Auf dem Weg zu einer bundesweiten Gefangenengewerkschaft

Eine Zellenrazzia sorgt für Aufmerksamkeit

Von Peter Nowak, Berlin. – Im Mai gründeten Gefangene in der JVA Tegel eine Gefangenengewerkschaft. Dies wurde sofort mit Repression und Einschüchterungsversuchen beantwortet. Dabei sind die zentralen Forderungen bisher Mindestlohn auch für Gefangene und Einbeziehung in die Rentenversicherung. In mehreren europäischen Ländern, wie Italien und Österreich, ist das längst Realität. In der Bundesrepublik dagegen sind die  Gefangenen sind nur ein Teil eines ganzen Heeres von Billiglöhner_innen. Die Kapitalist_innen und die mit ihnen befreundeten Politiker_innen werden nicht müde, den Untergang des Abendlands heraufzubeschwören, wenn diese Menschen wenigstens den Mindestlohn erhalten.

Eine Gefangenengewerkschaft erscheint möglicherweise auch engagierten GewerkschafterIinnen draußen utopisch. Warum eigentlich? In Argentinien existiert seit 2012 die Gefangenengewerkschaft SUTPLA. Diese ist mittlerweile Mitglied des Mitte-Links Gewerkschaftsbündnisses CTA. Wie CTA-Funktionäre berichten, hat die Gefangenengewerkschaft bereits die Aufmerksamkeit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) auf sich gezogen. Das Experiment habe gute Chancen, auch in andere Länder exportiert zu werden. Selbstverständlich erhalten die Gefangenen in Argentinien den gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 553$. Aber auch dort muss die Gefangenengewerkschaft ständig gegen eine Knastbürokratie ankämpfen, die mit miesen Tricks versucht, den Mindestlohn doch zu umgehen.

Hierzulande wird ja gerne behauptet, die Arbeit der Gefangenen sei gar keine „richtige“ Arbeit und deshalb würden Tarifverträge und arbeitsrechtliche Bestimmungen nicht greifen. Mit diesem Argument versuchte Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) der neuen Gewerkschaft den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch ein solcher Widerstand von Seiten der Politik dürfte hinter Knastmauern wenig Eindruck machen. In der JVA Berlin-Tegel haben innerhalb kurzer Zeit mehr als 150 Gefangene die Initiative mit ihrer Unterschrift unterstützt. Dass es bei zwei Initiatoren eine Zellenrazzia gab, bei der Unterlagen zur Gründung beschlagnahmt wurden, hat eher noch zur Unterstützung im Gefängnis beigetragen. Mittlerweile hat sich die Initiative über Tegel hinaus ausgeweitet. In den Gefängnissen Berlin-Plötzensee, Willich und Aschaffenburg haben sich Vorbereitungskreise für eine Gefangenengewerkschaft gegründet. Sie ist also auf dem Weg zu einem bundesweiten Projekt. Damit erfüllt sich ein Wunsch der Gewerkschaftsinitiatoren, die in ihrer Gründungserklärung geschrieben haben.

„Mit unserer Initiative setzen wir darauf, beispielgebend für Gefangene in anderen Haftanstalten der Bundesrepublik zu sein, damit die eigenen Belange nicht nur auf geduldigem Papier stehen, sondern vor allem auch gehört werden müssen.“

Herausforderung an die bestehenden Gewerkschaften

Die Gründung ist auch eine Herausforderung an die bestehenden Gewerkschaften. Dort sind Inhaftierte als Mitglieder bisher ausgeschlossen, da die Rechtsform ihrer Tätigkeit nicht ein klassisches Arbeitsverhältnis sei, sondern ein »öffentlich-rechtliches Beschäftigungsverhältnis eigener Art«. Obwohl sie ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen, haben Inhaftierte kaum Möglichkeiten, ihre ohnehin eingeschränkten Rechte einzufordern. Darüber hinaus sind Gefangene deutscher Justizvollzugsanstalten gemäß Paragraph 41 des Strafvollzugsgesetzes bis zum Rentenalter verpflichtet, zu arbeiten. Ein Verstoß kann disziplinarisch, zum Beispiel mit dem Entzug von Vergünstigungen wie dem Fernseher in der Zelle, geahndet werden und führt zudem dazu, dass man die Gefangenen zur Zahlung von Haftkosten heranzieht. In manchen Gefängnissen wird Arbeitsverweigerern sogar nach 22 Uhr der Strom abgestellt.

2012 starteten in einigen Bundesländern Initiativen zur Abschaffung der Arbeitspflicht. Sie waren nur in drei Bundesländern erfolgreich. Der Sonderstatus der Arbeit in den Gefängnissen sorgt weiterhin dafür, dass die Inhaftierten von der Rentenversicherung ausgeschlossen sind. Ein Gesetz zur Einbeziehung der Gefangenen wurde 1976 im Parlament beschlossen,  aber bis heute nicht umgesetzt. Der Rentenanspruch von Menschen, die mehrere Jahre in Haft waren, verringert sich  drastisch. Nach acht bis zehn Jahren gibt es in der Regel kaum noch Hoffnung für ein Auskommen über Hartz-IV-Niveau. Vor allem bei der Entlassung älterer Menschen ist das ein immenses Problem. Wie der Gefangenenbeauftragte des Komitees für Grundrechte erklärte, erhält seine Organisation immer wieder Briefe von Gefangenen, die über schlechte Arbeitsbedingungen, miese Löhne und die fehlenden Rentenbeiträge klagen. Sie wenden sich an das Grundrechtekomitee, weil sie dort einen Ansprechpartner_innen für ihre Rechte v. Mit der Gefangenengewerkschaft würden sie sich eine Organisation schaffen, mit der sie selber für ihre Rechte kämpfen könnten.

Gefängnis als verlängerte Werkbank

Das wird besonders aktuell in einer Zeit, in der sich auch in Deutschland ein gefängnisindustrieller Komplex herausbildet. So wurde allein in Berlin im letzten Jahr mit Knastarbeit ein Umsatz von über 7 Millionen Euro gemacht. In anderen Bundesländern ist diese Entwicklung teilweise noch weiter fortgeschritten. In Hessen gibt es bereits eine teilprivatisierte Haftanstalt die Kaffee verkauft. Der Knastshop „SANTA FU – kreative Zellen“ wirbt mit „heißen“ und „originellen“ Produkten und Geschenkideen „direkt aus Hamburgs Knast.“ Der Justizvollzug Nordrhein-Westfalen bietet auf der Seite www.knastladen.de Produkte für Privatkunden, aber auch für die öffentliche Hand an. Der sächsische Online-Shop www.gitterladen.de sieht die Gefangenenarbeit „als verlängerte Werkbank des Handwerks und der Industrie“ um deren „Auftragsspitzen schnell und kompetent abfangen“ zu können.

Eine Kölner Jobberinitiative hat sich genauer mit den Lohnarbeitsverhältnissen in der JVA Rheinbach bei Köln befasst. Dort lässt beispielsweise die Firma Miele Kabeltrommeln für ihr Werk in Euskirchen vormontieren. Eine Million Teile habe Miele im letzten Jahr aus der JVA Rheinbach bezogen. Die Gefangenen, die für Miele arbeiten, erhalten im Schnitt 11 Euro am Tag. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall existiert natürlich nicht. Ein Unternehmenssprecher versuchte das Ganze in einem Interview mit dem Bonner General-Anzeiger auch noch als soziale Wohltat zu verkaufen:

„Es handelt sich um Tätigkeiten mit hohem Handarbeitsanteil, die wir in unseren eigenen deutschen Werken nicht wirtschaftlich darstellen könnten. Eine Alternative wäre, die Teile von Zulieferern mit Auslandsfertigung herstellen zu lassen. Wir haben uns aber bewusst dafür entschieden, solche Arbeiten auch an Justizvollzugsanstalten oder betreute Werkstätten zu vergeben.“

Unterstützung von Außen notwendig

Die Gewerkschafter_innen im Knast hätten also durchaus auch die Macht, Forderungen durchzusetzen. Eine solidarischer Unterstützung von draußen wäre die beste Starthilfe, die wir der Gefangenengewerkschaft geben können. Angesprochen sind Gewerkschafter_innen, Solidaritäts- und Antirepressionsgruppen und zvilgesellschaftliche Initiativen.

Kontakt zur Gefangenengewerkschaft:

Postadresse der Gefangenen-Gewerkschaft / BO
Gefangenen-Gewerkschaft / BO
c/o Haus der Demokratie und Menschenrechte
Greifswalder Straße 4
D 10405 Berlin

Homepage: http://www.gefangenengewerkschaft.de/

aus:  Contraste – Die Montagszeitung für Selbstorganisation

http://www.contraste.org/index.php?id=23