Dokument meines Beitrags zum Streikrecht in der Sonderausgabe der Direkten Aktion zum 1. Mai 2025

Massive Angriffe auf das Streikrecht

Die Angriffe auf kämpferische Kolleg*innen und ihre Gewerkschaften rei- hen sich ein in eine Politik des auto- ritären Liberalismus, der auch von den Parteien der Mitte verfochten wird. Da- gegen helfen keine Appelle, doch wider zu Sozialpartnerschaft zurückzukeh- ren. Dagegen bräuchte es eine Bewegung mit der klaren Parole "Hände weg vom Streikrecht"

Es dürfte für Verdi eines der größ- ten und wichtigsten Tarifvorhaben in der nahen Zukunft sein: Einen ›Tarifvertrag pädagogische Qualität und Entlastung‹ will die Gewerkschaft für die 7.000 Beschäftigten der 282 landeseigenen Kitabetriebe erreichen. Ein erfolgreicher Abschluss könnte zum Pionierwerk für Beschäftigte in weiteren Bundesländern und von freien Trägern werden«, schrieb Christian Lelek am 25.4.2024 in der Tageszeitung Neues Deutschland. Tatsächlich hatte Verdi in den folgenden Monaten die Mobilisierung in den Kitas noch weiter erhöht. Dabei war die Kampfbereitschaft bei den Beschäftig- ten groß, obwohl der mediale Gegenwind stark war. Das Bild von den Eltern, die nicht zur Arbeit konnten, weil die Kitabeschäftigten in den Arbeitskampf getreten sind, wurde überall verbreitet. Doch es gab auch öffentliche Unterstützung für die Kolleg*innen. Auch einige Elterninitiativen unterstützten in Berlin auf einer Kundgebung wenige Tage vor dem geplanten Streikbeginn die Kita-Beschäftigen. Doch der lange vorbereitete Arbeitskampf sollte nie stattfinden. Denn wenige Tage vor dem Beginn …

… hatte das Berliner Arbeitsgericht den Kita-Streik verboten. Es war für die Kolleg*innen und die Unterstützer’innen ein Schock. Die Kolleg*innen hatten Mut bekommen und ihre eigene Stärke gespürt. Sie hatten die Angst verloren, auch gegen eine mediale Kampagne, den Kampf für bessere Arbeitsbedingungen in den Kitas aufzunehmen. Sie hatten mit negativen Schlagzeilen gerechnet, nicht aber damit, dass ein Arbeits- gericht den Streik einfach verbieten würde. Die Gewerkschaft Verdi, die wochenlang auch mit kämpferischen Parolen die Vorbereitung zum Arbeitskampf befeuert hatte, kritisierte die Gerichtsentscheidung pflichtschuldig, organisierte aber keinerlei Proteste da- gegen. Sie vertröstete die Kolleg*innen vielmehr darauf, dass das Streikverbot in der zweiten Instanz keinen Bestand haben werde, also aufgehoben wird. Dann wäre allerdings auch die Mobilisierung verpufft gewesen, die vor dem geplanten Streikbeginn aufgebaut worden war. Doch das Berliner Landes- arbeitsgericht bestätigte das Streikverbot, nur die Begründung änderte sich.

Klassenkampf von oben

Hatte doch das Berliner Arbeitsgericht in der zentralen Begründung für das Streikverbot allzu deutlich gemacht, dass es mit seinen Urteil Klassenkampf von oben betreibt. Hatte es doch in der Begründung des Streikverbots erklärt, dass der Kita-Streik gegen die Koalitionsfreiheit des Landes Berlin verstoße. Denn das Land Berlin ist Teil der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL), einer Art »Arbeitgeberverband«. Die TdL hatte dem Land Berlin nun mit Rausschmiss gedroht, sollte es den Forderungen der Kita-Beschäftigten und ihrer Gewerkschaft nachkommen und einen Tarifvertrag Entlastung abschlie- ßen. Die kapitalgetreue Logik des Gerichts ist unverkennbar. Weil die „Ar- beitgeberseite nicht zu einem Tarifvertrag, der die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten verbessert und auch etwas kosten könnte, bereit ist, ist es den Beschäftigten verboten, überhaupt dafür zu streiken. Man muss sich nur vorstellen, die Logik des gerichtlichen Verbots würde auf die Privatindustrie übertragen. Weil die Konzernverbände nicht bereit sind, über Arbeitszeitver- kürzungen zu verhandeln und Unternehmen, die durch eine kämpferische Belegschaft womöglich dazu gezwungen würden, ausschließen würden, müssen den Arbeiter*innen Streiks für Arbeitszeitverkürzungen verboten wer- den. Denn der Kapitalist ist in seiner Koalitionsfreiheit bedroht, wenn er wo- möglich vom Arbeitgeberverband ausgeschlossen werden könnte, weil eine Belegschaft einen Tarifvertrag erkämpfen konnte, den die Bosse verhindern wollen. Diese Begründung wurde dann in der zweiten Instanz fallen gelassen. Doch auch das Landesarbeitsgericht verbot den Kita-Streik. Jetzt lautete die Begründung, beim Thema Entlastung gäbe es eine Friedenspflicht, die einen Streik verbiete. Zwar musste das Gericht zugestehen, dass der zurückliegende Tarifabschluss keine Entlastungsregelungen beinhalte, jedoch sei über das Thema Entlastung verhandelt worden und dies löse auch bei Nicht- Einigung die Friedenspflicht aus. Auch dabei handelt es sich um Klassenkampf von oben, nur etwas subtiler. Wenn in einer vorherigen Tarifverhand- lung über eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen verhandelt wird, kann dann nicht mehr dafür gestreikt werden, auch wenn es zu keiner Einigung gekommen ist, lautet die Logik der Urteilsbegründung in der zweiten Instanz.

Legalismus von Verdi

Natürlich wurde das Verbot und auch die Begründung von Verdi kritisiert. Dabei wurde aber meist darauf verwie- sen, dass die beiden Instanzen des Ar- beitsgerichts von ihrer bisherigen Rechtssprechung abgewichen seien. »Dieses hatte schon vor 20 Jahren geurteilt, dass Absprachen in einem Ar- beitgeberverband keine Auswirkungen darauf haben können, für welche Tarif- ziele eine Gewerkschaft legitimerweise zum Streik aufrufen dürfe«, moniert Kalle Kunkel von Verdi-Berlin. Die Gewerkschaft kritisiert also die Arbeits- gerichte dafür, dass sie den Klassenkampf von oben nun schärfer als früher führen und sie bittet darum, doch wie- der die alte Linie in ihren Urteilen zu beachten . Es gab weder Protestaktio- nen von Verdi und auch von den au- ßergewerkschaftlichen Gruppen, die

Lohn und Tod

vor dem geplanten Streikbeginn den Kita-Beschäftigten ihre Unterstützung versichert hatten, waren keine Proteste gegen das Streikverbot zu hören. Das ist umso bedenklicher, weil es sich um einen offenen Angriff auf die gewerk- schaftlichen Rechte durch das Arbeitsgericht handelt. Wenn das Beispiel Schule macht, könnte bald jeder Arbeitskampf auf diese Weise von Arbeitsgerichten ausgehebelt werden, wenn Streiks verfassungsfeindlich sind Es gibt weitere juristische Angriffe auf das Streikrecht. So durfte der linke Geograph Benjamin Ruß eine ihm schon zugesagte Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU München nicht antreten, u.a. weil er in einer linken Hochschulgruppe und der Rote Hilfe war. Doch das Arbeitsgericht erklärte Ruß auch für die Stelle an der TU-München nicht geeignet, weil er sich für die Demokratisierung der Be- triebe und für Erzwingungsstreiks ausgesprochen habe. Es handelt sich auch um ein »Urteil gegen Gewerkschaften und Streikrecht«, schreibt Ruß richtig. Diese Angriffe auf kämpferische Kolleg*innen und ihre Gewerkschaften rei- hen sich ein in eine Politik des autoritären Liberalismus, der auch von den Parteien der Mitte verfochten wird. Dagegen helfen keine Appelle, doch wider zu Sozialpartnerschaft zurückzukehren. Dagegen bräuchte es eine Bewegung mit der klaren Parole

»Hände weg vom Streikrecht.«

Peter Nowak – Der Autor ist freier Journalist. Seine Texte finden sich hier: https://peter-nowak-journalist.de

Erstveröffentlichungsort:
https://direkteaktion.org