Mieter protestieren gegen Verdrängung

In Kreuzberg soll ein Protestcamp zu Mietensteigerungen und Gentrifizierung entstehen

Nerimin T. ist wütend. »Seit über einem Jahr versuchen wir mit unseren Eigentümern und den Politikern darüber zu reden, dass wir uns die immer weiter steigenden Mieten nicht mehr leisten können. Doch wir wurden nicht beachtet. Deswegen gehen wir jetzt auf die Straße.« Seit vergangenen Samstag beteiligt sie sich am Protestcamp, das die von Mieterhöhung betroffenen Bewohner am südlichen Ende des Kottbusser Tores aufgebaut haben. Auf Holzpaletten finden sich neben ersten Presseberichten über die Aktion auch die Gründe für die Aktion in wenigen klaren Sätzen:

»Wir protestieren hier gegen die jährlich steigenden Mieten im sozialen Wohnungsbau. Wir protestieren hier gegen die Verdrängung von Menschen, die hier seit Jahrzehnten ihr Zuhause haben«, heißt es dort. Für Nerimin T. ist die Gefahr real.

Die eine Hälfte ihrer Rente verschlinge die Miete, die andere Hälfte die Nebenkosten«, rechnet sie vor. »Mir bleibt zum Leben kein Geld mehr. Wenn das so weitergeht, muss ich mit dem Zelt auf der Straße schlafen.« Ihre Nachbarn nicken mit dem Kopf.

Viele von ihnen sind in der Türkei oder in Kurdistan geboren und leben seit mehr als drei Jahrzehnten am Kottbusser Tor. Ulrike M. gehört zu den prekären Akademikern, die erst in den letzten Jahren in die Häuser am südlichen Rand des Kottbusser Tores gezogen sind. Alt- und Neumieter sind sich einig in ihren Forderungen. »Die Eigentümer GSW und Hermes bekommen seit Jahrzehnten Subventionen, ohne bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen.« Bisher seien von Eigentümerseite alle Versuche, über die Mietensituation ins Gespräch zukommen, ignoriert worden, klagen die Bewohner.

Die Idee des Protestcamps hat durchaus Vorbilder in der Türkei. Dort gibt es am Rande der Großstädte so genannte Gecekondular. Das heißt übersetzt »über Nacht gebaut«. Es sind meist einfache Holzhütten, die sich Menschen errichten, die in den türkischen Metropolen keine anderen Unterkünfte finden. Manchen Passanten fällt hingegen angesichts der Protesthütte die Occupy-Bewegung ein. Tatsächlich haben Berliner Occupy-Aktivisten sofort ihre Unterstützung zugesagt. Allerdings ist für die Kottbusser Aktivsten klar, dass sie sich weder von Parteien noch von anderen Bewegungen vereinnahmen lassen werden. »Uns geht es nicht darum, Occupy-Regeln einzuführen. Wir wollen ein Mittelpunkt der Berliner Mieterproteste werden«, betont Ulrike M. Die Chancen stehen gut. Schließlich organisieren sich in zahlreichen Stadtteilen Mieter gegen drohende Vertreibung. Für den 18.Juni plant ein berlinweites Bündnis Proteste gegen den Tag der Immobilienwirtschaft. Auch der Druck auf die Politiker wächst. Schließlich hat sich in der BVV Kreuzberg eine große Koalition aus SPD, Grünen, Piraten und Linkspartei für die Forderungen ausgesprochen, die auch die Mieter am Kottbusser Tor propagieren. »Was aber macht die Berliner SPD als Regierungspartei?«, fragt eine Aktivistin. Mittlerweile läuft im Protestcamp die Planung für das Programm der nächsten Tage auf Hochtouren. Film-, Diskussions- und Kulturveranstaltungen sind unter kottiundco.wordpress.com/wer-wir-sind/ zu finden.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/228214.
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Peter Nowak