische Situation so zu verbessern, dass es Ostern 2021 keinen Lockdown geben muss? Oder ist es gar nicht die epidemiologische Situation, sondern der tiefe Pessimismus einer Weltgesellschaft, die sich eher das Ende der Menschheit als das Ende des Kapitalismus vorstellen kann, die uns nicht mehr aus dem Lockdown rauskommen lässt?
Die Antworten auf diese Fragen sind nicht angenehm für Menschen, die sich für Rationalität und wissenschaftlichen Fortschritt stark machen. Nach Covid-19 und seinen Mutanten könnten neue Viren oder Erscheinungsformen der Umweltkrise dafür sorgen, dass es zumindest in Teilen der Welt immer neue Lockdown-Wellen gibt. Der Notstand wäre dann der Normalzustand.
Denn es ist offensichtlich, dass die Politik in den letzten zwölf Monaten nach dem Konzept vorgegangen ist, die Zumutungen des Lockdowns damit zu versüßen, dass bald Erlösung versprochen wird. Wenn wir nur noch einige Wochen durchhalten, können wir im Sommer wieder in den Urlaub reisen, hieß es im Frühjahr 2020. Im Herbst 2020 wurde Normalität zu Weihnachten in Aussicht gestellt – und als klar wurde, dass es eine Schimäre war, kam dann als Erlösung die Geschichte vom segensreichen Impfstoff kurz nach Weihnachten. Und nun sind wir zu Ostern 2021 erneut im Lockdown. Hat also die Gefahr eines Dauer-Lockdowns, der immer neue Gründe in wissenschaftlichen Erkenntnissen findet, aber seine eigentliche Ursache im Pessimismus der Epoche hat, nicht einige Plausibilität?
Corona und die Unfähigkeit zum rationalen Austausch
Und könnte hier nicht auch eine Erklärung für die Unfähigkeit vor allem der linken Bewegung liegen, eine offene Debatte über die Corona-Maßnahmen zu führen? Der Publizist Velten Schäfer hat in seinem Debattenbeitrag in der Wochenzeitung Freitag gut zusammengefasst:
„Das Virus hat nicht nur Theater, Unis und Schulen, die Sporthallen und Schwimmbäder, die Kaufhäuser, Clubs und Bars dichtgemacht, sondern oft auch unsere Hirne. Er hat politische Lager umsortiert und Freundschaften gesprengt. Nicht wenige, die sich als links verorteten und Obrigkeitshörigkeit verachteten, wurden plötzlich bei der unkritischen Verbreitung von Markus-Söder-Content ertappt. Und andere, die sich für gut grundgesetzlich hielten, bekamen nunmehr den Vorwurf, fast schon im rechtskippenden Narrenschiff zu sitzen. Wie „autoritär“ ist wann die Sorge um die Schwächsten? Wie rücksichtslos, ja „faschistoid“ ist wann das Pochen auf gewohnte Bürgerrechte?“
(Velten Schäfer, Wochenzeitung Freitag)
Der autoritäre Turn in der Corona-Debatte
Jeder, der sich in den letzten zwölf Monaten auch zu Corona nicht verbieten lassen wollte, kritische Fragen zu stellen, konnte erfahren, was Velten Schäfer hier beschreibt. Dafür finden sich viele Beispiele. Ein aktuelles ist das Titelthema der März-Ausgabe der Monatszeitung konkret unter der Überschrift „Von Null auf Zero – Die Linke in der Pandemie“, die es vom Autor Thomas Ebermann auch als Hörstück gibt.
Auffallend ist, dass Ebermann da wieder zu den autoritären Methoden einer 1970er-Jahre-Linken zurückkehrt, als die Vorstände kommunistischer Kleingruppen sich anmaßten zu entscheiden, welche Bücher für die Parteimitglieder verderblich sind, ohne sich mit den inkriminierten Beiträgen auch nur inhaltlich auseinanderzusetzen. Nur spielen eben heute diese Kleinstparteien keine Rolle mehr, so dass auch Ebermann keine Ausschlussverfahren mehr in Gang setzen kann.
Doch der autoritäre Geist ist geblieben. So fordert er, dass mit Autoren bestimmter ihn missfallenden Wortmeldungen zu Corona und den Folgen gebrochen werden müsse. Das ist ein Ausdruck eines autoritäre Turn in der Corona-Debatte. Da hilft es sicher nichts, wenn Velten Schäfer mit Verweis auf die griechische Polis eine allgemeine Amnesie vorschlägt. Er konkretisiert den Vorschlag, dass alle Wortmeldungen zu Corona und den Folgen aus dem letzten Jahr vergessen werden sollten.
Natürlich weiß Schäfer, dass so etwas wohl noch nie geklappt hat, aber ganz bestimmt nicht in der heutigen Internetgesellschaft. Nur, wenn die Geschichte der Menschheit tatsächlich aus welchen Gründen auch immer ein Ende findet, könnte diese Amnesie schreckliche Realität werden. Bis dahin sollten wir uns aber gegen den autoritären Turn wehren, der in der Corona-Debatte nur besonders deutlich sichtbar wurde. (Peter Nowak)
https://www.heise.de/tp/features/Ein-Jahr-Lockdown-und-der-autoritaere-Turn-in-der-Linken-5996448.html