Ein Aufruf und eine Veranstaltung liefern eine linke Antwort auf die irrationale Kampagne gegen Bill Gates und seine Stiftung

Ausbau des Gesundheitssystems statt philantrokapitalistische Experimente

Es wäre zu wünschen, wenn sich die Parole "Medikamente für alle, die sie brauchen" auf linken Demonstrationen durchsetzen würde. Der Aufruf von Medico und Co. liefert hierzu eine gute realpolitische Grundlage. Es geht darum, die Gates-Stiftung richtig zu kritisieren und daraus politische Forderungen abzuleiten.

„Für die Aufhebung des Patentschutzes auf alle unentbehrlichen Medikamente“ setzt sich ein Aufruf unter dem Motto „Patente garantieren Gewinne und töten Menschen“ ein, den die Nichtregierungsorganisation Medico International gemeinsam mit der Buko Pharmakampagne, den gesundheitspolitischen Organisationen Outras Palavras aus Brasilien und dem People’s Health Movement und Society for International Development gestartet hat. Dort wird die Corona-Krise zum Anlass genommen, den ….

…. Kampf um ein solidarisches Gesundheitssystem wieder aufzunehmen:

Im Interesse der Menschheit sollte die Welt gemeinsam, solidarisch und im Rahmen globaler politischer Institutionen nach einem Impfstoff und nach Medikamenten suchen, die dann entlang von Bedarfen produziert und verteilt werden.

Aus dem Aufruf „Patente generieren Gewinne und töten Menschen“

Erfreulich ist, dass in dem Aufruf darin erinnert wird, dass schon lange vor Corona viele Menschen an eigentlich heilbaren Krankheiten gestorben sind und weiterhin sterben.

Trotz des rasanten medizinischen Fortschritts und der Verfügbarkeit von Medikamenten zur Heilung bzw. Behandlung sterben jedes Jahr Millionen Menschen an Krankheiten wie Tuberkulose, Diabetes oder Malaria. Die WHO schätzt, dass ein Drittel aller Patient*innen weltweit aufgrund hoher Preise und anderer struktureller Hindernisse keinen Zugang zu dringend notwendigen benötigten Medikamenten hat.

Aus dem Aufruf „Patente generieren Gewinne und töten Menschen“

Medikamente für alle, die sie brauchen

In dem Aufruf wird darauf verwiesen, dass sich nur ein Bruchteil der medizinischen Forschung mit den Gesundheitsproblemen befasst, die weltweit Millionen von marginalisierten Menschen betreffen, jedoch von Pharmafirmen nicht als attraktiver Markt betrachtet werden. Ziel der Pharmaindustrie ist es eben nicht, Medikamente für alle, die sie brauchen, zu produzieren.

Wie alle Unternehmen im Kapitalismus erforscht auch die Pharmaindustrie vor allem Medikamente, die hohe Gewinne in lukrativen Märkten versprechen. Deswegen sind ihre Gewinnmargen auch besonders hoch. Die Alternativen werden so benannt:

Wir, die Unterzeichnenden, fordern daher von unseren Regierungen eine an den Gesundheitsbedürfnissen der Menschen ausgerichtete Politik, die Arzneimittel als globale öffentliche Güter behandelt und die Macht von Pharmaunternehmen im öffentlichen Interesse begrenzt. Hierfür sind die Entkoppelung von Forschungskosten und Preis bei Medikamenten unabdingbar, um neue Anreizmechanismen zu setzen, die Innovationen fördern und zugänglich machen.

Aus dem Aufruf „Patente generieren Gewinne und töten Menschen“

Eine Passage des Aufrufs kritisiert, dass „philantrokapitalistische Akteure“ ihren Einfluss zulasten demokratischer Prinzipien und Normen ausbauen. Von globaler Solidarität in der Pandemie kann an dieser Stelle nicht die Rede sein. Das ist eine Kritik auch an der Bill and Melinda Gates Foundation, die in den letzten Monaten in die Kritik der Gegner des Corona-Notstands geriet.

Die „Inflationsheiligen“ der Weimarer Republik und die völkische Bewegung

Doch deren Kampagne gegen Gates hat regressive und irrationale Züge. Gates wird praktisch zum Buhmann aufgebaut, der angeblich die ganze Menschheit zwangsimpfen wolle. Teilweise wird Gates sogar unterstellt, er wolle mit diktatorischen Mittel die Weltherrschaft anstreben. Hier finden sich Elemente einer irrationalen Bewegung mit historischen Vorläufern, wie sie Ulrike Baureithel am Beispiel unterschiedlicher Esoterikbewegungen in der Weimarer Republik beschreibt. Eine Schwäche ihres Artikels ist allerdings, dass sie die den Eindruck erweckt, als wäre auch die NS-Bewegung Teil einer solchen Szenerie gewesen. Vor allem der letzte Absatz könnte in die Richtung deuten:

Eines allerdings lehrt die Geschichte der „Inflationsheiligen“: Die meisten dieser „Erlöser“ waren trotz messianischen Eifers so harmlos, wie der instinktsichere Volksdichter Graf es ihnen bescheinigte. Als Hauesser 1920 vor das Leipziger Reichsgericht geladen wurde, so erzählt Linse in seinem Buch, begleitete ihn eine aufgebrachte Masse, die auf ein Zeichen von ihm das Gericht gestürmt und in Brand gesteckt hätte. Es war der Brandstifter Hitler, der sich die politischen Machtmittel aneignete und rücksichtslos nutzte. Und damals wie heute ist es nur eine verschwindende Minderheit, die am Ende die „Erneuerung“ aus der Vernichtung treiben will.

Ulrike Baureithel

So richtig es ist, die antisemitischen und auch völkischen Elemente dieser „Inflationsheiligen“ der Weimarer Republik zu benennen, so klar sind diese aber auch von den völkischen Bewegungen zu unterschieden, deren erfolgreichste Gruppe schließlich die NSDAP wurde. Deren Vorläufer Thule Bund und Deutsche Arbeiterpartei (DAP) wurden von Anfang an von Großkapitalisten und Militär unterstützt, als Speerspitze der konterrevolutionären Bewegung gegen die bayerische Räterepublik.

Die NSDAP konnte nur mit Hilfe der alten Mächte und des Kapitals an die Macht kommen. Die verschiedenen esoterischen Grüppchen der Weimarer Zeit hatten nie eine Machtoption. Doch Baureithel skizziert in ihren Text gut die Elemente einer irrationalen Bewegung, die immer rechtsoffen ist. Doch nicht alle der Schwärmer, die irgendwelchen Inflationsheiligen vor fast 100 Jahren nachgelaufen sind, wurden Mitläufer der Nazis. Manche fanden auch den Weg zu einer linken Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen. Auch heute ist es eine Herausforderung, den Menschen, die sich an den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen beteiligen, die aber nicht Teil einer rechten Bewegung werden wollen, mit Argumenten zu erreichen.

Linke Kritik an der Gates-Stiftung

Dafür gab am Dienstagabend eine Veranstaltung des Bildungsvereins Helle Panke in Berlin Hilfestellung. Sie hatte den Mediziner und Referent für globale Gesundheitspolitik bei Medico International Andreas Wulf eingeladen zu erläutern, was mit den „philantrokapitalistischen Akteuren“, die ihren Einfluss zulasten demokratischer Prinzipien und Normen im Gesundheitswesen ausweiten, gemeint ist. Wulf benannte dabei die Bill and Melinda Gates Foundation, die heute zu den zweitgrößten Finanziers der Weltgesundheitsorganisation gehört. Sollte der von Trump angekündigte Austritt der USA aus der WHO umgesetzt werden, könnte die Stiftung sogar der größte Finanzier werden.

Wulf kritisierte am Beispiel der Gates-Stiftung ein prokapitalistisches Mäzenentum, das den wirtschaftsliberalen Geist der Techkonzerne in ihrer Wohltätigkeitsarbeit fortsetzt. Auch bei der Gatesstiftung geht es nur um Effizienzkriterien, und die Vorstellung, mit der richtigen Technik könnten alle Probleme der Welt behoben werden, ist allgegenwärtig. Der Kapitalismus kann natürlich in dieser Logik nie als Problem erkannt werden.

Dagegen setzte Wulf auf den Ausbau einer Gesundheitspolitik weltweit, die statt privates Mäzenentum das Recht auf Gesundheit für alle Menschen in den Mittelpunkt stellt. Für alle Menschen heißt konkret, dass nach dem heutigen technischen Stand in keinem Land der Erde Menschen an eigentlich heilbaren Krankheiten sterben müssen. Es ist müsste als Verbrechen deklariert werden, dass Menschen im Kongo oder Bangladesch an Krankheiten sterben, für die es in Berlin oder New York längst Medikamente oder Impfstoffe gibt. Schließlich gibt es heute Möglichkeiten, diese Medikamente in alle Winkel der Erde zu bringen.

Die Forderung nach einer solchen Gesundheitspolitik müsste zur Forderung einer transnationalen linken Bewegung werden. Es gibt schon embryonale Ansätze dazu, wenn beispielsweise in dem politischen Forderungskatalog für eine soziale Lösung der Krise die Stadtteilinitiative „Hände weg vom Wedding“ dem Gesundheitswesen eine zentrale Rolle zugewiesen wird. Auf den Umverteilungsdemonstrationen vom vergangenen Samstag (Die Reichen müssen zahlen) spielte das Thema noch eine untergeordnete Rolle.

Es wäre zu wünschen, wenn sich die Parole „Medikamente für alle, die sie brauchen“ auf linken Demonstrationen durchsetzen würde. Der Aufruf von Medico und Co. liefert hierzu eine gute realpolitische Grundlage. Das ist eine linke Antwort auf das irrationale Gates-Bashing, das eben nicht dazu verführen sollte, die Gates-Stiftung zu verteidigen. Es geht darum, sie richtig zu kritisieren und daraus politische Forderungen abzuleiten. (Peter Nowak)