Gefährden Israels Atomraketen den Weltfrieden?

Günter Grass und Teile der deutschen Friedensbewegung üben sich in Israelkritik

Von dem Nobelpreisträger Günter Grass ist eigentlich seit einigen Jahrzehnten bekannt, dass er sich oft und gerne zu Wort meldet. Geschwiegen hat er höchstens zu lange über seine SS-Mitgliedschaft. Die ist allerdings nicht gemeint, wenn Grass heute in verschiedenen Zeitungen ein Gedicht mit dem Titel „Was gesagt werden muss“ veröffentlicht, dass mit dem Satz beginnt: „Warum schweige ich, verschweige zu lange.“

Grass prangert Israels Atomwaffen an und sorgt sich darum, dass damit die iranische Bevölkerung wegen des Maulheldentums ihres Präsidenten ausgelöscht werden könnte. Die eigentliche Sorge von Grass besteht aber darin, dass Deutschland sich daran mit einer U-Boot-Lieferung an Israel beteiligt. Deswegen hat Grass jetzt beschlossen, nicht mehr zu schweigen.

Die von Grass bestimmt kalkulierte Kritik kam sofort. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden sprach von einer aggressiven Polemik und warnte vor einer Dämonisierung Israels. Der Publizist Henryk M. Broder konterte wie gewohnt weniger diplomatisch: „Nicht ganz dicht, aber ein Dichter.“ Broder wirft Grass vor, in dem Gedicht nur zusammengefasst zu haben, was er schon immer gedacht und gesagt hat:

„Ganztätig mit dem Verfassen brüchiger Verse beschäftigt, hat er keine der vielen Reden des iranischen Staatspräsidenten mitbekommen, in denen er von der Notwendigkeit spricht, das ‚Krebsgeschwür‘, das Palästina besetzt hält, aus der Region zu entfernen. Denn das ist nur ‚Maulheldentum‘, das man nicht ernst nehmen muss, so wie die Existenz einer einzigen Bombe ‚unbewiesen‘ ist, bis sie zum Einsatz kommt. In dem Falle würde Grass um die Opfer trauern und den Überlebenden Trost spenden, denn er fühlt sich dem Land Israel ‚verbunden‘.“

Lautsprecher des Mainstreams

Tatsächlich fallt auf, dass sich Grass mit der mehrmals wiederholten Floskel „Was gesagt werden muss“, „das allgemeine Schweigen“, als mutiger Mann zu inszenieren versucht, der zumal in Deutschland „mit letzter Tinte“ und Zittern vor eigenem Mut Israel vorwirft, den Weltfrieden zu gefährden. Nur ist Grass damit durchaus ein Lautsprecher einer Mehrheit nicht nur in Deutschland, sondern in vielen EU-Ländern, die Israel als Gefahr für den Weltfrieden bezeichnen. Die Gefahr einer Dämonisierung Israels ist also sehr real. Zumal das von Grass aufgeworfene Szenario eines Atomschlags, bei dem die iranische Bevölkerung umkommt, schon Teil einer Projektion ist. Schließlich sind bislang zielgenaue Anschläge gegen iranische Atomanlagen und nicht ein Atombombenabwurf gegen Teheran in der Diskussion. Bemerkenswert ist auch, dass Grass, der auch in dem Gedicht seine Verbundenheit mit Israel bekundet, keinen Gedanken daran verschwendet, dass ein Regime im Besitz von Atomwaffen gelangen könnte, dessen führenden Repräsentanten immer wieder dem Staat Israel ein schnelles Ende wünschen.

Dass Grass mit seiner einseitigen Israelschelte nicht allein ist, zeigte auch eine kürzlich in mehreren Zeitungen veröffentlichten „Erklärung aus der Friedensbewegung und der Friedensforschung“, in der ein Ende aller Kriegsdrohungen und Sanktionen gefordert wird und dabei Israel als das eigentliche Problem gebrandmarkt wird: „Das iranische Volk will – alle Indizien sprechen dafür – weder einen Krieg noch iranische Atombomben. Es wehrt sich allerdings gegen jede militärische Bedrohung von außen. Israels Atomarsenal und die militärische Einkreisung Irans durch die USA, die inzwischen in nahezu allen seinen Nachbarländern Militärbasen errichtet haben, sind wichtige Ursachen für die Rüstungsanstrengungen Irans.“

Der als langjähriger Kritiker der israelischen Rechten bekannte Publizist Micha Brumlik bezeichnete in der Tageszeitung den Aufruf als geschichtsvergessen. Warum Grass nicht einfach diese Erklärung unterschreiben, sondern aus seiner Israelkritik ein Gedicht machen musste, ist leicht zu erklären. Dann stände er nicht im Mittelpunkt der Diskussion – und das mag ein Günter Grass wohl nun mal gar nicht.

http://www.heise.de/tp/blogs/6/151745
Peter Nowak