Genickschuss oder Begnadigung?


Während ein Artikel, der die Todesstrafe befürwortete, unter Taz-Lesern für Aufregung sorgte, bleibt die Kritik schwach, wenn soziale Bewegungen Hinrichtungen propagieren

„Jeder sollte bekommen, was er verdient. Ja, jeder hat das Recht auf Leben, und das muss respektiert werden. Bis zu einem gewissen Punkt: Wenn du jemandem das Leben genommen hast, dann sei bitte so gut, und gib auch deins dafür. Das ist die ganze Politik.“

Diese Verteidigung der Todesstrafe war am 22. Februar in einer Beilage unter dem martialischen Titel „Begnadigung oder Genickschuss?“ der linksliberalen Tageszeitung zu finden. Dort hätte man eine Zustimmung zu einer Hinrichtung bestimmt nicht erwartet. Schließlich schrieb die verantwortliche Redakteurin: „Diese Texte, die nicht die Meinung der taz-Redaktion wiedergeben, unterscheiden sich deutlich von den Beiträgen, die Sie sonst in unserer Zeitung finden. Aber das ist ein Ausdruck unterschiedlicher Realitäten im immer noch geteilten Europa.“

Das ist nun ein sehr schwaches Argument. Auch Antisemitismus und Rassismus gehören zu den Realitäten in Europa und trotzdem erwartet niemand, dass die nun in der Taz affirmiert werden. Allerdings kann man auch vielen der Kritiker des Artikels Heuchelei unterstellen. Denn auf den Beitrag folgten eine Menge empörter Leserbriefe. Viele sahen gleich ihren Seelenfrieden in Gefahr. Zuweilen meinte man aus manchen dieser Briefe noch den Sound der frühen Spontijahre der Taz herauszuhören, als auch immer gleich die Welt fast unterging, wenn man einmal eine Meinung lesen musste, die man partout nicht akzeptieren konnte.

Politisch ist Liza Krasavtceva tatsächlich heftig zu widersprechen. So heißt die junge weißrussische Journalistin, die an einem Ostwest-Workshop junger Journalisten in der Taz teilnahm. In diesem Rahmen ist der umstrittene Kommentar entstanden, der sich mit der Hinrichtung von zwei angeblichen Attentätern in Weißrussland befasste. Die Todesurteile und ihre Vollstreckung sorgten europaweit für Empörung. Neben ihrer plumpen Verteidigung der Hinrichtung der jungen Männer finden sich in dem Beitrag der Journalistin auch einige diskussionswürdige Punkte, die aber von den Kritikern ignoriert wurden. So erinnert die Autorin an Paragraph 21 der hessischen Verfassung, der die Todesstrafe zulässt.

Kriege ja – Todesstrafe nein?

Auch eine andere Frage der Autorin hätte argumentative Auseinandersetzungen verdient. So schreibt sie: „Auch in anderen Ländern, wie China, den USA, Iran, Irak und Saudi-Arabien, werden Menschen zum Tode verurteilt und hingerichtet. Vielleicht ist die EU bestürzt darüber, dass das kleine Weißrussland in dieser Frage in einer Linie mit den USA steht? Aber warum empört sich die EU dann nicht so lautstark, wenn es um Fakten in diesen anderen Ländern geht?“ Tatsächlich hängt der Grad der Empörung über die Todesstrafe sehr stark davon ab, um welches Land es sich handelt.

Meldungen über vollzogene Hinrichtungen in den USA sind meistens versteckt im Auslandsressorts zu finden. Die Debatte ist auch deshalb heuchlerisch, weil in der Taz in den letzten Jahren immer wieder auch Kriege verteidigt wurden. Auch ein Taz-Beitrag, in dem das Recht auf Waffenbesitz in den USA unter der Überschrift „Das Recht zu schießen“ ausdrücklich verteidigt wurde, sorgte längst nicht für so viel Aufregung, wie der Artikel der weißrussischen Journalistin. Dabei bezieht sich der Autor auf eine vor allem in den USA virulente rechte Staatskritik, die den Waffenbesitz mit der Ablehnung jeder Gesellschaftlichkeit verbindet, die historisch eng mit dem Kampf gegen die indigene Bevölkerung in den USA verbunden ist. Es gäbe also für Leser, die sich gerne und schnell empören, häufig Grund zur Aufregung. Aber Liza Krasavtceva konnte man noch gleich als Parteigängerin des geächteten weißrussischen Regimes markieren. Gerade das aber macht die Empörung so schal und konformistisch.

Die Taz-Chefredakteurin Ines Pohl zeigte in ihrer Erklärung Verständnis für die Kritiker und verschob den Focus noch mehr auf die Frage, ob einer regimetreuen Journalistin in der Taz ein Forum geboten werden soll. Dabei wäre eine Diskussion darüber fällig, ob Initiativen in aller Welt nicht viel mehr Kritik erfahren müssten, die mit der Forderung für die Todesstrafe auf die Straße gehen. Dazu gehört ein naußerparlamentarisches Bündnis in Bangladesch. das seit Wochen dafür demonstriert, dass die Todesstrafe gegen Islamisten verhängt wird, die sich vor mehr als 40 Jahren bei Konflikten im Land schwerer Verbrechen schuldig gemacht haben sollen. Dass es jetzt zur Anklage kommt, ist das Ergebnis eines Machtverlustes der Islamisten. Der neue Machtblock gibt sich eher säkular, ist aber ebenfalls autoritär.

Tod den Vergewaltigern?

Auch in Indien kann von einer [Renaissance der Todesstrafe http://www.taz.de/!111142/] in sozialen Bewegungen gesprochen werden. Nach der brutalen Vergewaltigung einer jungen Frau, die an ihren schweren Verletzungen gestorben ist, wurde auch von feministischen Gruppen in Indien die Todesstrafe für Gewaltiger gefordert. Nachdem einer der Hauptangeklagten in seiner mit mehreren Gefangenen belegten Zelle unter ungeklärten Umständen zu Tode kam, gab es unverhohlene Zustimmung in Teilen dieser Bewegung.

Es ist eine Sache, sich gegen Rufe nach der Todesstrafe zu empören, wenn sie von einer Autorin kommt, der die Nähe zu einem Regime nachgesagt wird, das kaum jemand verteidigt. Sollte aber hinter der Empörung eine klare menschenrechtliche Position stehen, muss die auch gegen soziale Bewegungen verteidigt werden, die wie in Indien scheinbar berechtigte Anliegen vortragen. Die Forderungen, die nach der brutalen Vergewaltigung auf Indiens Straßen laut wurden, hätten nicht nur wegen der offenen Propagierung der Todesstrafe Kritik verdient. Kaum jemand hat darauf hingewiesen, dass es dabei längst nicht um die Rechte aller Frauen in Indien ging. Die Empörung war so groß, weil die Opfer aus der wachsenden indischen Mittelklasse, die Täter aber mehrheitlich aus den Armensiedlungen stammen.

Dass Frauen aus in Indien marginalisiertesten Bevölkerungsgruppen, wie den Dalit und Adivasi seit Jahrzehnten sexuellen Angriffen ausgesetzt sind, hat hingegen auch in der indischen Gesellschaft bisher kaum Proteste ausgelöst. Eine Ahnung von dem Ausmaß ihrer Unterdrückung gibt die Biographie der indischen Rebellin Phoolan Devi, über deren Leben ein Filmbuch Auskunft gibt. Phoolan Devi ging als Guerillera in den achtziger Jahren auch gewaltsam gegen Vergewaltiger vor und wurde von Familienangehörigen eines dieser Vergewaltiger 2001 ermordet, als sie den bewaffneten Kampf aufgegeben hatte und für eine linke indische Partei im Parlament saß.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153943
Peter Nowak


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