Was brachte der europäische antikapitalistische Aktionstag?

Flop oder Beginn einer neuen Runde: Nach den 31-Protesten hat die Auseinandersetzung um die politische Bewertung begonnen

„Jetzt könnt ihr noch mal schauen, wo wir eigentlich heute hinwollten“. Fast etwas wehmütig klang die Stimme der Moderatorin, als sie am Samstag gegen 19 Uhr die zu diesem Zeitpunkt noch knapp 2000 Demonstranten in der Innenstadt von Frankfurt/Main auf die Türme im Hintergrund hinwies. Mehrere Stunden zuvor waren vom Hauptbahnhof der Mainmetropole noch fast 6000 Menschen aufgebrochen, um die Baustelle der neuen Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) am Ostbahnhof zu erreichen.
Sonne und dunkle Wolken über dem Protestzug; was wiegt stärker? (Foto: indymedia) Sonne und dunkle Wolken über dem Protestzug; was wiegt stärker? (Foto: indymedia)

Sogar Besetzungspläne kursierten in Internetforen. Doch nach ca. 2. Stunden war klar, die Demonstration würde das Ziel nicht erreichen. Nach einigen Steinwürfen auf Bankfilialen kesselte die Polizei einen Teil der Demonstranten am Rande der Frankfurter Innenstadt ein. Nach einer längeren Warteperiode, die die Geduld der Demonstranten arg strapazierte, kam dann die Auflösung der Demonstration. Sofort begann im Internet die Debatte, ob die ganze Aktion ein weiterer Flop der radikalen Linken war, oder ob es sich um den Beginn einer neuen Runde von europäischen Krisenprotesten handelte, wie es die Publizistin Jutta Ditfurth in ihrer sehr optimistischen Rede auf der Auftaktkundgebung ankündigte.

Praxistest für Alltagskämpfe

Schließlich war die Demonstration in Frankfurt Teil eines europaweiten Bündnisses von linken außerparlamentarischen Gruppen und Basisgewerkschaften, die sich damit gegen die europäische Krisenpolitik wandten. Ihnen ging es dabei nicht nur um die ökonomischen Folgen, sondern auch autoritäre Krisenlösungsstrategien von Staat und Teilen der Bevölkerung. An dem M312- Bündnis, wie sich die Koordination nach dem Datum des ersten Aktionstages nenn, ist mit der spanischen CNT auch eine Gewerkschaft beteiligt, die dort wichtige Impulse für einen landesweiten Generalstreik am 29. März gab, dem sich schließlich sämtliche größeren Gewerkschaften anschlossen.

Von solchen Zuständen kann in Deutschland keine Rede sein. Obwohl fast alle DGB-Gewerkschaften kürzlich einen Aufruf gegen den Fiskalpakt initiierten, sind zur Zeit selber DGB-Linke wie das ver.di-Vorstandsmitglied Dierk Hirschel und der IG-Metall-Vize Hans-Jürgen Urban zu mehr Engagement nicht bereit.

Während Hirschel auf einer Veranstaltung in der Berliner IG-Metall-Verwaltungsstelle am 13. März vage meinte, im Herbst könnte mal über weitere Proteste reden, will Urban ebenso nebulös „Mehrheiten in der europäischen Öffentlichkeit“ für Alternativen zur Fiskalpolitik suchen. Gleichzeitig werden die Rufe an der Gewerkschaftsasis nach konkreten Widerstandsstrategien gegen die Krisenpolitik lauter. So wurde auf der Veranstaltung im IG-Metall-Haus am 13. März eine Resolution unter dem Motto „Griechenland ist überall“ einstimmig angenommen, in der zu europaweiten Widerstand gegen die europäische Krisenpolitik aufgerufen wird.

EZB-Baustelle

In den letzten Wochen hat sich auf verschiedenen Veranstaltungen gezeigt, dass diese kämpferischen Gewerkschafter auch Gruppen der außerparlamentarischen Linken als Bündnispartner anerkennen, wenn die bereit und in der Lage sind, einen Beitrag zu der Herausbildung eines solchen Widerstands zu leisten, der aktuell weder bei einer politischen Partei noch von den Vorständen der DGB-Gewerkschaften auf der Agenda steht. Kann die M31-Mobilisierung einen solchen Anspruch erfüllen? Von der Antwort auf diese Frage wird die Beurteilung abhängen, ob der europäische Aktionstag insgesamt und die Demonstration in Frankfurt im Besonderen ein Erfolg war oder nicht. Die Frage, ob es realistisch war, die EZB-Baustelle zu erreichen und gar zu besetzen, ist dagegen sekundär, zumal es seit Monaten vor der aktuellen EZB-Zentrale das Occupy-Camp gibt.

Auch die Frage, ob die für Mitte Mai abermals in Frankfurt/Main geplanten Aktionstage gegen autoritäre Krisenstrategien größer als die am 31.März werden ist letztlich nicht das entscheidende Erfolgskriterium. Der Gradmesser wird tatsächlich sein, ob diese mit viel logistischen Aufwand vorbereiteten Großaktionen, sich auf Alltagskämpfe in Betrieben, Jobcentern und Stadtteilen stützen können oder nicht. Dass in Frankfurt am 31. März, wie schon so oft, Polizei und Bankfilialen Ziele von militanten Aktionen waren und jetzt für Schlagzeilen sorgen, erweckt zumindest Zweifel an der so viel beschworenen Kreativität und Phantasie der aktivistischen Teile der linken Szene.

Die Besetzung einer der kürzlich geschlossenen Schlecker-Filialen aus Solidarität mit den auf die Straße gesetzten Beschäftigten wäre auch nach einer vermutlich schnellen Räumung ein besseres Signal gewesen, dass eine linke Praxis mehr ist als Ritual und zweifelhafte Symbolpolitik.
http://www.freitag.de/politik/1213-europaeischer-antikapitalistischer
-aktionstag-2013-auftakt-oder-event
Peter Nowak