Mit Tempo 100 ins soziale Abseits

Welche Rolle Autobahnen bei der Abwertung und Verarmung der Innenstädte einnehmen

Der Bau einer Autobahn trägt zur Konzentration von Armut in den angrenzenden Wohngebieten bei. Das ist das Ergebnis einer vom Berliner Stadtforschungsbüro Topos erstellten Studie. Für die repräsentative Untersuchung wurde je ein Wohngebiet in Berlin und Essen mit einer sozial unterschiedlichen Struktur beforscht. In Berlin handelte es sich um ein Wohngebiet am Bundesplatz. Die Ergebnisse lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Wohngebiete entlang der Stadtautobahn weisen quer durch alle
Generationen einen signifikant höheren Anteil von Erwerbslosen und sozial Benachteiligten auf. „Beschäftigte haben niedrigere Einkommen und ältere Bewohner in Autobahnnähe erhalten geringere Renten“, sagte Topos-
Geschäftsführer Sigmar Gude bei der Vorstellung der Studie. Er wies darauf hin, dass die Bewohner wegen ihres niedrigen Einkommens selbst häufig kein Auto besitzen. „Sie leiden unter den Folgen eines Individualverkehrs,
an dem sie selber kaum beteiligt sind“, so Gudes Resümee.

Lärmschutzbestimmungen werden oft nicht eingehalten

Auch der Zustand der Wohnhäuser ist der Studie zufolge umso schlechter, je näher sie an der Autobahn stehen – und der Leerstand nimmt zu. Die gesetzlich vorgeschriebenen Lärmschutzmaßnahmen werden oft nicht ingehalten. So waren in einem großen Teil der autobahnnahen Wohnungen im Untersuchungsgebiet keine Lärmschutzfenster eingebaut:
Im Berliner Untersuchungsgebiet verfügten ca. 40%, in Essen sogar nur in 25% der Wohnungen über Schallschutzfenster–  obwohl sie gesetzlich vorgeschriebenen sind. Der Grund für diese Missachtung liegt darin,
dass die Betroffenen häufig nicht über die rechtliche Situation informiert sind und selbst aktiv werden müssen. Gude betonte allerdings,
die Untersuchungen hätten ergeben, dass auch eingebaute Lärmschutzfenster die Abwertung der autobahnnahen Wohnviertel nicht stoppen können. Besonders schlecht ist der bauliche Zustand der Häuser und die soziale Situation der Mieter in der ersten Reihe an der Autobahn, aber auch in den hinteren Reihen sind die Indikatoren wesentlich schlechter als in vergleichbaren Wohngegenden ohne Autobahn. „Innerstädtische Verkehrsstraßen mit starken Emissionsbelastungen sollten möglichst vermieden werden.
In jedem Fall sollte eine genaue Überprüfung der möglichen negativen Auswirkungen auf den betroffenen Stadtteil vorgenommen werden“, lautet die Schlussfolgerung, die Sigmar Gude aus den Ergebnissen der Studie zieht.

Unterstützung für die Gegner der A 100

Die Studie dürfte in der nächsten Zeit für Diskussionen sorgen. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hält am Weiterbau der A 100 fest, obwohl die Grünen, Die Linke und auch große Teile der SPD das
Projekt ablehnen. Beim letzten Landesparteitag der SPD konnten sich die Befürworter der Verlängerung der A 100 nur knapp durchsetzen. Die Berliner/innen, die in der letzten Zeit verstärkt Widerstand gegen die
Trassenverlängerung geleistet haben, dürften sich durch die Ergebnisse der Studie auf jeden Fall bestätigt sehen. Bemerkenswert ist, dass es sich um die erste Studie handelt, die den Zusammenhang zwischen dem Autobahnbau und der sozialen Lage der Anwohner/innen untersucht. Die  Mieter/innen haben bisher bei solchen Bauprojekten keine große Rolle gespielt – die
Planer gehen davon aus, dass sie irgendwann schon wegziehen.

http://www.bmgev.de/mieterecho/mepdf/me342heft.pdf

Peter Nowak


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