Die Nachkommen

Aktive Zeugenschaft

Nachkommen der Verfolgten des Naziregimes, von Exil und Widerstand melden sich zu Wort

Als Nachkommen der NS-Verfolgten, des Widerstands und des Exils wollen wir uns gemeinsam einsetzen für eine Welt des Friedens, der Freiheit und der Solidarität.« Dieses Bekenntnis stammt aus einem Aufruf der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) Berlin, abgedruckt auf der Rückseite einer neuen Publikation, in der sich…

…Nachfahren zu Wort melden. Herausgegeben wurde sie von Marco Pompe, Hans Coppi und Mathias Wörsching; Letzterer ist Initiator des Projekts der Nachkommenschaft.

2018 fanden drei Werkstattgespräche statt, in denen sich die Kinder und Enkel von in der NS-Zeit aus politischen oder rassistischen Gründen verfolgten Menschen austauschten. Bei allen Unterschieden habe jene dieses Schicksal vereint, so der Grundkonsens einer Podiumsdiskussion in der Topographie des Terrors am Dienstagabend in Berlin.

Kamil Majchrzak sprach von einer aktiven Zeugenschaft: Sein Großvater überlebte Auschwitz-Birkenau; er selbst sei als Student in Frankfurt/Oder zweimal von Neonazis überfallen worden, einmal direkt vor dem Gedenkstein, der an die von den Nazis zerstörte Synagoge erinnert. Aufgrund dieser Erfahrung habe er sich verstärkt mit der Verfolgungsgeschichte seiner Vorfahren auseinandergesetzt. Majchrzak engagierte sich zudem mit der Linksfraktion des Bundestages für die Auszahlung der Ghettorenten an Überlebende des NS-Regimes, wofür er 2015 in Polen mit der Ehrenmedaille »Aufstand im Warschauer Ghetto« geehrt wurde. Rita Bock, deren Großmutter 1942 im Ghetto von Riga ermordet wurde, schildert, wie sie 2014 mit anderen Antifaschisten in der lettischen Hauptstadt gegen den »Tag der Legionäre« protestierte, an dem der Angehörigen der Waffen-SS gedacht wird. »Für mich ist es unerträglich, dass dort Menschen geehrt werden, die vermutlich auch an der Ermordung meiner Großmutter beteiligt waren.« Aktuell engagiert sie sich in einer antirassistischen Stadtteilinitiative in Berlin-Lichtenberg. Der Kampf gegen Hassmails im Internet ist das besondere Anliegen von Sonja Kosche, die aus einer Sinti- und Roma-Familie stammt und antiziganistischen Vorurteilen entgegentritt, die sie teils auch in linken Kontexten wahrnimmt. Andrej Hermlin, Sohn des kommunistischen Widerstandskämpfers Stephan Hermlin, setzt sich prononciert mit Formen von Antisemitismus auseinander, die ihm ebenfalls schon in linken Kreisen begegnet sind. Das Nachkommenprojekt spart unbequeme und strittige Themen nicht aus. Dazu gehört die Verfolgungsgeschichte von Antifaschisten in der Sowjetunion unter Stalin und in der DDR. So wurde der kommunistische Widerstandskämpfer Karl Raddatz 1962 in der DDR verhaftet und wegen angeblicher Kontakte zum Ostbüro der SPD zu einer Haftstrafe verurteilt. Seine Enkelin Karoline George ist Mitglied der VVN-BdA.Die Broschüre markiert keinen Schlusspunkt des Projekts. Die Nachkommen wollen im Sinne der aktiven Zeugenschaft weiterhin konsequent und kämpferisch Stellung gegen jegliche Rechtsentwicklung beziehen.

Die Broschüre kann bestellt werden über die Berliner VVN-BdA, Magdalenenstr. 19, 10365 Berlin. Infos unter:

https://nachkommen-netzwerk-berlin.de/kontakt/