Das linke Bündnis im Stuttgarter Gemeinderat setzt sich für die Umbe­nennung von Straßen, Plätzen und Gebäuden ein. Es geht unter anderem um die Hanns-Martin-Schleyer-Halle.

Eine Halle entnazifizieren

Martin Eickhoff, stellvertretender Bezirksbeirat der linken Fraktion im Stadtbezirk Bad Cannstatt, schlug vor, die Hanns-Martin-Schleyer-Halle künftig nach dem 1934 von der SS erschossenen Stuttgarter Kommunisten Walter Häbich zu benennen. Die Gegner der Umbenennung äußern sich ebenfalls. Jörg Schleyer, der Sohn des Ermordeten, empörte sich ­öffentlich über die »Geschichtsklitterung der Linken«. Der Fraktionsvorsitzende der AfD im Stuttgarter Gemeinderat, Christian Köhler, sprach von »ideologisch gefärbten Vergangenheitstilgungsmaßnahmen« durch »Säuberungskommissionen«.

»Dass dies zu kontroversen Diskussionen führen kann, ist uns bewusst.« Die Einschätzung des linken Bündnisses im Stuttgarter Gemeinderat ist zutreffend. Die Fraktion, zu der Vertreter der Linkspartei und der parteiunabhängigen Liste »Stuttgart ökologisch sozial« (SÖS) sowie jeweils ein Abgeordneter der Piraten- und der Tierschutzpartei gehören, hat beantragt, mehrere Straßen und Gebäude in der Stadt umzubenennen. Dazu gehört ….

….. das Ferdinand-Porsche-Gymnasium, das nach einem Mann benannt ist, der von 1933 an die Nähe zum nationalsozialistischen Regime suchte und mit der führenden Rolle beim Aufbau von Volkswagen belohnt wurde. Er ließ Tausende Zwangsarbeiter in seinen Betrieben schuften. Die Nazivergangenheit des dritten Bundeskanzlers der BRD, Kurt Georg Kiesinger (CDU), nach dem in Stuttgart ein Platz benannt ist, dürfte spätestens seit der Ohrfeige allgemein bekannt sein, die ihm Beate Klarsfeld auf einem CDU-Parteitag 1968 gab. Obwohl er als stellvertretender Leiter der »rundfunkpolitischen Abteilung« des Reichsaußen­ministeriums ab 1943 für die gesamte Auslandspropaganda des NS-Regimes im Radio verantwortlich war, wurde Kiesinger zunächst als »Mitläufer« ein­gestuft, 1948 sogar völlig »entlastet«.

Auch die Hanns-Martin-Schleyer-Halle möchte die Fraktion umbenannt sehen. Der Namensgeber war nicht nur Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), sondern zuvor ein überzeugter Nationalsozialist. Schleyer trat bereits 1931 in die Hitlerjugend ein und verließ 1935 eine na­tionalistische Studentenverbindung, weil diese sich geweigert hatte, jüdische »Alte Herren« auszuschließen. Er machte Karriere in der Nationalsozia­listischen Studentenschaft und übernahm das Studentenwerk der Prager Universität. Später wurde er zum SS-Führer beim Reichssicherheitshauptamt ernannt und legte mit seinem Posten beim Zentralverband der Deutschen Industrie in Böhmen und Mähren den Grundstein für seine steile Karriere nach 1945.

Schleyers Nazivergangenheit war bereits in den siebziger Jahren bekannt, Vorwürfe wurden aber meistens als kommunistische Propaganda abgetan. Nachdem die Rote Armee Fraktion (RAF) Schleyer 1977 entführt und schließlich erschossen hatte, wagte es kaum mehr jemand, dessen nationalsozialistische Vergangenheit anzusprechen. Wer es doch tat, wurde schnell als RAF-Sym­pathisant abgestempelt. Das bekam der damalige Sponti Daniel Cohn-Bendit zu spüren, nachdem er 1978 in einer Fernsehsendung gesagt hatte: »Ich war gegen die Ermordung Hanns Martin Schleyers. Doch ich wehre mich vehement dagegen, dass seine Nazivergangenheit plötzlich keine Rolle mehr spielen soll.«

2003 veröffentlichte der Regisseur Lutz Hachmeister den Dokumentarfilm »Schleyer – eine deutsche Geschichte«. Darin sagt ein alter Weggefährte Schleyers aus Prager Tagen mit einem süffisanten Lächeln, dass es damals dort viele leere Villen gegeben habe, weil die Besitzer abwesend gewesen seien. Gleich danach wird kurz und knapp mitgeteilt, dass die jüdischen Besitzer der arisierten Villa, in der Schleyer lebte, in Auschwitz ermordet wurden. Weitere Einzelheiten über den Arisierungs­profiteur Schleyer recherchierte der Historiker Erich Später. »Schleyer erhält den Zuschlag für die Villa in der Bubenetscher Str. 55. Die ursprünglichen Besitzer der Villa, das jüdische Ehepaar Waigner, sind zu diesem Zeitpunkt bereits tot. Sie mussten das Haus bereits im August 1940 verlassen und in ein ›Judenhaus‹ umziehen«, schrieb er in der Wochenzeitung Kontext.

Martin Eickhoff, stellvertretender Bezirksbeirat der linken Fraktion im Stadtbezirk Bad Cannstatt, schlug vor, die Hanns-Martin-Schleyer-Halle künftig nach dem 1934 von der SS erschossenen Stuttgarter Kommunisten Walter Häbich zu benennen.
Die Gegner der Umbenennung äußern sich ebenfalls. Jörg Schleyer, der Sohn des Ermordeten, empörte sich öffentlich über die »Geschichtsklitterung der Linken«. Der Fraktionsvorsitzende der AfD im Stuttgarter Gemeinderat, Christian Köhler, sprach von »ideologisch gefärbten Vergangenheitstilgungsmaßnahmen« durch »Säuberungskommissionen«.

Im rechtspopulistischen Online-Magazin Tichys Einblick schreibt ein Autor: »Der Name Hanns Martin Schleyer wird, sofern die Bürger heute überhaupt noch etwas mit diesem Namen verbinden, dank der RAF im öffentlichen Bewusstsein aus guten Gründen nicht mehr mit den Gräueltaten der Nazis, sondern mit der Blutspur verbunden, die linke ›Antifaschisten‹ mehr als 20 Jahre durch die Bundesrepublik gezogen haben.«

Bei so viel Geschichtsrevisionismus dürfte das linke Stuttgarter Bündnis noch viel zu tun haben. Im Bezirksbeirat von Bad Cannstatt soll der Namensstreit am 15. Juli fortgesetzt werden. Peter Nowak