Erwerbslose kündigen neue Proteste an

Drohende Verschärfung von Agenda 2010 mobilisiert

In der letzten Zeit war wenig von Erwerbslosenprotesten zu hören. Das könnte sich ändern. Ab September soll es in verschiedenen Städten Aktionen gegen eine erneute Verschärfung der Agenda-2010-Politik geben. Das ist das Resümee einer bundesweiten Tagung, an der im nordrhein-westfälischen Lage Vertreter von rund 60 Erwerbslosengruppen aus dem gesamten Bundesgebiet teilnahmen.

Von einer neuen Protestbereitschaft spricht Martin Künkler von der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen gegenüber »nd«: »Im Jobcenter erleben die Erwerbslosen schon heute ständig Unrecht, und durch die neuen Reformen soll es noch einmal verschärft werden«, so Künkler. Der Grund liegt in einem 43-seitigen, von einer vornehmlich mit Vertretern wirtschaftsnaher Verbände und der Jobcenter bestückter Bund-Länder-Kommission verfassten Papier mit dem Titel »Rechtsvereinfachung im zweiten Sozialgesetzbuch II«.

Tatsächlich sind in dem Text einige Verbesserungen für die Situation von Hartz IV-Empfängern aufgelistet. Doch der Großteil bedeutet eine Verschlechterung, analysiert der Referent für Erwerbslosen- und Sozialrecht, Harald Thomé. Beispielsweise kann demnach das Amt überzahlte Beträge auch ohne Bescheid zurückfordern. Zudem sollen Familienangehörige noch stärker als bisher für behördliche Rückforderungen haften. Rechtloser sollen auch Hartz-IV-Betroffene werden, denen das Jobcenter über Monate oder gar Jahre hinweg zu geringe Leistungen gezahlt hat.

Komme die Arbeitsgruppe mit ihren Plänen durch, resümiert Harald Thomé, werde für den ohnehin abgehängten Teil der Bevölkerung »eine Sonderrechtszone zementiert, die immer stärker vom einst gültigen Sozialrecht abweicht«. Dabei existierte bereits jetzt ein Sonderrecht für Arme, moniert Martin Behrsing vom Erwerbslosenforum Deutschland gegenüber »nd«.

Es sei ein Skandal, dass »in den Jobcentern eine Art rechtsfreier Raum herrscht«, sagte Evelyn Schuckhardt von der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO) auf der Tagung der Erwerbslosenaktivisten, die am Wochenende zu Ende ging. Nach den Angaben der Bundesagentur für Arbeit seien 44 Prozent aller Klagen von Leistungsberechtigten erfolgreich. »In fast jedem zweiten Fall muss also ein Sozialgericht das Recht durchsetzen, dass die Jobcenter zuvor missachtet haben«, so Schuckhardt weiter. Daher empörte die Versammelten besonders, dass zu den Vorschlägen der Bund-Länder-Kommission auch eine Kostenpflichtigkeit der Widersprüche gehört, die damit klar erschwert würden. Die geplanten Verschärfungen werden von populistischer Hetze gegen Erwerbslose flankiert. So bezeichnete »Bild« im Mai den Erwerbslosenaktivisten Michael Fielsch in einer Schlagzeile als Sozialschmarotzer, weil der in einer TV-Sendung gesagt hatte, er sehe sein Engagement für die Opfer der Agenda 2010 als sinnvollere Arbeit an als die vom Jobcenter geforderten Bewerbungstrainings. Mit seiner Ausstellung »In Gedenken an die Opfer der Agenda 2010« war Fielsch bundesweit bekannt geworden. Darin wird an Hartz-IV-Betroffene erinnert, die aus Angst vor Sanktionen den Freitod wählten oder die, wie die Berliner Rentnerin Rosemarie Fließ, nach einer Zwangsräumung starben Die geplanten Verschärfungen bei Hartz IV könnte die Zahl der Opfer noch erhöhen. Daher hofft Künkler, dass die Flaute der Erwerbslosenbewegung vorbei ist und der Protest wieder wächst.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/936000.erwerbslose-kuendigen-neue-proteste-an.html

Peter Nowak


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