Gauck – kein Freund der Erwerbslosen?

Nach seiner Nominierung melden sich auch die ersten Kritiker des Rostocker Theologen zu Wort, die ein „blaues Wunder“ mit Gauck befürchten

Die Bild-Zeitung hatte mal wieder das Ohr anscheinend ganz nah am Volke. „Gebt uns Gauck“, leitartikelte das Blatt vor zwei Tagen. Nachdem die um ihr Überleben kämpfende FDP erkannt hatte, dass sie sich in dieser Frage gut profilieren konnte und sogar ein Koalitionsbruch drohte, hatte auch die Union die Zeichen der Zeit erkannt. Ist mit der Nominierung des von den Medien zum „Präsidenten der Herzen“ ernannten Pastors nun die Gauckomanie ausgebrochen? Fast scheint es so, wenn selbst der eher nüchterne Publizist Heribert Prantl von „einem Wunder namens Gauck“ schreibt.

Manche befürchten allerdings, mit Gauck eher ein „blaues Wunder“ zu erleben. Kaum wurde seine Nominierung bekannt, meldeten sich auch die Kritiker des Rostocker Theologen zu Wort. Für das Erwerbslosen Forum ist Gauck „eine unglückliche Entscheidung für Menschen in Armut“. Der Forumssprecher Martin Behrsing erinnerte an Kommentare von Gauck zu aktuellen Protestbewegungen.

„Wer Menschen, die bereits 2004 gegen die geplante Hartz-IV-Gesetzgebung demonstrierten, als töricht und geschichtsvergessen bezeichnet und die Occupy-Bewegung mit seiner Kapitalismuskritik für unsäglich albern hält, muss sich fragen lassen, ob er wirklich ein Bundespräsident für alle werden kann.“

Gauck kritisierte die Kritiker der Hartz-IV-Gesetze vor allem, weil sie sich in die Tradition der Montagsdemonstrationen in der Endphase der DDR stellen. Das sei „töricht und geschichtsvergessen“, monierte Gauck. Während es bei den Demonstrationen 1989 um fundamentalen Widerstand gegen das DDR-Regime gegangen sei, handele es sich bei den Erwerbslosenprotesten um „eine Opposition in einem demokratischen System“. Eine ähnliche Kritik an den Erwerbslosenprotesten äußerte damals auch die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld, die heute zum rechten Flügel der Union zählt und schon seit Wochen für eine zweite Chance für Gauck geworben hat.

Aber auch der frühere SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, der wesentlich für die Etablierung der Hartz-IV-Gesetze verantwortlich war, schloss sich Gaucks Schelte der Erwerbslosenproteste an. Dass es ihm dabei nicht nur um den Bezug auf die Montagsdemonstrationen ging, machte er mit seiner Aufforderung an „die Anführer solcher Proteste“ deutlich, Alternativen zu formulieren und zu sagen, wofür sie einträten. Darin sahen viele Aktivisten der Bewegung, die sich gerade nicht auf Anführer stützte und die die Angst vor der Verarmung auf die Straße trieb, eine Parteinahme für die Agenda 2010.

Mut zur Kürzung von Sozialleistungen?

Schließlich hatte Gauck Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder ausdrücklich für seinen Mut bei der Hartz-IV-Reform gelobt:

„Als Gerhard Schröder einst die Frage aufwarf, wie viel Fürsorge sich das Land noch leisten kann, da ist er ein Risiko eingegangen. Solche Versuche mit Mut brauchen wir heute wieder.“

So ist es durchaus verständlich, wenn soziale Interessenverbände hellhörig werden. Auf Foren von Erwerbslosen wird Gauck daher noch heute als „Theologe der Herzlosigkeit“ bezeichnet. Die Publizistin Jutta Ditfurth nannte Gauck in einem Kommentar als „Prediger der verrohenden Mittelschicht“.
Tatsächlich könnte Gauck anders als Wulff als Präsident ein Wir-Gefühl erzeugen, das keine sozialen Interessen mehr zu kennen scheint und „aus Liebe zu Deutschland“ zu noch mehr Opfer und Verzicht mobilisiert. Wenn man einige Pressereaktionen nach seiner Nominierung liest, zeigt sich, dass solche Befürchtungen so grundlos nicht sind.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151465
Peter Nowak