Jakob Augstein und die regressive Israelkritik


Der Freitag-Herausgeber und Journalist wird vom Simon-Wiesenthal-Center unter den Top Ten „Anti-Semitic/Anti-Israel Slurs“ geführt

Jakob Augstein hat einen Karrieresprung hinter sich, auf den er wohl gerne verzichtet hätte. Er wurde vom Simon-Wiesenthal-Center vor einigen Tagen auf Platz 9 der 2012 Top Ten Anti-Semitic/Anti-Israel Slurs – was mit „antiisraelischen Beschimpfungen“ übersetzt werden kann – gesetzt. Augstein teilt diese zweifelhafte Auszeichnung mit der in Ägypten aktuell herrschenden Regierungspartei, dem iranischen Regime, rechten Fußballfans und Politikern faschistischer Parteien aus Ungarn, der Ukraine und Griechenland.

Als Begründung für Augsteins Aufnahme in die antisemitische Top Ten führt das Simon-Wiesenthal-Zentrum mehrere Kolumnen auf SpiegelOnline an, in denen sich der Journalist mit Israel befasst. Besonders nachdem Günther Grass mit seinem antiisraelischen Gedicht „Was gesagt werden muss“ für Aufsehen gesorgt hatte, bekam er von Augstein glühende Unterstützung. Der Kolumnist verschärfte die Israelkritik des Schriftstellers sogar noch:

„Es ist dieser eine Satz, hinter den wir künftig nicht mehr zurückkommen: ‚Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden.‘ Dieser Satz hat einen Aufschrei ausgelöst. Weil er richtig ist. Und weil ein Deutscher ihn sagt, ein Schriftsteller, ein Nobelpreisträger, weil Günter Grass ihn sagt. Darin liegt ein Einschnitt. Dafür muss man Grass danken. Er hat es auf sich genommen, diesen Satz für uns alle auszusprechen. Ein überfälliges Gespräch hat begonnen.“

Die Simon-Wiesenthal-Stiftung hat darüber hinaus noch die folgende Passage aus Augsteins Kolumne als Begründung für die „Auszeichnung“ des Journalisten angeführt:

„Mit der ganzen Rückendeckung aus den USA, wo ein Präsident sich vor den Wahlen immer noch die Unterstützung der jüdischen Lobbygruppen sichern muss, und aus Deutschland, wo Geschichtsbewältigung inzwischen eine militärische Komponente hat, führt die Regierung Netanjahu die ganze Welt am Gängelband eines anschwellenden Kriegsgesangs.“

Alles nur Diffamierung?

Die Reaktion darauf beschränkt Augstein auf eine knappe Erklärung auf seiner Facebook-Seite:

„Das SWC ist eine wichtige, international anerkannte Einrichtung. Für die Auseinandersetzung mit dem und den Kampf gegen den Antisemitismus hat das SWC meinen ganzen Respekt. Umso betrüblicher ist es, wenn dieser Kampf geschwächt wird. Das ist zwangsläufig der Fall, wenn kritischer Journalismus als rassistisch oder antisemitisch diffamiert wird.“

Damit wiederholt Augstein nur etwas diplomatischer, was er bereits im Zusammenhang mit der Debatte um die Adorno-Preisverleihung an Judith Butler auf SpiegelOnline in einer Kolumne geschrieben hat. Der Beitrag liest sich schon deshalb wie eine Vorwegverteidigung in eigener Sache, weil Augstein darauf verweist, via Facebook als Antisemit bezeichnet worden zu sein.

„Jeder Kritiker Israels muss damit rechnen, als Antisemit beschimpft zu werden. Das ist ein gefährlicher Missbrauch des Begriffs. Im Schatten solch falscher Debatten blüht der echte Antisemitismus“, so Augsteins Vorwurf in dem Beitrag, in dem er den Freunden Israels vorwirft, mit dem Antisemitismusvorwurf vor allem politische Interessen zu verfolgen. Nun ist man gerade in Deutschland schnell mit der Denunzierung von Interessenvertretungen bei der Hand. Da werden immer hehre Werte vorgeschoben, die sich angeblich nicht damit in Übereinstimmung bringen lassen.

Kein Zweifel, viele derjenigen, die Augstein Antisemitismus vorwerfen, werden das Interesse haben, das Land Israel, manche auch die gegenwärtige Regierung, zu verteidigen. Dagegen kann man polemisieren und argumentieren, aber dieses Interesse sollte anerkannt und nicht per se denunziert werden. Gleichzeitig müsste auch die Frage gestellt werden, ob Augstein mit seiner Israelkritik nicht auch selbst Interessen verfolgt. Schließlich sollte man sich auch die Mühe machen, die Begründungen des Simon-Wiesenthal-Zentrums für die Aufnahme in die Top Ten nachzuvollziehen.

Regressive Israelkritik

Tatsächlich muss die ganze Argumentation Augsteins in seiner Grass-Verteidigung verwundern. Schließlich ist der Schriftsteller vielleicht der bekannteste, aber bei weiten nicht der erste Deutsche mit der Mitgliedschaft in einer NS-Organisation, der sich besonders für befähigt hält, Israel zu kritisieren. Zudem kann man an vielen Passagen in Augsteins Beitrag deutlich machen, wie eine Kritik an der israelischen Regierung, die so legitim ist wie die Kritik an jeder anderen Regierung dieser Welt, umschlägt in eine regressive Israelkritik, deren Abgrenzung zu antisemitischen Bildern oft sehr dünn ist.

Wenn Augstein schreibt, dass die israelische Regierung die ganze Welt am Gängelband führt, müsste ihm bewusst sein, dass man daraus das Bild von der jüdischen Weltgefahr herauslesen kann. Wenn er dann auch noch von „jüdischen Lobbygruppen“ in den USA spricht, die angeblich dafür verantwortlich sind, dass die USA so fest auf Seiten Israels steht, bedient er ebensolche Klischees.

Natürlich gibt es israelische Lobbygruppen in den USA, die aber längst nicht alle jüdisch sind. Dafür kritisieren viele jüdische Organisationen die gegenwärtige israelische Politik. Auch wenn Augstein den Gazastreifen als ein Lager bezeichnet, in dem Israel „seine Gegner ausbrütet“, eine Wortwahl, die das Simon-Wiesenthal-Center moniert, unterschlägt er vollständig die Rolle der islamistischen Gruppen wie der Hamas, die den Gazastreifen beherrschen. Die palästinensischen Bewohner werden allein als Opfer der israelischen Politik betrachtet.

Es ist in den letzten Jahrzehnten einiges publiziert worden über den Unterschied zwischen der Kritik an der israelischen Regierungspolitik und antiisraelischen Ressentiments. Die bisherigen Beiträge von Augstein und seiner Unterstützer lassen nicht erkennen, dass sich der Publizist und seine Verteidiger die Mühe gemacht haben, sich damit auseinander zu setzen.

Vielleicht wäre eine solche Debatte einfacher, wenn auch das Simon-Wiesenthal-Zentrum mehr differenzieren würde. Denn in eine Reihe mit dem iranischen Regime sowie europäischen Faschisten gehört Augstein nun wirklich nicht. Warum führt das Simon-Wiesenthal-Zentrum nicht eine eigene Liste ein, auf der ausschließlich regressive Israelkritik bewertet wird? Die kann ja durchaus von offen antisemitischen Positionen unterschieden werden, wie sie bei mehreren der Organisationen und Personen zu finden ist, die mit Augstein auf der Liste stehen. Damit würde das SWZ auch einen wichtigen Beitrag für eine solche Debatte leisten und es den Kritikern schwerer machen.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/153463
Peter Nowak

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Replik auf diesen Artikel in der jungen Welt

http://www.jungewelt.de/2013/01-05/003.php


Der Schwarze Kanal: Schleichende Aggression
Von Werner Pirker

Das von den Zionisten und ihren Claqueuren angestimmte Antisemitismusgeschrei sprengt alle Maßstäbe der Vernunft und des Anstandes. So hat das Simon-Wiesenthal-Center (SWC) den Freitag-Herausgeber und Spiegel-Kolumnisten Jakob Augstein unter den „2012 Top Ten Antisemitic/Anti Israel Slurs“ an neunter Stelle gereiht. Israel-Kritik mit Antisemitismus gleichzusetzen und damit eigentlich zu kriminalisieren, ist eine unter den (falschen) Freunden Israels bereits bestens eingespielte Verleumdungsmethode. Obwohl es dann immer wieder heißt, daß Kritik an Israel natürlich gestattet sei und nirgendwo mehr Kritik an der israelischen Politik geübt werde als in Israel selbst. Zum Beispiel, wenn ein Angriffskrieg nicht so erfolgreich verlaufen ist, wie man sich das vorgestellt hatte.

Augstein hat die Politik der gegenwärtigen israelischen Rechtsregierung kritisiert. Nicht Israel und auch nicht den Zionismus. Das SWC wirft ihm unter anderem vor, Günter Grass, der mit seinem Israel-Gedicht ein mediales Beben ausgelöst hatte, verteidigt zu haben. Und nachdem Grass, dessen Kritik sich ausschließlich auf die friedensgefährdende Politik der Netanjahu-Regierung bezog, von der veröffentlichten Meinung in Israel und Deutschland des »Antisemitismus« überführt war, meinen Wiesenthals Erben nun auch Augsteins Parteinahme für den Dichter als »antisemitisch« verurteilen zu dürfen.

Das wollte das Gros der deutschen Journalistenschar so nicht nachvollziehen. Mit wenigen Ausnahmen, darunter ein gewisser Peter Nowak. »Einer muß der Nowak sein«, lautet ein Wiener Sprichwort. Der Mitarbeiter halblinker und pseudolinker Zeitungen, darunter Neues Deutschland, taz und Freitag, stellt im Internet-Portal Telepolis die Frage »Alles nur Diffamierung?« Und bemüht sich, diese »objektiv« zu beantworten. Die offene Auseinandersetzung ist Nowaks Sache aber nicht. Er schleicht sich lieber von hinten ran.

Der Telepolis-Autor stößt sich nicht nur daran, daß Grass von Augstein »glühende Unterstützung« erhielt. »Der Kolumnist verschärfte die Israel-Kritik sogar noch«, empört er sich. Wo die Grenzen der Israel-Kritik zu liegen haben, bestimmen Leute wie Henryk M. Broder – vom SWC als weltweit anerkannter Antisemitismusexperte gewürdigt – und dessen rechtsextreme und antideutsche (sofern es da überhaupt noch einen Unterschied macht) Kohorten. Und natürlich auch der Herr Nowak. Verschärfte Israel-Kritik gerät bei ihm zum Straftatbestand. Zur Erklärung des Kolumnisten: »Umso betrüblicher ist es, wenn dieser Kampf (gegen den Antisemitismus; W. P.) geschwächt wird. Das ist zwangsläufig der Fall, wenn kritischer Journalismus als rassistisch oder antisemitisch diffamiert wird«, weiß Nowak, daß dieser Ähnliches schon bei der Verleihung des Adorno-Preises an Judith Butler gesagt habe. »Der Beitrag liest sich schon deshalb wie eine Vorwegverteidigung in eigener Sache, weil Augstein darauf verweist, via Facebook als Antisemit bezeichnet worden zu sein.«

Damit begibt sich Peter Nowak auf eine ganz perfide Argumentationsschiene. Zwar sieht sich Kritik an Israel, ja sogar Kritik an der aktuellen Politik der rechtsextremen Regierungskoalition sofort des Antisemitismusverdachtes ausgesetzt. Diese Tatsache zu benennen gilt aber als besonders schwerer Fall von Antisemitismus. So wie das auch Grass ergangen ist, der sich in seiner Befürchtung dann voll bestätigt sah. Und wie das Nowak gegenüber Augstein handhabt. Dessen Bemerkung, daß mit dem Antisemitismusvorwurf politische Ziele verfolgt werden, stellt sich für ihn selbstredend als antisemitische Verschwörungstheorie dar. Obwohl es offenkundig ist, daß der Antisemitismusvorwurf politisch dazu instrumentalisiert wird, alle Vorwürfe gegen Israel niederzubügeln und er sich auch selbst dieser Methode bedient.

Bei Augstein könne man beobachten, schreibt der Autor, wie »legitime Kritik an der israelischen Regierung« in »regressive Israelkritik« umschlage. Als Beispiel führt er an: »Wenn Augstein schreibt, daß die israelische Regierung die ganze Welt am Gängelband führt, müßte ihm bewußt sein, daß man daraus das Bild von der jüdischen Weltgefahr herauslesen kann.« Die antisemitischen Klischees, die die Nowaks beklagen, sind ihre eigenen. Tatsache ist, daß die Netanjahu/Lieberman-Regierung sogar die vom Westen favorisierte Zweistaatenlösung mittlerweile unmöglich gemacht hat. Und daß der Westen trotzdem seinem wichtigsten Vorposten in Nahost die Treue hält. Ebenso unbeirrbar wirft Nowak den Gegnern dieser Politik vor, zwischen Kritik an der israelischen Regierung und »antiisraelischem Ressentiment« nicht unterscheiden zu können. Doch der das nicht kann, ist er selbst.