Bockbrauerei soll für alle da sein

Kiezinitiative befürchtet, dass Kreuzberger Mischung auf traditionsreichem Areal verloren gehen könnte

»Wo einst vor den Toren der Stadt die Fabrikation des ersten norddeutschen Bockbiers begann, harmonieren heute Dienstleistungen, Verwaltung, Handel und Produktion auf einem attraktiv und sympathisch gestalteten Gelände.« So heißt es zumindest in der Selbstdarstellung zum Gewerbequartier Bockbrauerei in Kreuzberg. Auch zahlreiche kulturelle Einrichtungen haben auf dem traditionsreichen Gelände ihr Domizil. Das bundesweit bekannte Archiv der Jugendkulturen gehört ebenso dazu wie die Trommelschule Groove.
Manuela Schubert befürchtet, dass diese Kreuzberger Mischung bald der Vergangenheit angehören könnte. Der Eigentümer des Areals, die Bauwerth Aktiengesellschaft, will nämlich auf einen Teil des Geländes Eigentumswohnungen errichten.

»Das Gewerbe soll erhalten werden«, meint auch ihre Mitstreiterin Pia Lange. Die beiden Frauen engagieren sie sich in der Stadtteilinitiative »Kiezaktiv«, weil sie die Zukunft ihres Kiezes nicht Investoren überlassen wollen. »Wir wollen beobachten, was in unserer Nachbarschaft geschieht und uns auch einmischen«, sagen sie.

»Bei uns ist noch alles in der Schwebe aber wir hoffen sehr, dass wir auf dem Gelände bleiben können«, erklärte die Leiterin des Archivs der Jugendkulturen, Gabriele Rohmann, dem »nd«. Sie setzt auf baldige Verhandlungen mit dem Eigentümer. Das machen auch andere Gewerbemieter. Die Stadtteilinitiative hat dafür Verständnis. »Alle kämpfen erst mal alleine für ihren Verbleib. Manche suchen auch schon nach einem alternativen Standort«, sagt Schubert. Unterstützung bekommt die Initiative von Uwe Hübsch, der die SPD in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg (BVV) vertritt. »Wir halten weiterhin daran fest, dass auf dem Gelände der Bockbrauerei nur Gewerbe entstehen soll.« Jürgen Leibfried von der Bauwert Aktiengesellschaft bestätigte dem »nd« unterdessen, dass sein Unternehmen im Dezember 2015 einen Bauvorbescheid mit dem Ziel eingereicht hat, »im historischen Brauereigebäude kleinteiliges Gewerbe unterzubringen und nach Abriss der Nachkriegsbauten auf dem Areal Wohnungen zu errichten«. Dabei beruft er sich das Abgeordnetenhaus, das im Flächennutzungsplan beschlossen habe, »das Grundstück künftig nicht mehr gewerblich, sondern als Wohnbaufläche zu entwickeln«. Trotz mehrfacher Versuche habe es für Bauwert keine Möglichkeit gegeben, Gespräche mit den Zuständigen des Bezirks hinsichtlich der Art der Bebauung und der Nutzung des Areals zu führen, sagt Leibfried.

Nun dürfte wohl auch das Denkmalschutzamt noch ein Wort mitzureden haben. Die BVV-Fraktionen der LINKEN und der Grünen haben in einer von der SPD unterstützten Resolution gefordert, dass die Bockbrauerei unter Denkmalschutz gestellt wird. Neben den historischen Gebäuden sollen damit auch die Bunker darunter geschützt werden, in denen in der NS-Zeit Juden und sowjetische Kriegsgefangene Zwangsarbeit für Telefunken leisten.

Peter Nowak

Archäologie des Widerstands

Die Zukunft der Freien Archive zwischen staatlicher Förderung und Autonomie.

„Niemals werden zwanzig Foliobände eine Revolution machen. Die kleinen Broschüren sind es, die zu fürchten sind“. Dieser dem französischen Philosophen Voltaire zugeschriebene Satz könnten sich  die  Freien Archive auf ihre Eingangstüren kleben. Schließlich sind  solche Broschüren „in den  Sammelstellen für die papiergewordenen Relikte der autonomen, antifaschistischen, feministischen und anderer außerparlamentarischen   Bewegungen“ in großen Mengen zu finden. So klassifiziert  der Leiter des  Archivs für alternatives Schrifttum  (afas)   Jürgen Bacia die ca. 100 Freien Archive, die  zurzeit noch in Deutschland existieren. Betrieben werden sie überwiegend von Menschen, die es sich zu ihrer Lebensaufgabe gemacht haben, die Hinterlassenschaften der sozialen Bewegungen, in denen sie selber aktiv waren, zu sammeln und aufzubewahren.

In den Hochzeiten der Bewegung wurde diese Tätigkeit eher belächelt. Flugblätter und Broschüren sollten unmittelbar in eine politische Auseinandersetzung einwirken. Dass diese  Produkte einmal historische Dokumente werden würden, war für viele der Beteiligten kein Thema. Doch das hat sich geändert. Viele der an sozialen Bewegungen Beteiligten haben im Alter ein großes Interesse daran, die Bewegungen, in denen sie viel Zeit und Engagement gesteckt hatten, vor dem Vergessen zu bewahren.  Daher wollen viele von ihnen ihre Sammlungen einen der Freien Archive überlassen.  So soll auch verhindert werden, dass Erb_innen nach den Tod von politischen Aktivist_innen die oft ungeordneten Materialen   entsorgen. Es ist oft eher ein Glücksfall, wenn sie in einen Freien Archiv  ihren Platz finden.

Deren Mitarbeiter_innen aber stoßen in vielerlei Hinsicht bei ihrer Arbeit an die Grenzen.  Die Finanzierung ist oft nicht gesichert und die Arbeit kann nur mit viel Selbstausbeutung aufrecht erhalten werden. Daher hat der Freiheitsbegriff für Bacia auch seine Ambivalenz. Der Freiheitsbegriff hat durchaus etwas Ambivalentes.  „Einerseits arbeiten die Freien Archive möglichst hierarchiefrei, zumeist kollektiv  und erliegen  weniger den Zwängen großer Institutionen. Andererseits sind  die Menschen, die dort arbeiten,  häufig frei von regelmäßigen Einkünften und arbeiten unter ökonomischen Bedingungen, die keine Gewerkschaft akzeptieren würde.“ Bacia hat zusammen mit der Mitarbeiterin  des Leitungsteams des Archivs der Deutschen Frauenbewegung in Kassel schon 2013 im Verlag des Archivs der Jugendkulturen unter dem Titel „Bewegung bewahren – Freie Geschichte von unten“ einen Band herausgegeben,   das einen guten Einblick in die Szene der Freien Archive und ihre aktuellen Probleme  gibt.

Vom Bewegungsarchiv zum Dienstleister

Dabei wird auch deutlich, wie sich  die Freien Archive im Zeitalter der Digitalisierung verändern Voltaires Bonmot hatte von den   Zeiten der Französischen Revolution bis zum Ende des 20. Jahrhunderts seine Gültigkeit. Doch im  Zeitalter der Digitalisierung ersetzen zunehmend Internetblogs die kleinen Broschüren. So müssen Menschen, die an aktuellen  politischen Themen interessiert wird, nicht mehr in alten Ordnern stöbern. Doch schon, wenn es um die Geschichte der sozialen Bewegungen vor 30 Jahren geht, stößt man bei einer Internetrecherche schnell an die Grenzen.     Es sei denn, deren Geschichte wird von Freien Archiven digitalisiert und online gestellt. So hat das im Umfeld der Westberliner  Hausbesetzer_innenbewegung   der 1980er Jahre entstandenen Bildarchiv Umbruch zahlreiche Fotos und Videos der Volkszählungsboykottbewegung  im Internet zugänglich gemacht. Wenn man in  Suchmaschinen hingegen die Begriffe  „Kamphofhütte   Bielefeld“ eingibt erhält man einen Treffer.  Dabei  war die Errichtung dieser Hütte Mitte der 1980er Jahre im ostwestfälischen Bielefeld, ein frühes Beispiel einer „Recht auf Stadt-Bewegung“ und prägte für mindestens 2 Jahre einen großen Teil der außerparlamentarischen Linken  Ostwestfalens. Das Beispiel zeigt, dass ohne das Engagement der Freien Archive  Aktivitäten der außerparlamentarischen Linken dem Vergessen anheimfallen.

Staatsknete oder Widerstand?

Um   diese Aufgaben weiter erfüllen zu könne, brauchen die Freien Archive und ihre Mitarbeiter_innen eine staatliche Förderung bei Wahrung ihrer politischen Autonomie, ist die Meinung eines Kreises von Freie Archivar_innen, die Konzepte für eine langfristige Sicherung der Sammlungen erarbeiten. Sie verweisen auf die Archive der DDR-Opposition,  wie das Robert Havemann Archiv in Berlin oder das Thüringer Archiv für Zeitgeschichte Matthias Domaschk“,, die großzügig gefördert werden. Cornelia  Wenzel kann   auf  solche Beispiele auch bei der Frauenbewegung  verweisen.         Doch Kritiker_innen fragen kritisch nach, ob noch von einer Autonomie der Freien Archive geredet werden kann. So wird in den Archiven der DDR-Oppositionsbewegung nur noch am Rande erwähnt, dass die dokumentierten    Gruppierungen keine Wiedervereinigung sondern eine reformierte DDR anstrebten.  Und bei den Erfolgen der Archive der Frauenbewegung sollte nicht vergessen werden, wie mit dem Nachlass  der engagierten Antifaschistin und Pazifistin Fasia Jansen in Oberhausen  umgegangen wird. „Bis heute sind die Materialien teilweise im Rathaus in Kartons untergebracht, andere in einem großen Raum im Infozentrum Gedenkhalle. ein Ort, der für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist“, schreibt Jansens langjährige Mitstreiterin  und Freundin Ellen Diederich. Deswegen sind viele in der Freien Archie-Szene skeptisch, wenn es um die Forderung nach staatlicher Unterstützung geht.  Das Berliner Bildarchiv Umbruch, das im Umfeld der Instandbesetzer_innenbewegung der 1980er Jahre entstanden ist,  empfiehlt hingegen, die Freien  Archive sollten  zu den Idealen der Freien Archive   zurückkehren.  Schließlich seien die  gegründet worden,  um den Nachgeborenen Unterstützung  bei ihren  Protesten  zu geben.   Wenn die Miete für die Archivräume steigt, sei es daher sinnvoller,  gemeinsam mit den  Nachbarinnen den Widerstand zu  organisieren, als mehr Unterstützung vom Staat zu fordern

aus ak 617 vom 21.Juni 2016

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Peter Nowak