Es ist schon einige Jahre her, als es Kongresse der antinationalen und antideutschen Linken gab, die auf einem theoretisch hohen Niveau über den deutschen Sonderweg in der Geschichte und die Frage diskutierten, warum der spezifisch deutsche Antisemitismus in die Shoah führte. Ein Teil der Referenten und Besucher auf diesen Konferenzen würde sich heute ….
….. nicht mehr zusammen in einem Raum aufhalten können, wenn es um politische Fragen geht.
So war in den 1990er Jahren der Publizist Jürgen Elsässer ein gerngesehener Gast auf solchen Konferenzen. Seine Devise „Die Linke wird antideutsch sein, oder sie wird nicht sein“ hatte damals Stichworte für eine Linke gegeben, die nach 1989 unter dem Motto „Nie wieder Deutschland“ einen Pool der absoluten Negation bildete.
Darauf wies der Hamburger Publizist Thomas Ebermann am vergangenen Wochenende auf dem Kongress re:kapitulation hin, der von Antinationalen in Potsdam organisiert wurden. Der unmittelbare Anlass für den Kongress waren die diesjährigen Einheitsfeierlichkeiten in Potsdam, die ja jährlich wechseln. Die Stadt, die hier wieder restauriertes Preußentum im Stadtbild deutlich sichtbar macht, hätte eigentlich in den 1990er Jahren eine gute Kulisse für größere Aktionen der antinationalen Linken geboten. Doch dieses Jahr war die von der Polizei noch mit Schikanen belegte Kundgebung nur klein.
Von der eigentlichen Ohnmacht nicht dumm machen lassen
Das lag natürlich an den objektiven Bedingungen, die Thomas Ebermann gut darstellte. Die europäische Hegemonialmacht Deutschland regiert im Konsens eines großen Teils der Bevölkerung. Deshalb organisierte sich die deutschlandkritische Strömung als bewusste Minderheit, die sich von der Position der Machtlosigkeit und Ohnmacht nicht dumm machen lassen wollte. Der Duktus des Aufrufs zur Kundgebung gegen die Einheitsfeiern 2020 ähnelte sehr den recht voraussetzungsvollen Texten, die die antideutsche Bewegung in ihrer Hochphase produziert hat:
Wende, Walser, WM – Corona 2020. Mitten im staatlich verordneten Solidaritätsgekuschel – pardon, deutschdiszipliniertem Abstand halten – droht nun auch noch der deutsche Nationalfeiertag. Deutschland erklärt sich zum Virussieger, traditionell scheisst es auf die Verlierer*innen inner- und außerhalb der Grenzen und lässt sich dabei auch von ein paar leidigen Bazillen nicht die Feierlaune verderben. Und so erstrahlt die Potsdamer Innenstadt im schwarz-rot-goldenen Kitsch, wer von oben guckt, sieht, wie’s braun wird. Ein Hoch auf die deutsche Hegemonie über Natur, Geschichte, Weltenlauf?
Aus dem Aufruf zur Kundgebung gegen die Einheitsfeiern 2020 in Potsdam
Gleich der erste Satz zeigt schon, dass man sich auch in der eigenen Marginalität einrichten kann. Denn wer – außer die, die seit Jahren die Monatszeitung Konkret lesen, die zu den Mitveranstaltern des Kongresses gehörte – wird wissen, dass hier die Wende mit der Fußballweltmeisterschaft und dem Schriftsteller in eine Reihe gestellt wird? Der politische Gehalt dahinter bräuchte schon etwas mehr Platz. Mit der Fußballweltmeisterschaft wurden Partys in Schwarz-Rot-Gold bis in Teile der Linken wieder konsensfähig. Martin Walser wiederum erhielt großen Applaus für seine Rede in der Paulskirche, wo er vor der „Auschwitzkeule“ warnte.
Es ist ein Verdienst der Potsdamer Intervention zu den Einheitsfeierlichkeiten, dass an diese Debatten erinnert wurde. Und es ist das große Manko, dass sie gar nicht mehr ausführen wollen, was überhaupt damit gemeint ist.
Die Selbstmarginalisierung wurde auch kurz vor Ende des zweiten Kongresstages deutlich. Nach einem vierstündigen Talk zwischen Thomas Ebermann und Jutta Ditfurth, der für Insider kurzweilig und durchaus vergnüglich war, gab es dann noch 30 Minuten Zeit für Fragen aus dem Publikum.
Als dann aus dem Publikum ein Mann monierte, dass die sozialen Kämpfe völlig ausgeblendet würden, gab es eine bezeichnende Reaktion vom Podium. Die Diskussionsleitung erklärte, dass es genügend Foren gäbe, auf denen die Mietenproblematik oder neue Arbeiterbewegung diskutiert würde. In Potsdam wolle man sich aber der Deutschlandkritik widmen. Da wurde gar nicht mehr die Möglichkeit angedacht, dass eine Deutschlandkritik eben nicht getrennt von den sozialen Bewegungen behandelt oder konzipiert werden sollte.
Das bedeutet natürlich nicht, dass bei jedem Arbeits- und Mietkampf die Parole „Nie wieder Deutschland“ zu hören sein muss. Das kann aber bedeuten, dass Kritik an Investoren nicht in allgemeine Schelte gegen Spekulanten mündet. Dass würde auch bedeuten, dass Beschäftigte, die sich gegen Betriebsschließungen wehren, das nicht aus Liebe zur Firma tun, sondern weil sie nicht unter das Hart-IV-System fallen wollen.
Es war wahrscheinlich der langen Diskussion und der Zeit kurz vor Mitternacht geschuldet, dass dem immer sehr schlagfertigen Thomas Ebermann auf die Anmerkung aus dem Publikum nur einfiel, dass es in Deutschland keine Klassenkämpfe gebe und die Rüstungsarbeiter noch immer Kanonen produzieren, auch wenn sie für die 35 Stunden-Woche kämpfen. Hier wurde das Klischee des männlichen fordistischen Arbeiters bedient, das nie stimmte, heute aber geradezu anachronistisch wirkt.
Heute finden Kämpfe um bessere Arbeitsbedingungen vor allem im Carebereich, im Erziehungswesen oder im Einzelhandel statt. Hier gab es in der letzten Zeit durchaus Interventionen im emanzipatorischen Sinne. Die könnten schon Thema auf einer Konferenz von Linken sein, die die antideutschen und antinationalen Traditionslinien aufnehmen und auch fortsetzen will.
Von der Unfähigkeit, eine Diskussion zu führen
Dann müsste allerdings auch das Veranstaltungsformat geändert werden. Es war auffällig, dass an den beiden Kongresstagen mit Jutta Ditfurth und Thomas Ebermann zwei wichtige Protagonisten der antinationalen Bewegung fast allein das Podium bespielten. So konnte natürlich keine Diskussion zustande kommen, die vom Publikum durchaus erwünscht war.
Das zeigte sich, als dann nach 23 Uhr tatsächlich das Mikrophon offen war. Es gab Verständnisfragen ebenso wie politische Kritik an den vorgetragenen Positionen. Sofort kamen dann die Rufe, dass nur Fragen an das Podium erwünscht sind, und dies, nachdem das Mikrophon vier Stunden dem Podium gehört hatte. So kann man nur konstatieren, dass der Kongress auch die Unfähigkeit deutlich machte, eine Diskussion über die Zukunft einer antinationalen Linken in Deutschland zu führen. Das zeigte sich besonders im Umgang mit dem dritten Referenten.
Der Politikwissenschaftler und Publizist Thorsten Mense, der bereits 2016 in der Reihe Theorie.org im Schmetterlings-Verlag eine Kritik am Nationalismus veröffentlicht hat, trug auf dem Potsdamer Konferenz einen Input über die Irrwege der antideutschen Bewegung vor.
Dort stellte er Fragen im Zusammenhang mit Jürgen Elsässer, der sich noch Mitte der 1990er Jahre als Antideutschester der Antideutschen bezeichnete und 2005 im Jungle World-Gespräch die Parole „zurück zum Klassenkampf“ propagierte und nur 10 Jahre später dann Stichwortgeber des rechten AfD-Flügels wurde.
Auch sein früherer Kontrahent Justus Wertmüller, der in dem Gespräch vor 15 Jahren als sein Ziel erklärte, die „europäisch-deutsche, linksliberal bis links gestimmte pazifistische Gemeinschaft“ zu kritisieren, ist in manchen Artikeln mittlerweile bei der Verteidigung eines christlich-jüdischen Abendlands gegen den Islamismus gelandet.
Eine verpasste Chance
Thorsten Mense hat in seinem Referat einige bezeichnende Beispiele für solche Entwicklungen gebracht. Seiner harschen Kritik an der Bahamas wird man sich auch dann anschließen, wenn man konzediert, dass es weiterhin Bahamas-Artikel gibt, die ideologiekritisch im besten Sinne sind.
Die Bahamas-Kritik an einer Identitätspolitik, die die Aufklärung denunziert und eine Gesellschaftsveränderung unmöglich macht, darf aber nicht dazu führen, plötzlich neben der AfD auf einer Kundgebung gegen islamistischen Terror zu stehen.
Menses kurzer Input lieferte viel Stoff für eine lebhafte Diskussion über Zukunft einer antinationalen Politik in Deutschland. Das aber auf seinen Vortrag auf der Potsdamer Konferenz kaum Bezug genommen wurde, lag an dem Veranstaltungsformat. Es wäre zu wünschen, dass Mense in einem anderen Rahmen den Vortrag noch einmal wiederholen würde.
Als zweiter Input würde sich der Artikel Srebenica und die deutsche Linke eignen, in dem der Publizist Krsto Lazarević gut begründet, wie die uneingeschränkt proserbische Position vieler Antideutscher ein Einfallstor für rechte Irrwege gewesen sein könnte.
Jugoslawien diente der deutschen radikalen Linken in den neunziger Jahren vornehmlich als Projektionsfläche für die Kritik an der frisch vergrößerten Bundesrepublik Deutschland. Die Entwicklungen in Jugoslawien selbst und die Verantwortung von Akteuren vor Ort wurden meist ebenso ignoriert wie die im April 1992 beginnenden Massaker an der muslimischen Bevölkerung Bosnien-Herzegowinas. Autonome in Deutschland stellten sich damals zwar schützend vor Flüchtlingsheime, schafften es aber oft nicht, jene klar zu verurteilen, wegen derer überhaupt Hunderttausende aus Jugoslawien fliehen mussten. Im Gegenteil: Teile der deutschen Linken standen auf Seiten der Kriegstreiber.
Krsto Lazarević, Jungle World
Dabei zeigte er auch gut auf, dass an der kritiklosen Verteidigung der serbischen Regierung in den 1990er Jahren auch ansonsten zerstrittene linke Fraktionen und Strömungen beteiligt waren.
Bei den Antiimperialisten gehörte Werner Pirker zu den Wortführern, bei den Antideutschen waren es unter anderem Jürgen Elsässer und Justus Wertmüller. Fraktionen, die sich ansonsten spinnefeind waren, kamen zusammen, wo es darum ging, Mladićs und Miloševićs Soldateska gegen Kritik zu verteidigen.
Krsto Lazarević, Jungle World
Der Autor stellte seinem Diskussionsbeitrag den Wunsch voran, dass 25 Jahre nach dem Serbienkrieg Zeit für die innerlinke Aufarbeitung ihrer Serbienprojektionen gekommen sein möge. Allerdings erfolgte auf seinem Ende Juli veröffentlichen Text keine Replik. Warum also nicht mit seinem Beitrag und den Input von Torsten Mense einen eigenen Kongress machen, der nicht die Vergangenheit, sondern über die Zukunft einer deutschlandkritischen Linken zum Thema hat?
Dann müsste es allerdings Personen geben, die an einer solchen Perspektive arbeiten. Ansonsten war auch der Potsdamer Kongress das Zeugnis einer Bewegung, die aus der Zeit gefallen ist. Dann bliebe nur die Frage, mit der Thorsten Mense seine Ausführungen über die Irrwege der antideutschen Linken begonnen hatte, nur noch von historischem Interesse: „Wer hat Dich nur so ruiniert?“ Peter Nowak
https://www.heise.de/tp/features/Was-hat-Dich-nur-so-ruiniert-4922655.html