Wie manche konservative Kommentatoren und Ökonomen den griechischen Ministerpräsidenten lieben lernten
Der griechische Ministerpräsident Tsipras verliert zumindest in seiner Syriza-Partei an Unterstützung. Dafür findet er neue Anhänger, ausgerechnet in der konservativen FAZ [1].
Plötzlich wird der Ministerpräsident, der noch vor Wochen als linksradikaler Populist und Gegner Deutschlands galt, zum Hoffnungsträger der FAZ, der sogar die in dem Blatt so umsorgten griechischen Konservativen in den Schatten stellt. Der Grund dafür ist nicht schwer zu finden und wird vom FAZ-Autor auch offen dargestellt: „Die Leute glauben an ihn, und das bietet die Chance, dass selbst harte Einschnitte akzeptiert werden.“
Es sind nun nicht das erste Mal, dass ein Sozialdemokrat die unpopulären Maßnahmen umsetzen soll, die Konservative und Liberale nicht mehr umsetzen können.
„Diesmal gibt es in Athen keine Opposition mehr“
Daniel Gros [2] vom wirtschaftsliberalen Think Thank CEPS [3] ist der Überzeugung, dass mit Tsipras die Politik umgesetzt werden kann, die in den letzten Jahren in Griechenland durch Massenproteste zumindest behindert [4] worden war:
Nun könnte man denken, dass Gros mit seiner Einschätzung, dass es in Griechenland keine Opposition mehr gibt, doch etwas voreilig unterwegs ist. Schließlich versucht die Syriza-Linke gerade eine neue Front gegen die Austeritätspolitik zu kreieren und in Griechenland dürfte sich auch die lange Zeit starke außerparlamentarische Opposition wieder zurückmelden.
Doch die Vorstellung, dass nun eine neue parlamentarische und außerparlamentarische Bewegung einfach da weitermacht, wo Tsipras vor vier Wochen vor „Deutsch-Europa“ eingeknickt ist, wäre naiv. Dabei darf die Enttäuschung nicht unterschätzt werden, die viele Menschen nicht nur in Griechenland befallen hat, die mit dem Wahlsieg von Syriza eine neue Alternative erhofften. Der Europakorrespondent Eric Bonse spricht von einer „Schockstarre in Euroland“ und schreibt in der Taz: „Vier Wochen nach dem Krisengipfel zu Griechenland wagt es in Brüssel niemand mehr, Berlin zu widersprechen“.
Dabei geht er von weiteren Auseinandersetzungen aus: „Der deutsche Durchmarsch in Griechenland wäre, so gesehen, nur das Vorspiel auf einen viel größeren Kampf. Wenn es Berlin gelänge, Paris an den Rand zu drängen, und Brüssel zu schwächen, hätte das deutsche Europa gesiegt.“
Tsipras wird von manchen Konservative deshalb im Moment gelobt, weil er durch sein Festhalten an der Eurozone um jeden Preis für diese Situation mit verantwortlich ist. In einem auch im Neuen Deutschland veröffentlichten [5] Interview [6] versucht Tspiras seinen Kurs zu verteidigen und spart nicht mit revolutionären Floskeln.
Tsipras verrät nicht, wo der moralische Sieg bei der Unterwerfung lag. Unverständlich ist auch, dass er von der Alternative „Geld oder Leben“ redet, wo es nur um die Frage gegangen wäre, unter allen Bedingungen im Euro zu bleiben oder tatsächlich alternative Wege zu gehen. Dass er dann noch Lenins Lieblingsschrift aller linken Realpolitiker zitierte, dürfte vor allem auf die Syriza-Basis zielen.
Es ist erstaulich, dass Tsipras nicht den Frieden von Brest Litowsk erwähnte, den die deutschen Militärs von der jungen sowjetischen Revolutionsregierung erpressten. Die Mehrheit der Bolschewiki und ihr Koalitionspartner, die linken Sozialrevolutionäre, waren dagegen. Damals ging es wirklich um Leben und Tod und Lenins Kalkül, das der erpresste Vertrag nach dem Sturz der deutschen Monarchie zerrissen wird, ging auf. Sollte Tsipras doch noch die Hoffnung haben, dass auch die neue deutscheuropäische Macht auf Sand gebaut ist?
http://www.heise.de/tp/news/Mit-Tsipras-lassen-sich-soziale-Grausamkeiten-besser-umsetzen-2779916.html
Peter Nowak
Links:
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