
Die Sitzung des Deutschen Bundestags am 29. Januar 2025 wird noch länger im Gedächtnis bleiben. Denn am späten Nachmittag stimmten dort die Abgeordneten von Union, FDP und BSW mit der rechten AfD zusammen für repressive Migrationsabwehr. Ein Tabubruch, wie es heißt. Weitgehend unbeachtet blieb dabei ein weiterer Tabubruch, der sich am selben Tag bereits im Vorfeld ereignete. Ausgerechnet während der Gedenkstunde zum 80. Jahrestags der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau wurde die Shoah, der Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden, …
… von den Redner Roman Schwarzman in die allgemeine Verbrechensgeschichte eingemeindet.
Zu diesem Anlass schilderte der Holocaust-Überlebende Roman Schwarzman in seiner Ansprache sehr ergreifend die Entrechtung, die er selbst erlebt hatte. Dann ging Schwarzman zur Gegenwart und zum russischen Angriff auf die Ukraine über: »Putin versucht, uns als Nation zu vernichten, so wie Hitler versucht hat, das jüdische Volk im Zweiten Weltkrieg zu vernichten. Damals wollte mich Hitler töten, weil ich Jude bin. Jetzt versucht Putin, mich zu töten, weil ich Ukrainer bin.«
Schwarzman hat als Ukrainer, der die aktuelle Regierung in Kiew unterstützt, jedes Recht, das Leid der Ukrainer*innen anzuprangern und Forderungen nach deren militärischer Unterstützung zu stellen. Es ist allerdings eine gefährliche Schieflage, wenn das Gedenken an die Befreiung von Auschwitz hier derart von der aktuellen Politik in Beschlag genommen wird – unabhängig davon, wie man diese bewertet. Denn damit droht, Geschichte zu verschwinden. Es war die Rote Armee, einschließlich ihrer ukrainischen Divisionen, die am 27. Januar 1945 die letzten Überlebenden von Auschwitz befreit hat. Auschwitz steht für ein einzigartiges Menschheitsverbrechen, die industrielle Ermordung von Juden, nur weil sie Juden waren. Es ging nicht um die Eroberung von Land, nicht um die Unterwerfung von Menschen. Es ging um ihre Vernichtung. Diesen Unterschied hat die Philosophin Hannah Arendt 1964 im Gespräch mit Günther Gaus in dessen Sendung »Zur Person« so auf den Punkt gebracht: »Der Tag, als wir von Auschwitz erfuhren, ist der eigentliche Schock gewesen. …Und ich meine nicht die Zahl der Opfer. Ich meine die Fabrikation der Leichen. Da ist etwas passiert, womit wir alle nicht mehr fertig werden.«
Genau diese wichtige Erkenntnis der Einzigartigkeit der Shoah wird negiert, wenn sie mit den Verbrechen von Putin und seinen Militärs in der Ukraine in Eins gesetzt wird. Werden diese Thesen nun noch auf einer Gedenkstunde zur Auschwitzbefreiung im Deutschen Bundestag vorgetragen, dann bekommt diese Form der Relativierung der Shoah offizielle Weihen. Die Wiedergutwerdung der Deutschen, wie Eike Geisel es treffend formulierte, ist endgültig abgeschlossen. Peter Nowak
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