Wie ein konservativer Politiker in der Corona-Krise zum Kanzler hochgeschrieben wurde

Söder oder die Lust am Autoritären

Bei aller Kritik, die Söder jetzt wegen der Pannen bei den Tests erfährt, für den Satz, dass Corona immer gefährlicher werde, erntet er kaum Kritik. Denn für einen Großteil der bürgerlichen und auch linken Öffentlichkeit ist klar, eine Kritik daran würde den sogenannten Coronaleugnern in die Hände spielten. Dabei gibt es durchaus Menschen, die nicht aus der irrationalen Strömung der Coronamaßnahmengegner kommen und die These von Söder und Co. infrage stellen

„Corona wird immer gefährlicher“, warnte Söder noch am Wochenbeginn auf einer Sitzung des bayerischen Kabinetts. Er sollte Recht behalten, aber anders, als er es dachte. Denn jetzt erlebt der CSU-Politiker seine ganz persönliche Corona-Krise. Wollte er doch Bayern zu einem Pilotprojekt bei der Corona-Bekämpfung in Deutschland machen. Er war mit seinen Plänen zu den Corona-Tests vorgeprescht und hat wohl vergessen, dass dazu ….

…. auch eine Infrastruktur gehört, damit die Testergebnisse schnell weitergeleitet und verwertet werden können. So kam es, dass nach Spiegel-Angaben [1] zehntausende Ergebnisse von Corona-Tests in Bayern verschlampt worden. Auch 908 Personen mit positivem Befund seien nicht rechtzeitig benachrichtigt worden. Da waren wohl die bayerischen Behörden überfordert angesichts des Ansturms auf die Impfstellen.

In vielen Medien wird gerätselt, ob sich Söders Chancen auf die Kanzlerkandidatur der Union dadurch verschlechtern. Der CSU-Politiker hat offiziell noch kein Interesse an der Kandidatur bekundet. Es waren vor allem bürgerliche Medien, die Söder zum angeblichen Kandidaten der Herzen ausgerufen und dabei explizit auch auf sein angeblich gutes Corona-Management verwiesen haben. Söder hat das Spiel längst mitgespielt, was besonders bei seiner mit feudalistischen Symbolen überladenen Merkel-Visite am Chiemsee [2] vor einigen Wochen deutlich wurde.

Die Inszenierung einer bayerischen Monarchie

Es zeugt von wenig Staats- und Machtkritik, dass die meisten Medien das peinliche Spiel mit unverkennbaren Reminiszenzen an eine kitschig verklärte Epoche der bayerischen Monarchie goutieren. Stattdessen wäre daran zu erinnern, dass vor fast 102 Jahren die Arbeiter in Bayern diese Monarchie stürzten und mit der Ausrufung der Räterepublik [3] neue Seiten in der Geschichte aufschlugen.

Die Anhänger der Monarchie wurden Teil der völkischen und antisemitischen Bewegung, die bereits wenige Wochen nach der Revolution mit dem Mord an Kurt Eisner ihr Gewaltpotential unter Beweis stellte, das dann Anfang Mai 1919 mit dem Massaker an den Räterepublikanern ihren ersten Höhepunkt erreichte. In diesem völkischen Haufen entstand aus der Thule-Gesellschaft dann die NSDAP. Wenn heute die vermeintlich heile Welt einer bayerischen Monarchie am Chiemsee inszeniert wird und nicht nur die Regenbogenpresse, sondern auch ein Großteil der angeblich liberalen Medien das Theater goutiert, kann man von Geschichtsvergessenheit sprechen.

Wie die Medien Söder zum Kanzler hochstilisierten

Gerade in der Corona-Krise wächst auch in diesen Kreisen die Sehnsucht nach einem Monarchen in republikanischem Gewand. Noch ist völlig unklar, ob die Affäre um die Corona-Daten das Image von Söder ankratzt und womöglich Einfluss auf die Kandidatenfrage hat. Doch es waren viele Medien, die Söder erst zum Kandidaten hochschrieben, der sich bedeckt hielt, aber das Spiel durchaus mitspielte. Das Theater am Chiemsee gehörte dazu.

Die ganze Debatte um Söders Kanzlerschaft ist äußerst autoritär. Sie bedient die Sehnsucht vom starken Mann aus Bayern, die in der Corona-Krise besonders virulent ist. Natürlich wird da auch auf den rechtskonservativen F.J. Strauß angespielt, der in vielen Fragen Positionen einnahm, wie sie heute in der AfD vertreten werden. Strauß, so auch die Hoffnung vieler vermeintlicher Liberaler, hätte schon dafür gesorgt, dass die Union das Monopol auf rechte Politik behält und die AfD erst gar nicht groß werden konnte. „Rechts von der Union ist nur die Wand“, war ein Leitspruch von Strauß.

Manche Söder-Bewunderer hoffen, dass dieser diese Politik fortsetzt. So wurde hervorgehoben, dass sich Söder als Kanzlerkandidat besonders eignet, weil sich sein Krisenmanagement in der Corona-Frage bewährt habe. Wie sich nun die Panne bei den Tests auf seine Popularität in bestimmten Kreisen auswirkt, ist noch völlig offen. Abschreiben sollte man ihn noch lange nicht. Schließlich hat auch F.J. Strauß immer wieder Krisen und Affären politisch überlebt. Söder bedient das autoritäre Bedürfnis bürgerlicher Kreise und sie werden daran solange festhalten, bis er für diese Funktion dysfunktional wird. Allerdings hat es einen Grund, dass Söder sich noch bedeckt hielt. Er hat schließlich genügend bürgerliche Konkurrenten auch im Unionslager.

Wird Corona immer gefährlicher?

Bei aller Kritik, die Söder jetzt wegen der Pannen bei den Tests erfährt, für den Satz, dass Corona immer gefährlicher werde, erntet er kaum Kritik. Denn für einen Großteil der bürgerlichen und auch linken Öffentlichkeit ist klar, eine Kritik daran würde den sogenannten Coronaleugnern in die Hände spielten. Dabei gibt es durchaus Menschen, die nicht aus der irrationalen Strömung der Coronamaßnahmengegner kommen und die These von Söder und Co. infrage stellen. So schreiben die Mediziner Angelika Speisberg und Ulrich Keil in einem Taz-Beitrag [5], dass sich die Politik bei den Anti-Corona-Maßnahmen auf den Rat von zu wenigen Experten gestützt habe.

Bis heute sind im Wesentlichen nur zwei Fachrichtungen, Virologen und mathematische Modellierer, in den Medien und von der Politik gehört worden. Die anfänglichen Modellrechnungen insbesondere die Wissenschaftler des Imperial College in London waren maßgeblich für die politischen Entscheidungen zum Lockdown verantwortlich. Sie ergaben, dass es weltweit 40 Millionen Covid-19-Tote geben würde; für Deutschland wurden 1,1 Millionen Intensivpatienten prognostiziert. 

Dagegen verweisen die beiden Autoren auf medizinische Untersuchungen, die zu anderen Ergebnissen kommen. Viele nun vorliegende Studien [6] zeigen aber, dass die Infection Fatality Rate (IFR), der Anteil der Todesfälle an allen Corona-Infektionen, in einem Bereich von 0,1 bis 0,3 Prozent liegt, also dem einer normalen Grippe. In diesen Studien wurden repräsentative Zufallsstichproben von Bevölkerungsgruppen untersucht und die Infizierten durch serologische Antikörpertests identifiziert. Dabei stellte sich heraus, dass die Zahl der mit Sars-CoV-2 Infizierten viel größer ist als die der positiv getesteten Menschen mit Symptomen. Wenn die Covid-19-Todesfälle auf diesen größeren Nenner bezogen werden, errechnen sich deutlich geringere IFR-Zahlen als vom Robert-Koch-Institut (RKI) und der WHO angegeben. Mittlerweile haben wir verlässlichere Daten darüber, dass die Coronapandemie nicht so gefährlich ist wie ursprünglich angenommen.

Angelika Speisberg, Ulrich Keil

Eine Studie zur Corona-Entwicklung im Hotspot Kupferzell [7] bestätigt die Argumente der beiden Mediziner. Es gab in dem Ort eine größere Zahl von Menschen, die sich angesteckt, aber nur leichte Symptomen hatten. Daher ist die nicht nur von Söder immer wieder gebrauchte Aussage, dass Corona immer gefährlicher wird, sachlich in dieser Allgemeinheit nicht richtig. Sie dient aber einer Politik der Angst, die allerdings keine Verschwörung, sondern ein langjähriges probates Mittel bei der Durchsetzung gesundheitspolitischer Maßnahmen ist, wie der Psychologe Steven Taylor in seinem kürzlich ins Deutsche übersetzten Buch „Die Pandemie als psychologische Herausforderung“ [8] schrieb. Peter Nowak