Gendertrouble in der SPD

Der Historiker Ralf Hoffrogge liefert einen Zugang zur Geschichte der frühen Arbeiterbewegung jenseits von Verklärung und Totalverriss
Der Berliner Historiker Ralf Hoffrogge erklärt der außerparlamentarischen Linken, was an der frühen Arbeiterbewegung auch heute noch spannend ist.
Die Arbeiterbewegung wird häufig auch in linken Kreisen als toter Hund belächelt. Die meisten Gruppen der außerparlamentarischen Linken betonen eher die Distanz als die Gemeinsamkeiten. Der Historiker Ralf Hoffrogge, der sich mit der Wiederentdeckung des führenden Aktivisten der Revolutionären Obleute Richard Müller Verdienste erworben hat, veröffentlichte in der Reihe theorie.org im Schmetterling-Verlag ein Buch, dass einen anderen Zugang zu der Arbeiterbewegung vermittelt.

In mehreren Kapiteln beschäftigt sich Hoffrogge mit der Positionierung der Arbeiterbewegung zu Rassismus, Feminismus, Antisemitismus und Homophobie. Nicht ohne Grund. In großen Teilen der außerparlamentarischen Linken, wird die These vertreten, dass die Arbeiterbewegung zu diesen Unterdrückungsformen keine Antworten gefunden hat, die heute noch aktuell sein können. Demgegenüber betont Hoffrogge, die Arbeiterbewegung habe sehr wohl fortschrittliche Positionen zu diesen Fragen im Kontext ihrer Zeit gehabt, auch wenn die SPD und die Gewerkschaften in ihrer Praxis oft weit dahinter zurück gefallen sind. Hoffrogge hebt den letzten Absatz des theoretischen Teils des Erfurter Programms positiv hervor, das sich die SPD nach dem Fall des Sozialistengesetzes vor nunmehr 120 Jahren gegeben hat. Dort heißt es: „Die SPD kämpft also nicht für neue Klassenprivilegien und Vorrechte, sondern für die Abschaffung der Klassenherrschaft und der Klassen selbst und für gleiche Rechte und Pflichten ohne Unterschied des Geschlechts und der Abstammung. Von dieser Anschauung bekämpft sie in der heutigen Gesellschaft nicht nur die Unterdrückung der Lohnarbeiter, sondern jede Art der Ausbeutung und Unterdrückung, richtet sie sich gegen eine Klasse, ein Geschlecht oder eine Rasse“. Natürlich war diese Definition nach den heutigen Maßstäben kritikwürdig, wenn beispielsweise von der Existenz von Rassen ausgegangen wird. Aber Hoffrogge betont, dass die Definition im Kern auch heute noch für feministische Debatten brauchbar sei Daher hat er den Abschnitt im Buch auch sehr modern als „Gendertrouble in der Arbeiterbewegung“ überschrieben.
Positiv würdigt Hoffrogge auch die zahlreichen theoretischen Interventionen von Marx und Engels, zum Beispiel dessen Anti-Dühring: „Engels Kampf gegen Dühring ersparte der Arbeiterbewegung zudem einen fatalen Irrtum. Dühring vertrat nicht nur eine positivistische Philosophie. sondern war auch einer der ersten Vertreter eines modernen Rasse-Antisemitismus“.
Auch Marx habe sich mit seiner theoretischen Arbeit gegen den Antisemitismus gerichtet, so der Autor. „Marx richtet eigentliche Gesellschaftsanalyse richtet sich gegen jeden völkische und sonst wie personalisierte Form der Kapitalismuskritik, in der die kapitalistische Moderne als eine Verschwörung bestimmter Gruppen erschien“.
Hoffrogge erinnert auch an das wenig bekannte Engagement von führenden sozialdemokratischen Politikern der ersten Stunde wie August Bebel gegen die Verfolgung von Homosexuellen. Der Autor verklärt die Geschichte der Arbeiterbewegung keineswegs. Aber macht deutlich, dass sie durchaus vielfältiger war, als heute oft vermutet und auch für linke Aktivisten noch von Interesse sein kann.

Hoffrogge Ralf, Sozialismus und Arbeiterbewegung in Deutschland, Von den Anfängen bis 1914, Schmetterling Verlag, 216 Seiten, Stuttgart 2011, 10 Euro, ISBN 3-89657-655-0

https://www.neues-deutschland.de/artikel/214676.gendertrouble-in-der-spd.html
Peter Nowak