
Mitte Mai 2025 wurde Yüksel Koc in seiner Wohnung in Bremen verhaftet. Nach Angaben seiner Anwältin Fatma Sayin erfolgte die Maßnahme im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens der Bundesanwaltschaft. Die Polizei durchsuchte über mehrere Stunden Kocs Wohnung. Danach wurde der 61jährige nach Karlsruhe gebracht und einem Ermittlungsrichter vorgeführt. Der Verdacht: Mitgliedschaft in der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Yüksel Koc ist keine Ausnahme. Seit dem Verbot kurdischer Organisationen und Vereine 1993 wurden und werden …
… immer noch tausende Menschen kurdischer Herkunft kriminalisiert. Razzien, Vereinsverbote und Durchsuchungen, Verhaftungen und die polizeiliche Aufforderungen zur Denunziation gehören zu ihrem Alltag. In den Medien finden sie in der Regel kaum Interesse. Die Verhaftung von Koc sorgte allerdings aus zwei Gründen für größere Aufmerksamkeit. Erstens ist er ein bekannter kurdischer Politiker. Er war über viele Jahre zweiter Vorsitzender des Kongresses der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa (KCDK-E), dem PKK-nahen Verband kurdischer Vereine auf europäischer Ebene. Zweitens fand seine Verhaftung nur wenige Tage nach der Erklärung des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan statt, mit der die Auflösung der Organisation eingeleitet werden sollte. Kurz nach der Veröffentlichung des Aufrufs Öcalans teilte das Bundesinnenministerium mit, »es bestünde im Moment noch kein Anlass zur Neubewertung der PKK«. Schon seit vielen Jahren versucht die PKK vergeblich, eine solche juristische Neubewertung in Deutschland zu erreichen.
Der auf juristische Fragen spezialisierte Taz-Redakteur Christian Rath erinnert daran, dass über eine Aufhebung des PKK-Verbots schon seit dem Jahr 1997 diskutiert wird. Damals erklärte die kurdische Partei einen Gewaltverzicht. Im Mai 2022 startete sie einen neuen Anlauf, um ihre Legalisierung zu erreichen. Doch Innenministerin Nancy Faeser lehnte den Antrag per Bescheid vom 29.Mai 2024 ab. Dagegen erhob die PKK im Juni 2024 Klage beim Verwaltungsgericht Berlin. Im März 2025 aktualisierte die PKK ihre Klagebegründung mit Verweis auf die jüngsten Entwicklungen in der Türkei, die schließlich dazu führten, dass die PKK beschlossen hat, die Organisation aufzulösen. Peter Nowak
Hilfsdienste für Erdogan
In Deutschland wurden seit Jahresbeginn kurdische Aktivist:innen wie am Fließband wegen angeblicher Unterstützung oder Mitgliedschaft in der PKK verurteilt. Am 28.Februar 2025 berichtetet der kurdische Rechtshilfefond Azadi über einen »Prozess gegen kurdischen Aktivisten wegen PKK-Mitgliedschaft in Stuttgart«. Am gleichen Tag verurteilte das Oberlandesgericht München Haci Atli wegen PKK-Mitgliedschaft. »Innerhalb von acht Tagen zwei Festnahmen wegen vermeintlicher PKK-Mitgliedschaft in Kiel und Ludwigsburg«, betitelte Azadi wenige Wochen später eine Pressemitteilung. Die deutschen Justizbehörden haben zudem kurdische Aktivist:innen aus anderen europäischen Ländern verhaften und nach Deutschland ausliefern lassen, um ihnen wegen angeblicher PKK-Mitgliedschaft den Prozess zu machen. In Zypern und den Niederlande sind die Delikte, die ihnen von der deutschen Justiz vorgeworfen worden, nicht strafbar. Besonders in Zypern gab es viele Proteste gegen die Auslieferung von Kenan Ayaz nach Deutschland, die aber letztlich keinen Erfolg hatten. Mehr als zehn Monate lang wurde gegen Ayaz vor dem Oberlandesgericht Hamburg verhandelt. Am 2.September 2024 wurde er zu vier Jahren und fünf Monaten Haft verurteilt. Ayaz saß wegen seines Engagements in der kurdischen Bewegung bereits zwölf Jahre in türkischen Gefängnissen, wo er auch gefoltert wurde. Ayaz bezeichnete die von der deutschen Justiz betriebene Auslieferung an Deutschland und seinen Prozess in Hamburg als »Dienstleistung für das Erdogan-Regime«. Der türkische Präsident äußerte sich denn auch sehr zufrieden mit der Rolle deutschen Justiz bei der Verfolgung von kurdischen Aktivist:innen.
Das Eigeninteresse der deutschen Justiz
Dennoch wäre es verfehlt, in dieser Prozessserie nur den langen Arm des Erdogan-Regimes zu sehen, wie es die Politikerin Sevim Dagdelen (früher Linkspartei, mittlerweile BSW) in ihren Stellungnahmen tat. Der deutsche Staat hat ein Eigeninteresse an der Repression. Für viele Menschen in aller Welt steht die PKK für eine linke Alternative. Auch in Deutschland gibt es in der außerparlamentarischen Linken große Sympathie für die Programmatik der PKK und der von ihr inspirierten kurdischen Bewegung. Vor allem ihr Bruch mit einem autoritären Sozialismus und ihre Hinwendung zu basisdemokratischen und feministischen Inhalten weckte Sympathie. Dass alle Bemühungen um eine Legalisierung vergeblich waren, lag auch daran, dass die Solidaritätsbewegung mit den von der Repression betroffenen Kurdi:innen in Deutschland bisher überschaubar geblieben ist. Eine gewisse Ausnahme gab es 2014, als die PKK und die von ihr inspirierte YPG in Syrien wesentlich dazu beitrugen, die Terrormilizen des IS in Syrien zu bekämpfen, und viele mit dem Tod bedrohte Jesid:innen retteten. Auch linksliberale Kreise forderten seinerzeit die Aufhebung des PKK-Verbots und einen Stopp der Repression gegen die kurdische Bewegung. »Nach dem historischen Sieg über den IS ist es an der Zeit, das Verbot der PKK aufzuheben und beim Wiederaufbau von Kobane zu helfen«, schrieb Deniz Yücel im Januar 2015 in der Taz. Zehn Jahre später hat sich die Repression gegen kurdische Aktivist:innen in Deutschland sogar noch verschärft. Auch die YPG und ihre Symbole sind betroffen. Ihre Vertreter:innen haben erklärt, dass sie eigenständige syrische Organisationen und nicht an die Erklärungen von Öcalan und der türkischen PKK gebunden sind. Die Stimmen für die Aufhebung des PKK-Verbots sind weitgehend verstummt – auch in der Taz. »Die Klage der PKK gegen ihr seit 1993 bestehendes Betätigungsverbot ist irreführend«, verteidigte Miriam Meyer Ende Mai 2025 den repressiven Kurs gegen die kurdische Bewegung. »Denn selbst wenn die PKK in der Türkei die Waffen niederlegen will, bedeutet das noch lange nicht, dass sie in Deutschland als politischer Akteur anerkannt werden muss.« Die Verfolgung der kurdischen Bewegung ist ein wichtiger Bestandteil der autoritären deutschen Staatspolitik. Sie verschärft sich, weil die Bevölkerung des Landes wieder kriegsfähig gemacht werden soll. Für die Linke ist es um so dringender, den Zusammenhang zwischen Kriegspolitik nach außen und Repression nach innen zu erkennen und zu bekämpfen. Die Solidarität mit der kurdischen Bewegung gehört selbstverständlich dazu.
Peter Nowak
https://www.sozonline.de/2025/07/verurteilungen-am-fliessband/