Die Zukunft der Freien Archive zwischen staatlicher Förderung und Autonomie.
„Niemals werden zwanzig Foliobände eine Revolution machen. Die kleinen Broschüren sind es, die zu fürchten sind“. Dieser dem französischen Philosophen Voltaire zugeschriebene Satz könnten sich die Freien Archive auf ihre Eingangstüren kleben. Schließlich sind solche Broschüren „in den Sammelstellen für die papiergewordenen Relikte der autonomen, antifaschistischen, feministischen und anderer außerparlamentarischen Bewegungen“ in großen Mengen zu finden. So klassifiziert der Leiter des Archivs für alternatives Schrifttum (afas) Jürgen Bacia die ca. 100 Freien Archive, die zurzeit noch in Deutschland existieren. Betrieben werden sie überwiegend von Menschen, die es sich zu ihrer Lebensaufgabe gemacht haben, die Hinterlassenschaften der sozialen Bewegungen, in denen sie selber aktiv waren, zu sammeln und aufzubewahren.
In den Hochzeiten der Bewegung wurde diese Tätigkeit eher belächelt. Flugblätter und Broschüren sollten unmittelbar in eine politische Auseinandersetzung einwirken. Dass diese Produkte einmal historische Dokumente werden würden, war für viele der Beteiligten kein Thema. Doch das hat sich geändert. Viele der an sozialen Bewegungen Beteiligten haben im Alter ein großes Interesse daran, die Bewegungen, in denen sie viel Zeit und Engagement gesteckt hatten, vor dem Vergessen zu bewahren. Daher wollen viele von ihnen ihre Sammlungen einen der Freien Archive überlassen. So soll auch verhindert werden, dass Erb_innen nach den Tod von politischen Aktivist_innen die oft ungeordneten Materialen entsorgen. Es ist oft eher ein Glücksfall, wenn sie in einen Freien Archiv ihren Platz finden.
Deren Mitarbeiter_innen aber stoßen in vielerlei Hinsicht bei ihrer Arbeit an die Grenzen. Die Finanzierung ist oft nicht gesichert und die Arbeit kann nur mit viel Selbstausbeutung aufrecht erhalten werden. Daher hat der Freiheitsbegriff für Bacia auch seine Ambivalenz. Der Freiheitsbegriff hat durchaus etwas Ambivalentes. „Einerseits arbeiten die Freien Archive möglichst hierarchiefrei, zumeist kollektiv und erliegen weniger den Zwängen großer Institutionen. Andererseits sind die Menschen, die dort arbeiten, häufig frei von regelmäßigen Einkünften und arbeiten unter ökonomischen Bedingungen, die keine Gewerkschaft akzeptieren würde.“ Bacia hat zusammen mit der Mitarbeiterin des Leitungsteams des Archivs der Deutschen Frauenbewegung in Kassel schon 2013 im Verlag des Archivs der Jugendkulturen unter dem Titel „Bewegung bewahren – Freie Geschichte von unten“ einen Band herausgegeben, das einen guten Einblick in die Szene der Freien Archive und ihre aktuellen Probleme gibt.
Vom Bewegungsarchiv zum Dienstleister
Dabei wird auch deutlich, wie sich die Freien Archive im Zeitalter der Digitalisierung verändern Voltaires Bonmot hatte von den Zeiten der Französischen Revolution bis zum Ende des 20. Jahrhunderts seine Gültigkeit. Doch im Zeitalter der Digitalisierung ersetzen zunehmend Internetblogs die kleinen Broschüren. So müssen Menschen, die an aktuellen politischen Themen interessiert wird, nicht mehr in alten Ordnern stöbern. Doch schon, wenn es um die Geschichte der sozialen Bewegungen vor 30 Jahren geht, stößt man bei einer Internetrecherche schnell an die Grenzen. Es sei denn, deren Geschichte wird von Freien Archiven digitalisiert und online gestellt. So hat das im Umfeld der Westberliner Hausbesetzer_innenbewegung der 1980er Jahre entstandenen Bildarchiv Umbruch zahlreiche Fotos und Videos der Volkszählungsboykottbewegung im Internet zugänglich gemacht. Wenn man in Suchmaschinen hingegen die Begriffe „Kamphofhütte Bielefeld“ eingibt erhält man einen Treffer. Dabei war die Errichtung dieser Hütte Mitte der 1980er Jahre im ostwestfälischen Bielefeld, ein frühes Beispiel einer „Recht auf Stadt-Bewegung“ und prägte für mindestens 2 Jahre einen großen Teil der außerparlamentarischen Linken Ostwestfalens. Das Beispiel zeigt, dass ohne das Engagement der Freien Archive Aktivitäten der außerparlamentarischen Linken dem Vergessen anheimfallen.
Staatsknete oder Widerstand?
Um diese Aufgaben weiter erfüllen zu könne, brauchen die Freien Archive und ihre Mitarbeiter_innen eine staatliche Förderung bei Wahrung ihrer politischen Autonomie, ist die Meinung eines Kreises von Freie Archivar_innen, die Konzepte für eine langfristige Sicherung der Sammlungen erarbeiten. Sie verweisen auf die Archive der DDR-Opposition, wie das Robert Havemann Archiv in Berlin oder das Thüringer Archiv für Zeitgeschichte Matthias Domaschk“,, die großzügig gefördert werden. Cornelia Wenzel kann auf solche Beispiele auch bei der Frauenbewegung verweisen. Doch Kritiker_innen fragen kritisch nach, ob noch von einer Autonomie der Freien Archive geredet werden kann. So wird in den Archiven der DDR-Oppositionsbewegung nur noch am Rande erwähnt, dass die dokumentierten Gruppierungen keine Wiedervereinigung sondern eine reformierte DDR anstrebten. Und bei den Erfolgen der Archive der Frauenbewegung sollte nicht vergessen werden, wie mit dem Nachlass der engagierten Antifaschistin und Pazifistin Fasia Jansen in Oberhausen umgegangen wird. „Bis heute sind die Materialien teilweise im Rathaus in Kartons untergebracht, andere in einem großen Raum im Infozentrum Gedenkhalle. ein Ort, der für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist“, schreibt Jansens langjährige Mitstreiterin und Freundin Ellen Diederich. Deswegen sind viele in der Freien Archie-Szene skeptisch, wenn es um die Forderung nach staatlicher Unterstützung geht. Das Berliner Bildarchiv Umbruch, das im Umfeld der Instandbesetzer_innenbewegung der 1980er Jahre entstanden ist, empfiehlt hingegen, die Freien Archive sollten zu den Idealen der Freien Archive zurückkehren. Schließlich seien die gegründet worden, um den Nachgeborenen Unterstützung bei ihren Protesten zu geben. Wenn die Miete für die Archivräume steigt, sei es daher sinnvoller, gemeinsam mit den Nachbarinnen den Widerstand zu organisieren, als mehr Unterstützung vom Staat zu fordern
aus ak 617 vom 21.Juni 2016
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Peter Nowak