Bomben oder Bomben lassen?

Die Positionierung zum Bürgerkrieg in Libyen sorgt weiterhin für Diskussionen, die allerdings nicht in Glaubenskriege ausarten
Lange Jahre war der israelische Oppositionelle Uri Avnery in Deutschland bei Kriegsgegnern hoch angesehen. Doch seit einigen Tagen sind manche seiner alten Freunde über Avnery irritiert. Er hat sich nämlich für eine militärische Intervention auf Seiten der Aufständischen in Libyen ausgesprochen und dabei nicht mit Pathos und historischen Vergleichen gespart.

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 Mein Herz schlägt für die Libyer (tatsächlich bedeutet „libi“ im Hebräischen „mein Herz“). Und „Nicht-Einmischung“ klingt in meinen Ohren wie ein schmutziges Wort. Es erinnert mich an den Spanischen Bürgerkrieg, der tobte, als ich noch ein Kind war. 1936 wurde die Spanische Republik brutal von einem spanischen General, Francisco Franco, mit aus Marokko importierten Truppen angegriffen. Es war ein sehr blutiger Krieg mit unsagbaren Gräueln. Nazideutschland und das faschistischen Italien griffen Franco damals unter die Arme, die deutsche Luftwaffe terrorisierte spanische Städte wie Guernica.
Uri Avnery

Der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke antwortet Avnery in einem Offenen Brief mit nachdenklichen Worten:
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 Ich bin in vielem, was es abzuwägen gilt, tief verunsichert. Ich möchte, dass das Töten und Morden aufhört, auf allen Seiten. Und ich will dazu beitragen, dass Gaddafi verschwindet. Das wird aber eher nicht das Ergebnis des Krieges sein.
Wolfgang Gehrcke
Am Ende seines Briefes dankt Gehrcke Avnery, den er einen „Gerechten in einer ungerechten Welt“ für seine „Herausforderung zum Nachdenken“ nennt.

Ja zum deutschen Sonderweg

Auch der friedenspolitische Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie und Veteran der deutschen Friedensbewegung Andreas Buro widerspricht Avnery in seinem „pazifistischen Blick auf Libyen“.
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 Bei der offiziellen Legitimation des NATO-Einsatzes im libyschen Konflikt wird viel von einer ‚humanitären Intervention‘ gesprochen. Die Ideologie der ‚humanitären Intervention‘ ist die Fortsetzung der Ideologie vom „Gerechten Krieg“, der wichtigsten Legitimationsideologie für fast alle Kriege. Für die Friedensbewegung stellt sich die Frage, welche Folgen hätte es, wenn Pazifisten sich für eine humanitäre Intervention mit militärischen Mitteln einsetzten, wie es zum Beispiel Uri Avnery tut?
Andreas Buro
Allerdings bleibt er nicht in dem bei pazifistischen Kreisen so beliebten Darstellung der eigenen moralischen Zerrissenheit stehen, die aus den Debatten der Grünen rund um den Kosovo-Einsatz so beliebt waren. Buro stellt zumindest einige Fragen zur konkreten Situation im libyschen Bürgerkrieg:
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 Warum wird fast ausschließlich über die tatsächlichen und potentiellen Opfer der Gaddafi-Truppen berichtet, aber nicht über die Massaker der Rebellengruppen?
Andreas Buro
Allerdings hätte man gerne erfahren, auf welche Quellen sich der Verfasser dabei bezieht. Auch sein positives Bekenntnis zu einem „deutschen Sonderweg zur friedlichen Konfliktbearbeitung“ muss vor dem Hintergrund der letzten 20 Jahre kritisch gesehen werden. Schließlich hat Deutschland im Konflikt auf dem Balkan bekanntlich nicht im Sinne einer friedlichen Konfliktbearbeitung agiert. Lassen sich hier Pazifisten nicht einfach in deutsche Staatsinteressen einspannen, die manchmal, wie die Beispiele Irak oder Libyen zeigen, eine Ablehnung militärischer Eingriffe beinhaltet?

Gepflegte Debatte um Libyen-Einsatz

Bei der aktuellen innerdeutschen Debatte um den militärischen Eingriff in den libyschen Bürgerkrieg ist das Fehlen der Aufgeregtheit auffällig, die während des Balkan-Einsatzes aber auch während des Irak-Krieges noch aus politischen Differenzen Feindschaften machten. Sowohl auf Seiten der Befürworter als auch der Gegner eines Einsatzes wird häufig betont, dass die eigene Positionierung mit vielen eingestandenen Unsicherheiten verbunden ist.

Das wurde auch auf einer von der Wochenzeitung Jungle World organisierten Diskussionsveranstaltung deutlich. Dort pflegten Kritiker und Gegner des Militäreinsatzes einen gepflegten Meinungsaustausch, wie Moderator Ivo Bozic am Ende der Diskussion positiv hervorhob.

Der Arzt Ramadan Bousabarah von der libyschen Gemeinde in Berlin betonte, dass mit dem militärischen Eingreifen ein von Gaddafi lautstark angekündigtes Massaker an den von den Oppositionellen gehaltenen Städten verhindert wurde. Der Berliner Landesvorsitzende der Linken Stefan Liebich betonte, dass er als führendes Mitglied im realpolitischen Forums Demokratischer Sozialsten nicht zu den grundsätzlichen Gegnern jeglicher von der UN legitimierter Militäreinsätze gehört. Die militärische Durchsetzung der Flugverbotszone hält Liebich allerdings für falsch.

Der für das Auslandsressort in der Jungle World zuständige Redakteur Jörn Schulz betonte, dass ihm das Argument, die staatliche Souveränität eines Landes müsse auf jeden Fall gewahrt werden, nicht überzeugt. Damit legitimieren Machthaber gerne jegliche Unterdrückung der eigenen Bevölkerung. Die politische Linke habe sich hingegen unabhängig von den Landesgrenzen mit politischen Bewegungen solidarisiert, die gegen ihre Unterdrückung kämpften.

Wie islamistisch ist die libyschen Opposition?

Unklar blieb der Charakter der politischen Opposition in Libyen auch auf der Veranstaltung. So betonte Ramadan Bousabarah zwar, dass libysche Volk würde zusammenstehen, wenn nur der Gaddafi-Clan verschwindet. Da fragten sich manche aus dem Publikum, ob auch die afrikanischen Arbeiter und Migranten zum libyschen Volk gehören. Bozic zeigte sich irritiert, dass ein Ausgangspunkt der neueren lybischen Opposition  im Jahr 2006 die Proteste gegen die Mohammed-Karikaturen in einer dänischen Zeitung waren. Es verwundert schon, dass Menschen in auf die Straße gegangen sind und sich in Gefahr begeben haben nicht für ihre eigenen Rechte, sondern wegen einiger Karikaturen, die niemand auch nur gesehen hat.

Die Unklarheiten über die Rolle islamistischer Gruppen in der libyschen Opposition spielen auch in der Debatte eine Rolle, die in der Jüdischen Allgemeinen Zeitung über das Pro und Contra eines militärischen Eingriffs in den libyschen Bürgerkrieg geführt wurde. Malte Lehning vom Berliner Tagesspiegel verweist auch das Risiko, „dass in einem eskalierenden Bürgerkrieg weitaus mehr Zivilisten getötet werden, als es durch eine Niederschlagung des Aufstands geschehen wäre“.

Dass innerhalb weniger Tage gleich zweimal libysche Oppositionelle Opfer der Bombardierungen wurden, die eigentlich ihrem Schutz dienen sollten, bestätigen die Befürchtungen. Sie erinnern an die Entwicklung im Kosovokonflikt, wo albanische Flüchtlinge und Roma Opfer der Natobomben wurden, die sie offiziell schützen sollten. Im Unterschied zur damaligen Frontenbildung zwischen Gegnern und Befürwortern eines militärischen Einsatzes dominieren aktuell die Nachdenklichkeit und das Eingeständnis von Unsicherheiten auf beiden Seiten. 
 http://www.heise.de/tp/r4/artikel/34/34514/1.html

Peter Nowak