Wie können Linke gegen Verschwörungstheorien vorgehen, die auf den sogenannten Hygienedemos kursieren? Peter Nowak sieht in sozialen Themen einen Weg, wie auch ein Blick in die Vergangenheit zeigt

Klassenkampf ist das beste Mittel

Man hätte verhindern können, dass sich Rechte als vermeintliche Kampfer*innen gegen autoritäre Staatlichkeit aufspielen könnten, während in manchen linken Aufrufen kaum Staatskritik zu finden war und zivilgesellschaftliche Initiativen »Entschwörungstage« organisierten. Dabei ist der These des linken Publizisten Daniel Kulla vorbehaltlos zuzustimmen, dass das beste Mittel gegen Verschwörungsdenken der Klassenkampf ist, wie man in einem Beitrag auf seinem Blog classless.org nachlesen kann.

»Als ersten Schritt haben wir daher ganz konkrete, kurzfristig umsetzbare Forderungen an die politischen Entscheidungsträger*innen aller Ebenen formuliert. Außerdem haben wir Ideen gesammelt, wie wir alle selbst solidarische Aktionen durchführen und bestehenden Gruppen und Bündnisse unterstützen können.« Das ist ein Absatz aus der Erklärung des Bündnisses ….

….. jetzterstrecht. Dazu haben sich bereits Ende März dieses Jahres auf dem Höhepunkt der Corona-Beschränkungen rund 25 Berliner Mieter*inneninitiativen, Erwerbslosen- und Stadtteilgruppen zusammengeschlossen.

Dazu gehört die Stadtteilinitiative »Hände weg vom Wedding«, die im April einen politischen »Forderungskatalog für eine soziale und demokratische Lösung der Krise in Berlin-Wedding« erarbeitet hat. An erster Stelle steht dort die Vergesellschaftung des Gesundheitswesens, in den weiteren kurzen Kapiteln geht es um das Recht auf Wohnen und die Verteidigung von Arbeiter*innenrechten gegenüber den Unternehmen. Von solchen Initiativen hat man in den letzten Wochen auch in den meisten linken Medien allerdings wenig gelesen.

Dafür standen ab Anfang April die sogenannten Hygienedemonstrationen im Zentrum vieler linker Debatten. Verschwörungstheoretiker*innen gefährden den Zusammenhalt der Gesellschaft, diese Warnung las man in den letzten Wochen auch in antifaschistischen Aufrufen. Dabei waren die Organisator*innen der Hygienedemos mit ihren Kritiker*innen in einem wichtigen Punkt einig, der Ausblendung sozialer Themen. Am 28. März fand erstmals eine Kundgebung auf dem Berliner Rosa-Luxemburg-Platz statt, die zum bundesweiten Startpunkt einer in großen Teilen von Irrationalität getragenen und geprägten Bewegung wurde.

Doch anfangs beteiligten sich auch Menschen, die Angst hatten, womöglich auf unabsehbare Zeit unter Notstandsmaßnahmen leben zu müssen. Ihnen hätte man das historische Wissen vermitteln können, dass der Kampf gegen die Notstandsgesetze in Westdeutschland in den 1960er und 70er Jahren über lange Zeit ein zentrales Moment linker Politik gewesen ist. Zudem hatte man dem abstrakten liberalen Grundrechtediskurs der Hygienedemos entgegenhalten können, dass Demonstrations- und Streikrechte Kampfmittel von sozialen Initiativen und Gewerkschaften sind, die immer wieder neu verteidigt werden müssen.

Dabei hätte man an die Erfahrungen vieler Menschen anknüpfen können, die seit Mitte März mitbekommen haben, dass öffentliche Kundgebungen auch dann von der Polizei unterbunden wurden, wenn von den Teilnehmer*innen sämtliche Schutz- und Abstandsregeln eingehalten wurden. So hätte man verhindern können, dass sich Rechte als vermeintliche Kampfer*innen gegen autoritäre Staatlichkeit aufspielen könnten, während in manchen linken Aufrufen kaum Staatskritik zu finden war und zivilgesellschaftliche Initiativen »Entschwörungstage« organisierten. Dabei ist der These des linken Publizisten Daniel Kulla vorbehaltlos zuzustimmen, dass das beste Mittel gegen Verschwörungsdenken der Klassenkampf ist, wie man in einem Beitrag auf seinem Blog classless.org nachlesen kann.

Auch Sebastian Bähr argumentiert in seiner Kolumne in »neues deutschland« vom 4. Juni 2020, die den Titel »Klassenkampf statt Aluhut« trägt, ähnlich wie Kulla. Bähr kritisiert zurecht, dass sich viele Linke in den letzten Wochen hauptsächlich an den Hygienedemonstrationen abgearbeitet haben, statt eigene soziale Forderungen zu entwickeln. Doch es gab Initiativen wie jetzterstrecht und »Hände weg vom Wedding«, die sehr konkrete Forderungen erarbeitet hatten. Zumindest in den ersten Wochen wäre es noch möglich gewesen, diese Forderungen in die Hygienedemonstrationen hineinzutragen und die Teilnehmer*innen damit zu konfrontieren. Damit hätte man rechte und irrationale Strömungen isolieren können.

Bei den Protesten gegen die Hartz-IV-Gesetze hat das vor rund 15 Jahren in vielen Städten gut funktioniert. Unterschiedliche linke Initiativen ließen es damals nicht zu, dass Rechte eine national-soziale Bewegung etablieren konnten. Das war ein nicht unwichtiger Erfolg. Der Zulauf zu den Hygienedemos sinkt einstweilen. Sollten neue Corona-Verschärfungen kommen, könnte sich das wieder ändern. Darauf sollten sich linke Initiativen jetzt vorbereiten. Peter Nowak

Formulierung wurde von Ulla Jelpke übernommen:

Denn Klassenkampf sei »die beste Entschwörungsmethode«, so Jelpke.

https://www.jungewelt.de/artikel/380126.proteste-gegen-einschränkungen-wie-fische-im-wasser.html