In Berlin wurde vergangene Woche der Kampfgruppe Osthafen gedacht. Ein Beispiel für proletarischen Widerstand, mit dem in Ost- und Westdeutschland auch nach 1945 kein Staat zu machen war

Der unbekannte Widerstand gegen das Naziregime in Berlin

Die Gruppe setzte sich aus Mitgliedern der KPD, der SPD und Parteilosen zusammen, die im Nationalkomitee Freies Deutschland organisiert waren. Sie sprangen mit dem Fallschirm hinter den deutschen Linien ab und erhielten die Aufgabe, in der Reichshauptstadt wichtige militärische Objekte zu erkunden und Kontakte zur deutschen Widerstandsbewegung herzustellen, sowie Menschen in letzter Minute zu überzeugen, die Seiten zu wechseln und nicht weiter für einen verbrecherischen Krieg ihr Leben zu lassen.

„Hier wohnte Paul Schiller – Jahrgang 1895, Mitglied der KPD, ermordet am 22. 4. 1944“, steht auf einem Stolperstein, der im Süden des Berliners Stadtteil Friedrichshain in den Boden eingelassen ist – die einzige Erinnerung an einen Mann, der wenige Tage vor der Befreiung vom Naziregime mithelfen wollte, den Krieg früher zu beenden, und dabei starb. Für ihn organisierten am 22. April 2022 die …

… Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten VVN-BdA sowie die Stadtteilinitativen „Wir bleiben alle Friedrichshain“ und „Wem gehört der Laskerkiez?“ eine Gedenkveranstaltung und hoben Schiller und seine Mitstreiter aus dem Dunkel der Geschichte.

Es war einem Zufall zu verdanken, dass Mitglieder der Stadtteilinitative auf den erwähnten Stolperstein stießen, den die Verfolgten des Naziregimes der DDR-Organisation der Widerstandskämpfer am ehemaligen Wohnort von Paul Schiller in der Rochusstraße in Berlin-Friedrichshain gestalten ließen – allerdings mit einem falschen Datum. Dort wird sein Todestag irrtümlich um ein Jahr auf 1944 vorgelegt.

Damit wird das entscheidende Charakteristikum der Widerstandstätigkeit von Schiller und seinen Genossinnen und Genossen verkannt. Sie wollten in den letzten Kriegstagen verhindern, dass weiter Menschen starben und wichtige Infrastruktur zerstört wurde, wie es die Naziführung befohlen hat. Die Männer und Frauen, die vor allem Süden des Berliner Stadtteils Friedrichshain Ende April 1945, also vor 77 Jahren aktiv waren, nannten sich Kampfgruppe Osthafen– nach einem damals markanten Hafengelände in dem proletarischen Gebiet.

Die Gruppe setzte sich aus Mitgliedern der KPD, der SPD und Parteilosen zusammen, die im Nationalkomitee Freies Deutschland organisiert waren. Sie sprangen mit dem Fallschirm hinter den deutschen Linien ab und erhielten die Aufgabe, in der Reichshauptstadt wichtige militärische Objekte zu erkunden und Kontakte zur deutschen Widerstandsbewegung herzustellen, sowie Menschen in letzter Minute zu überzeugen, die Seiten zu wechseln und nicht weiter für einen verbrecherischen Krieg ihr Leben zu lassen.

Deutsche Volksgemeinschaft bis zur letzten Minute

Doch sie trafen auf ein Land, in dem die Ideologie der deutschen Volksgemeinschaft bis in die letzten Tage des Naziregimes funktionierte. Es war nicht nur der massive Terror, sondern auch die in großen Teilen der Bevölkerung virulente Ideologie, die dafür verantwortlich war.

Daher waren die Antifaschisten sofort in großer Gefahr. Eine Gruppe, darunter der Sozialdemokrat Heinz Nawrot, geriet am 11. April 1945 in Lichtenberg in eine SS-Kontrolle und wurde in einem Feuergefecht am Weißenseer Weg völlig aufgerieben. Paul Lampe und Heinz Müller, Ende Februar 1945 mit einer Einsatzgruppe des Nationalkomitees Freies Deutschland illegal nach Berlin gekommen, organisierten im Stadtbezirk Friedrichshain die bewaffnete Kampfgruppe Osthafen, der rund 50 kommunistische und sozialdemokratische Genossinnen und Genossen sowie parteilose Antifaschisten angehörten.

Von ihrem Stützpunkt in der Stralauer Allee 26 in Berlin aus entwaffneten sie fanatische Nazis, und überredeten deutsche Soldaten und Flakhelfer dazu, die Waffen niederzulegen. Sie sprengten Munitionslager und verhinderten im letzten Augenblick die Zerstörung der großen Lebensmittelmagazine am Osthafen. Bei einer solchen Aktion starben die Antifaschisten Fritz Fieber und Paul Schiller am 23. April 1945.

Wenig ist über die Aktionen bekannt. Einer der Protagonisten des Nationalkomitees Freies Deutschland, Heinz Müller, hat 1975 im Dietz-Verlag das Buch „Kampftage in Berlin – Ein deutscher Antifaschist und Internationalist berichtet“ herausgegeben, das längst nur noch antiquarisch zu erhalten ist. Dort ist auch ein Kapitel über die Kampfgruppe Osthafen abgedruckt. Sehr berührend beschreibt der Autor den Moment, als er vom Tod seiner beiden Mitstreiter erfuhr, aus der Perspektive eines parteitreuen Kommunisten in der DDR:

Genosse Schiller lag leblos auf der Couch. Wir fühlten seinen Puls und bemühten uns, seinen Herzschlag zu hören. Vergeblich. … In diesen Minuten verspürte ich die Schwere der Verantwortung, die auf uns lastete, besonders deutlich. Ich blickte in die Gesichter der beiden Genossen und dachte: Zwölf Jahre haben sie in Not und Gefahr ihrer Partei die Treue in dem Bewusstsein gehalten, dass der Tag der Befreiung kommen wird. Wie viel Hoffnung haben die Genossen darauf gesetzt, an diesem Tag mit dabei sein zu können.

Kampftage in Berlin – Ein deutscher Antifaschist und Internationalist berichtet (Dietz-Verlag 1975)

Wer schreibt die Geschichte – und zu welchem Zweck?

Ansonsten findet man nur wenige Informationen über die Kampfgruppe Osthafen und ihren wichtigen Kampf gegen die Kriegsmaschinerie des deutschen Faschismus, die noch bis zur letzten Minute ihre tödliche Wirkung zeigte. Wie vergessen der Widerstand war, zeigt sich schon daran, dass auf dem Stolperstein für Paul Schiller, der Anlass für die Gedenkveranstaltung war, das falsche Todesjahr eingraviert ist und es scheinbar bis heute niemandem aufgefallen war.

Auf der Gedenkveranstaltung am 22. April gingen mehrere der Redner auch auf die Frage ein, wem in einem Deutschland, das sich soviel auf die angebliche Aufarbeitung seiner Geschichte einbildet, gedacht wird um wem nicht. Sie wiesen darauf hin, warum die Widerstandsgeschichte von Paul Schiller und der Kampfgruppe Osthafen Geschichte nicht zur staatsoffiziellen Erzählung geronnen ist.

Anders als die meist aus der konservativen Elite stammenden Männer des 20. Juli 1944 , deren missglücktem Attentat auf Hitler heute offiziell besonders gedacht wird, haben Schiller und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter ihren Widerstand nicht erst begonnen, als klar war, dass der Krieg für Deutschland verloren war. Viele der Aktiven aus der Kampfgruppe Osthafen kannten bereits vor 1933 die Parole „Wer Hitler wählt, wählt den Krieg“.

Genau deshalb ist so wenig von den proletarischen Mitgliedern der Kampfgruppe Osthafen bekannt, die unter Einsatz ihres Lebens dazu beitragen wollten, dass der Faschismus besiegt wird. Auf der Kundgebung wurde allerdings nicht nur darüber gesprochen, dass hier Ehrung von Widerstandskämpfern vergessen wurde und das doch schnell nachgeholt werden müsse.

Die Geschichte von Paul Schiller und seinen Mitkämpferinnen und Mitkämpfern könne nur von sozialen Bewegungen aufgegriffen werden, die sich heute kritisch mit den Verhältnissen auseinandersetzen. „Deshalb haben die beiden Stadtinitiativen die Initiative für die Ehrung von Paul Schiller ergriffen und damit auch das Wirken der Kampfgruppe Osthafen dem Dunkel der Geschichte entrissen“, hieß es in einem Beitrag.

Sie betonten auch, dass sie mit ihrer Gedenkarbeit nicht am Mythos eines anderen Deutschland stricken wollen, das da angeblich aktiv war. Vielmehr kämpften die Antifaschisten auch noch Ende April 1945 aus der Position der absoluten Minderheit. Das ist aber gerade für die Initiativen Ansporn, mit ihrer Gedenkarbeit fortzufahren.

Sie wollen auch in den nächsten Jahren dazu beitragen, diese Geschichte weiterzuschreiben. Da bieten sich viele Anknüpfungspunkte. Zu den konkreten Forderungen gehört eine Korrektur des Todesdatums auf dem Stolperstein zum Gedenken an Paul Schiller. Zudem könnte an die Frauen in der Kampfgruppe Osthafen besonders erinnert werden, wie an die Arbeiterin, Gewerkschafterin und Kommunistin Gertrud Lewke.

„Erinnert Euch meiner Geschichte“

Zum Abschluss der Gedenkveranstaltung wurde der Song „Drei rote Pfiffe“ der österreichischen Band Schmetterlinge gespielt, das sich um das Leben einer in Österreich bekannten proletarischen Widerstandskämpferin dreht. Die letzte Strophe stellt eine Frage, die sich Jahrzehnte später, wo fast alle Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gestorben sind, mit noch größerer Dringlichkeit stellt.

Ihr, meine Enkel, was hört ihr so stumm, die alten, die kalten Berichte? Jetzt trampeln sie wieder auf Euren Rechten herum, Erinnert Euch meiner Geschichte. Erinnert Euch meiner Geschichte.

Peter Nowak