Eine Replik auf »Die unwahrscheinliche Bewegung« von Harald Rein

»Teil der Kämpfe«

Ein weiteres Aktionsfeld von einkommensarmen Menschen vor allem in den Großstädten ist der Kampf um bezahlbare Wohnungen. Schließlich sind sie besonders von Zwangsräumungen betroffen. Viele sind wohnungs- oder obdachlos. Im Berliner Mieter:innenbündnis sind auch Initiativen wie das „Wohnungsparlament in Gründung“ vertreten.

Über das „ausbleibende Bündnis zwischen Bewegungslinken und Erwerbsloseninitiativen“ schreibt Harald Rein im express 3-4/2021. Schließlich hat Rein schon in seinem Buch „Wenn arme Leute sich nicht mehr fügen“ die Kämpfe von einkommensarmen Menschen in Geschichte und Gegenwart in den Fokus gerückt. Dort hat er auch gut herausgearbeitet, wie ….

… die Kämpfe einkommensarmer Menschen oft vergessen und auch in der linken Geschichtsschreibung marginalisiert wurden, wenn dahinter keine Großorganisationen oder Parteien standen. Allerdings war Reins Analyse im Konkreten dort Differenzierter als in dem express-Artikel. So schreibt er, dass die Erwerbslosenkomitees der KPD in der Weimarer Zeit eben auch Orte waren, in denen die Aktivist:innen sich organisieren konnten und „trotz Linienschwankungen der Zentrale eine konkrete Arbeit vor Ort entfalteten“ (S. 10/). S. 67ff Sie waren eben nicht einfach nur eine Vorfeldorganisation einer bürokratisierten Partei, wie es oft in der Geschichtsschreibung behauptet wird.

Dagegen fällt in dem Artikel auf, dass Rein Gewerkschaften vor allem als Hemmschuh einer emanzipatorischen Erwerbslosenbewegung beschreibt. „Damit sich eine entsprechende Bewegung entwickeln kann, müsste die emanzipatorische Linke aber auch den Kontakt zu den bestehenden Initiativen suchen und aufnehmen, während umgekehrt die Erwerbslosengruppen ihren eigenen politischen Anspruch überprüfen und gegen jegliche Form der sozialarbeiterischen Bevormundung Widerstand leisten sollten. Das heißt, bei diesen Initiativen gilt es die Beeinflussung durch Großorganisationen wie Wohlfahrtsverbände, Kirchen und Gewerkschaften möglichst klein zu halten und eigene Wege der finanziellen Unabhängigkeit zu finden“, skizziert Rein die Perspektive einer unabhängigen Erwerbslosenbewegung.

Was ist mit Gewerkschaften gemeint?

Da wäre doch mehr Differenzierung wünschenswert. Empfiehlt Rein Distanz zum Apparat der DGB-Gewerkschaften, dann ist sein Rat zu Abstand und Distanz natürlich angebracht. Oder subsumiert er unter den Begriff Gewerkschaften auch Erwerbslosengruppen mit Basisbezug beispielsweise bei ver.di? Und wie steht es mit dem Kontakt zu Basisgewerkschaften wie der FAU? Zu den konkreten Widerstandsperspektiven zählt Rein „die Weitervermittlung von Techniken…, sich den Zumutungen der Jobcenter zu entziehen und mit Hilfe von Alltagspraktiken eine selbstbestimmte, nicht immer ganz legale Aufstockung materieller Mittel zu erreichen“. Natürlich können das im Einzelfall sinnvolle Kampffelder sein. Doch dabei sollte nicht vergessen werden, dass der Großteil der einkommensarmen Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen steckt. Sie gehören zu dem größer werdenden Teil der Beschäftigten, deren Lohn nicht zum Leben, höchstens zum Überleben reicht. Daher sollte doch der Hauptkampfpunkt die Organisierung dieser Beschäftigten im Kampf um höhere Löhne sein, egal ob sie in einer DGB-Gewerkschaft, in einer kleinen Basisgewerkschaft oder noch gar nicht organisiert sind. Diese kollektiven Kämpfe, in denen Beschäftigte die Erfahrung machen, gemeinsam etwas zu erreichen, sollten im Fokus stehen. Damit sollten die individuellen Kampffelder die Rein beschreibt, verbunden werden. Hier könnte an eine Parole des Arbeitslosenverbands Mecklenburg-Vorpommern von vor fast 20 Jahren angeknüpft werden, die da lautete: Von Arbeit muss man leben können, ohne Arbeit auch. 

Neue Solidarität in den Städten

Ein weiteres Aktionsfeld von einkommensarmen Menschen vor allem in den Großstädten ist der Kampf um bezahlbare Wohnungen. Schließlich sind sie besonders von Zwangsräumungen betroffen. Viele sind wohnungs- oder obdachlos. Im Berliner Mieter:innenbündnis sind auch Initiativen wie das „Wohnungsparlament in Gründung“ vertreten. Am letzten Januar-Wochenende haben sie bereits die dritte „Lange Nacht der Obdachlosigkeit“ vor dem Roten Rathaus in Berlin organisiert, um die Verantwortlichen aus der Politik mit den Menschen zu konfrontieren, die auch im Corona-Winter gar keine Möglichkeit haben, zu Hause zu bleiben. Auch am Kampf um die letzten Brachen in den Metropolen beteiligen sich einkommensarme Menschen. Ein aktuelles Beispiel ist ein Areal an der Rummelsburger Bucht im Osten Berlins, das für mehrere Jahre ein Rückzugsort für Menschen war, die aus anderen Stadtteilen verdrängt wurden und an der Bucht in alten Häusern mit günstiger Miete, in Bauwägen oder auf Booten lebten. Nun soll die Rummelsburger Bucht unter dem Label „Berlin by Bay“ aufgewertet werden und die armen Leute sollen verschwinden. Auf einer Demonstration Mitte März 2021 haben die Menschen gesprochen, die dort seit Jahren lebten. Sie sind Teil der Kämpfe um eine neue Solidarität in den Städten ebenso wie gegen prekäre Arbeitsverhältnisse. Dass sind praktische Beispiele für Selbstorganisierung von arme Leuten, „die sich nicht mehr fügen“ (Rein) – und auch die von Harald Rein vermisste Bewegungslinken sind dabei.

* Peter Nowak arbeitet als Journalist in Berlin und hat im letzten Jahr gemeinsam mit Matthias Coers bei der Edition Assemblage das Buch „Umkämpftes Wohnen – neue Solidarität in den Städten“ (https://umkaempftes-wohnen.de) herausgegeben.

Erstveröffentlichungsort:
https://www.labournet.de/express/