Beim Recht alleingelassen?

Bernhard Jirku / ver.di-Bereichsleiter für Arbeitsmarkt- und Erwerbslosenpolitik

nd: Herr Jirku, die Gewerkschaft ver.di hat eine Unterschriftenkampagne gegen einen Gesetzentwurf zur Beratungs- und Prozesskostenhilfe begonnen. Warum?Jirku: Der Gesetzesentwurf des FDP-geführten Justizministeriums würde den Zugang zur Beratungs- und Prozesskostenhilfe für die unteren Einkommensschichten verbarrikadieren. Dabei sind die Fallzahlen seit Jahren relativ stabil, Tendenz sinkend, obwohl die Einkommen in den unteren Schichten schrumpfen, also eigentlich eher mehr als weniger Bedarf für Rechtshilfen besteht.

2.) Sie sehen noch weitere Konsequenzen?
Antwort: Untersuchungen haben gezeigt, dass der überwiegende Teil der Beratungs- und Prozesshilfe nicht im Bereich des Sozial- und Arbeitsrechts sondern beim Familienrecht notwendig wird. Dabei geht es beispielsweise um das Sorgerecht für die Kinder, um die Zahlung von Alimenten und so weiter. Eine Einschränkung des Zugangs zur Beratungs- und Prozesshilfe würde also bedeuten, dass der Rechtsweg für sehr viele Familien praktisch weitgehend verschlossen würde, viele in die Verschuldung gedrückt würden. Wir sehen darin eine abermalige Benachteiligung insbesondere für Frauen und Kinder.

3.) Warum interveniert verdi in diesem Bereich und nicht eine Erwerbsloseninitiative?
Antwort: Die Absenkung des Schwellenwertes für den Zugang zur Beratungs- und Prozesskostenhilfe um nahezu 100 Euro und die Verkomplizierung von Verfahren betrifft vor allem die Erwerbstätigen mit Niedriglöhnen und auch solche, die ihren Lohn durch Arbeitslosengeld II aufstocken müssen. Bei dem in Deutschland boomenden Hungerlohnsektor sind sehr viele Menschen betroffen. Das sind Mini-Jobberinnen ebenso wie Schein-Selbstständige, Leiharbeiter ebenso wie befristet Beschäftigte. Es trifft auch Familien, die auf den Kindergeldzuschlag angewiesen sind, und zahlreiche Kinder, deren Eltern mittlere Einkommen haben.

4.) Müsste bei einem solch großen Kreis der Betroffenen der Protest nicht größer sein?
Antwort: Es haben sich bereits viele Sozial- und Erwerbslosenverbände, aber auch Juristenorganisationen in ihren Stellungnahmen klar gegen die Pläne der schwarz-gelben Bundesregierung ausgesprochen. Auch viele Frauenverbände setzen sich mit dem Thema auseinander, gerade wegen der Barrieren für den Zugang zur Rechtspflege im Bereich des Familien-, Scheidungs-, Sorge- und Unterhaltsrechts.

5.) Aber auch nach der geplanten Regelung kann doch weiterhin Beratungs- und Prozesskostenhilfe beantragt werden.
Antwort: Die Betroffenen müssen dazu zum Rechtspfleger im Gericht gehen, der den Vorgaben der jeweiligen Landesjustizverwaltung unterliegt. Dort werden Barrieren aufgebaut und am Ende wird mit Kennziffern gearbeitet, mit denen die Zahl der Betroffenen gesenkt werden soll.

6.) Sind von verdi neben der Unterschriftensammlung weitere Proteste gegen den Gesetzentwurf geplant?
Antwort: Zunächst konzentrieren wir uns auf die Unterschriftenaktion. Sie soll über den Anhörungstermin im Bundestag, der ursprünglich für Februar 2013 angesetzt war, weiterlaufen. Das Ziel unserer Kampagne ist es, eine öffentliche Debatte anzuregen und deutlich zu machen, dass die Bundesregierung Menschen mit geringen Einkommen auch weiterhin stark benachteiligen will. Die Unterschriftenlisten können übrigens über unter http://erwerbslose.verdi.de/aktuelles_aktionen/beratungs-prozesskostenhilfe ausgedruckt werden.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/808516.beim-recht-alleingelassen.html
Interview: Peter Nowak