Wenn die Kündigung in die Rehaklinik geschickt wird

Stress am Arbeitsplatz und Kündigung: „Wie misst man eigentlich die Arbeitsleistung eines Produktentwicklers?“

Stress am Arbeitsplatz ist mittlerweile ein Dauerthema. Nachdem vor zwei Wochen der DGB eine Studie zu diesem Thema vorgelegt hat, treffen sich heute in Berlin Vertreter aus Politik, Gewerkschaften, und Wirtschaft, um über Maßnahmen zu beraten. Der Medizinsoziologe Johannes Siegrist bringt die Zunahme von Stress am Arbeitsplatz auch mit der Globalisierung in Verbindung.

„Die Intensität der Arbeit hat sich in den vergangenen 20 Jahren in vielen Berufen gesteigert. Das Tempo, die Arbeitsmenge, die zu erledigen ist, und die Anforderungen an die Arbeit haben sich erhöht.“

Ein wichtiger Grund sei die zunehmende Konkurrenz in Zeiten der Globalisierung. Wobei die Konkurrenzsituation längst in allen Bereichen des Arbeitslebens Einzug gehalten hat. Günther Demin (Name auf Wunsch des Betroffenen verändert) kennt das Thema Stress am Arbeitsplatz allerdings nicht nur aus den Medien. Dem 48-jährigen Softwareentwickler eines mittelständischen Betriebs wurde im Dezember gekündigt. Jetzt kämpft er um seinen Arbeitsplatz.

Demin würde zu geringe Arbeitsleistung erbringen, so Begründung der Firma. Für ihn ist der Vorwurf nicht nachvollziehbar. „Wie misst man eigentlich die Arbeitsleistung eines Produktentwicklers?“, fragt er sich. Vor allem die Umstände der Kündigung machen ihn wütend. So sei mit ihm vor der Kündigung nicht gesprochen worden. Außerdem war er krankgeschrieben, als er die Kündigung erhalten hat. Dass es kein großer Beitrag zur Genesung ist, wenn man kurz vor Weihnachten in einer Rehaklinik die Kündigung erhält, kann sich jeder denken.

Klinikaufenthalt als Arbeitsverweigerung?

Zumal der Firmenleitung seine gesundheitlichen Probleme bekannt gewesen sein müssen. Denn Demin hat sich eigentlich vorbildlich verhalten, wenn man die Tipps und Ratschläge der medizinischen Fachleute zum Maßstab nimmt. Schon im Frühjahr letzten Jahres stellte er nach gesundheitlichen Problemen bei seiner Rentenversicherung einen Antrag auf eine stationäre Behandlung in einer Rehaklinik. „Neben der Sicherung meiner Gesundheit hatte auch der Erhalt meines Arbeitsplatzes für mich hohe Priorität“, erklärt Demin.

Deshalb bat er seinen Arbeitgeber um eine Arbeitszeitverkürzung, damit er die Anforderungen am Arbeitsplatz und die Wiederherstellung seiner Gesundheit miteinander verbinden kann. Der Arbeitgeber habe die Bitte aber abgelehnt, so Demin. Stattdessen erhielt er eine Abmahnung wegen Arbeitsverweigerung.

Dabei habe es sich klar um ein Missverständnis gehandelt, betont der Betroffene. Er habe seinen Arbeitgeber auf seinen beantragten, aber auch noch nicht bewilligten Klinikaufenthalt hinweisen wollen und gesagt, dass er möglicherweise krankheitsbedingt für einige Wochen nicht am Arbeitsplatz erscheinen könne. Die Abmahnung sei später zurückgenommen worden.

Demin zeigt im Gespräch mit Telepolis sogar Verständnis für seinen Chef. Vielleicht sei die Ankündigung ja tatsächlich missverständlich formuliert gewesen. Allerdings kann auch eine besondere Stresssituation entstehen, wenn Beschäftigte erfahren müssen, dass ein angekündigter Klinikaufenthalt als Arbeitsverweigerung sanktioniert wird. Könnten solche Maßnahmen nicht gerade dazu führen, dass Beschäftigte, statt sich um ihre Gesundheit zu kümmern, alles unternehmen, um ihren Arbeitsplatz zu erhalten und dann lieber Pillen schlucken, als sich krankschreiben zu lassen?

Normalität, die viele nicht wahrhaben wollen

Im Sommer 2012 bat Demin seinen Chef um eine Arbeitszeitverkürzung. Zuvor hatte er einen Nervenzusammenbruch erlitten, der mit einem zweiwöchigen Klinikaufenthalt verbunden war. Dieses Mal hatte er zur Untermauerung ein ärztliches Attest vorweisen können. „Meine damaligen Ärzte bescheinigten mir, dass eine kürzere Arbeitszeit für mich gesundheitlich dringend anzuraten ist“, betont Demin. Darauf habe ihm sein Arbeitgeber eine bis Ende 2012 befristete Arbeitszeitverkürzung genehmigt. Ab September 2012 habe er 32 statt bisher 40 Stunden in der Woche gearbeitet. Ab 31. Oktober habe die beantragte Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik begonnen, die Anfang Dezember noch einmal um drei Wochen verlängert worden sei. Während dieser Behandlung sei ihm die Kündigung zugeschickt worden.

Die Rehaklinik hat er Ende Dezember verlassen. Allerdings sei er noch bis zum 18.Februar 2013 arbeitsunfähig geschrieben, berichtet Demin gegenüber Telepolis. Für seinen Arbeitsplatz will er in dieser Zeit aber trotzdem kämpfen. Ein Gütetermin vor dem Stuttgarter Arbeitsgericht blieb am 29. Januar ohne Ergebnis. Jetzt will er sich auf den Arbeitsgerichtsprozess vorbereiten und dabei auch Gewerkschaften und soziale Initiativen informieren. Der Termin des Prozesses steht noch nicht fest. Von der Firma gab es bislang noch keine Stellungnahme zu den Vorwürfen.

Sie soll auf Wunsch des Betroffenen nicht namentlich genannt werden. Es ist auch nicht nötig, denn was Demin berichtet, ist gerade nicht ein besonders skandalöser Fall, sondern eher die Schilderung einer Normalität, die viele nicht wahrhaben wollen. Wenn sich jetzt auch Vertreter der Politik und Wirtschaft alarmiert zeigen, wird nicht selten auf die volkswirtschaftlichen Schäden verwiesen, die durch die gesundheitlichen Folgen von Stress am Arbeitsplatz entstehen. Der Fall Günther Demin macht aber deutlich, wie hoch die Kosten für den einzelnen Beschäftigten sind, über die auch in der aktuellen Debatte zu selten geredet wird.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153640
Peter Nowak


Kommentare sind geschlossen.