
Im Berliner Stadtteil Wedding, rund um den Humboldthain, ist die militärische „Zeitenwende“ angekommen. Eine Autofabrik wird dort in eine Rüstungsschmiede umgewandelt. Über viele Jahre hinweg hatten die Pierburg-Motorenwerke ihren Sitz an dem abgelegenen Gelände entlang der Hussiten- und Scheringstraße. Auf ihrer Homepage stellte sich das Werk als „Spezialist für die Bereiche Schadstoffreduzierung, Luftversorgung und Drosselklappen“ vor. Doch in einigen Monaten sollen dort statt Motorenteilen …
… für angeblich umweltschonende Fahrzeuge Rüstungsgüter vom Band laufen.
Diese Konversion von der Zivil- zur Rüstungsindustrie ist derzeit an zahlreichen deutschen Industriestandorten im Gange. Auf der Website Orte der Aufrüstung sind mehrere Beispiele aufgelistet. So sind beispielsweise die Heidelberger Druckmaschinen AG und die Görlitzer Alston-Werke ins Rüstungsgeschäft eingestiegen. In letzteren sollen künftig Panzerersatzteile statt Straßenbahnen gefertigt werden. Das Weddinger Pierburg-Werk gehört bereits seit 1986 zum Rheinmetall-Konzern. Doch erst im Zuge der militärischen „Zeitenwende“ wird jetzt die Produktion umgestellt.
„Das Werk Berlin soll neben den Aktivitäten in der Brennstoffzellen-Technologie künftig überwiegend mechanische Komponenten für den militärischen Bedarf fertigen“, sagte ein Rheinmetall-Sprecher gegenüber Medien. Mit mechanischen Komponenten seien beispielsweise Munitionsteile gemeint, die keine Explosivstoffe enthalten. Über weitere Details der geplanten Produkte schweigt sich Rheinmetall noch aus. Die Umstellung soll in mehreren Etappen erfolgen. Die vollständige Inbetriebnahme der Rüstungsproduktion ist für die zweite Jahreshälfte 2026 geplant.
Betriebsräte hoffen auf sichere Arbeitsplätze
Der Betriebsratsvorsitzende Bernd Benninghaus und sein Stellvertreter Martin Wolfgang Hoffmann begrüßen die Entwicklung von der Pierburg GmbH zur Rheinmetall Waffen- und Munitions-GmbH im Informationsblatt der Gewerkschaft IG Metall, der beide angehören. Auf einem Foto sind sie mit stolzer Miene vor dem neuen Firmenlogo am Werkseingang zu sehen. Sie erhoffen sich eine Sicherung der Arbeitsplätze durch die Investitionen in die Rüstung. „Die Umstellung unseres Werks auf die Produktion von Rüstungsgütern ist ein positives Zeichen mit Blick in die Zukunft. Die Transformation läuft bei uns anders als gedacht, ist aber alternativlos“, erklärt Benninghaus. Die aktuelle Krise in der Automobilindustrie habe man als Zulieferer schon im Vorfeld gespürt. „Bereits 2024 war das sehr deutlich an der zurückgehenden Auftragslage zu erkennen“, ergänzt sein Kollege Hoffmann.
Auch dieser argumentiert für den Erhalt der meisten Arbeitsplätze. „Bei uns arbeiten rund 345 Kolleginnen und Kollegen. Die 293 Beschäftigten des Werkes, inklusive Auszubildende, werden von der Pierburg GmbH übernommen und gehen in die Rheinmetall Waffen Munitions GmbH über.“ Die Entwicklungsabteilung mit 40 Beschäftigten bleibe wiederum bei der Pierburg GmbH am Standort. Benninghaus will unter der Belegschaft insgesamt eine positive Stimmung für die Umwandlung bemerkt haben. „Mit diesem Wechsel haben wir eine Arbeitsplatzsicherheit für fünf Jahre und mehr“, führt er aus. „Wir kommen jetzt raus aus diesem Kreislauf und sehen als Betriebsrat die Chance, uns wirklich auf die Arbeit konzentrieren zu können.“ Probleme mit alten Maschinen und Anlagen gehörten dann der Vergangenheit an.
Die IG Metall warnt vor Illusionen
Artur Siemens von der Presseabteilung der IG Metall äußert sich gegenüber dem Freitag wesentlich kritischer zur Rüstungskonversion. Zwar räumt er ein, dass die geplante Steigerung der Verteidigungsausgaben zu einem Beschäftigungsaufbau im Rüstungsbereich führen werde – in der öffentlichen Debatte als Rüstungs-Keynesianismus bezeichnet. Dieser werde aber den drohenden Wegfall von Arbeitsplätzen in der Automobilindustrie, im Zuliefererbereich und in anderen Kernbranchen der Metall- und Elektroindustrie nicht ausgleichen können.
„Beschäftigte in hoher Zahl von anderen Industriebranchen in Betriebe der wehrtechnischen Industrie zu überführen, ist unrealistisch und keine Lösung für die strukturellen Probleme der Industrie“, dämpft Siemens die optimistischen Erwartungen der Weddinger Betriebsräte. Für manche klassische Automobilzulieferer könne die wehrtechnische Industrie eine Ergänzung sein. „Im großen Maßstab ist es jedoch keine Lösung“, betont er. Die IG Metall warne davor, alle Hoffnung auf die wehrtechnische Industrie zu setzen und andere Branchen zu vernachlässigen.
Diese Meinung vertritt auch der wirtschaftspolitische Sprecher der Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus, Damiano Valgolio. Rüstungsgüter seien ein „süßes Gift“ für die Unternehmen. „Sie können für ein paar Jahre lukrative Aufträge abgreifen.“ Dies sichere aber langfristig keine Arbeitsplätze.
Rheinmetall ist kein guter Nachbar
Die Linkspartei hat sich auch an Protesten gegen die Waffenschmiede beteiligt. Diese wurden organisiert vom „Berliner Bündnis gegen Waffenproduktion“, das aus rund 30 Gruppen besteht und sich im Frühjahr 2025 gegründet hat. Es arbeitet strikt außerparlamentarisch und betont seine Unabhängigkeit von allen Parteien. In den vergangenen Monaten hat das Bündnis zwei Demonstrationen gegen Rheinmetalls Pläne im Wedding organisiert, an denen sich jeweils rund 2000 Menschen beteiligt haben.
Der Freitag hat mit zwei Aktivistinnen des antimilitärischen Bündnisses über ihre Aktivitäten gesprochen. Sie nennen sich Möwe und Milla Mallikas, ihre richtigen Namen möchten sie nicht mitteilen. Das Rheinmetall-Werk im Wedding sei für sie eine politische Zäsur, erklären sie. „Erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs soll in Berlin wieder Rüstung produziert werden. Das ist ein Ausdruck des neuen deutschen Militarismus“, sagt Möwe. Darüber wollen sie mit den Menschen in der Umgebung der Fabrik diskutieren.
Im „Berliner Bündnis gegen Waffenproduktion“ engagieren sich auch Initiativen, die bereits seit mehreren Jahren im Wedding Politik machen. In ihren Veranstaltungsräumen informieren sie bereits in „antimilitaristischen Versammlungen“ über die geplante Rüstungsfabrik in ihrer Nähe. Zudem wollen die Aktivist:innen die Bewohner:innen in Haustürgesprächen für das Thema sensibilisieren. Ihr Motto: „Rheinmetall ist kein guter Nachbar“. Auch suche man Kontakt mit Beschäftigten des Werkes, die nicht mit der Munitionsherstellung einverstanden sind.
Impulse für eine neue antimilitaristische Bewegung?
Das Bündnis gegen Rheinmetall im Wedding hat jedoch weitreichendere Pläne. Möwe und Mallikas sehen hier das Potenzial für eine neue antimilitaristische Bewegung, in der sich auch junge und migrantische Menschen gerne engagieren. Bei Aktionen der traditionellen Friedensbewegung, wie den Ostermärschen, waren diese Gruppen in den vergangenen Jahren kaum zu finden.
Der bundesweiten Initiative „Rheinmetall entwaffnen“ war es dagegen zuletzt gut gelungen, jüngere Menschen anzusprechen. Mehrfach hatte sie vor Rüstungsfabriken Proteste organisiert. Ihre einfache, aber klare Parole lautet: „Krieg beginnt hier“.
Ab nächsten Sommer ist auch die Rheinmetall-Fabrik im Wedding einer dieser Orte. Proteste könnten dann den Berliner:innen vielleicht ebenso begreiflich machen, dass Krieg nichts Abstraktes oder weit entferntes ist, hofft die Aktivistin Möwe. „Das kann Menschen aufrütteln.“Peter Nowak