Vom aufrechten Gang

Gewerkschafterin Inken Wanzek berichtet über Widerstand bei Siemens
Seit Siemens Inken Wanzek und viele ihrer Ex-Kollegen aus dem Unternehmen warf, kämpfen die Betroffenen für ihre Rechte. Mit ihrer Homepage und einem Roman wollen sie Widerstand leisten, Mut machen und helfen.
Im Jahr 2002 versuchte der Siemens-Konzern in seiner Münchner Filiale, über 2500 Angestellte aus dem Telekommunikationsbereich zu entlassen. Die meisten Betroffenen waren fast 50 Jahre alt. Widerstand war von ihnen scheinbar nicht zu erwarten. Doch die Siemens-Verantwortlichen sollten sich täuschen: Nach jahrelangen sozialen und juristischen Ausein-andersetzungen mit dem Konzern willigte Inken Wanzek, eine der Betroffenen, zwar in einen Vergleich ein, aber zur Ruhe hat sie sich noch lange nicht gesetzt. Jetzt hat sie ihre Erfahrungen im betrieblichen Widerstand in einem Roman verarbeitet, der unter dem Titel »Der Widerspruch des Gerry Gollmann … und anderer, die den Mut fanden, nicht aufzugeben«, erschien. Am Montagabend stellte sie ihn auf Einladung des Arbeitskreises »Geschichte sozialer Bewegungen Ost/West« in Berlin vor.

Wanzek schildert in ihrem Buch die Gefühle der Angestellten, nachdem ihnen die Entlassung angekündigt wurde. Viele suchten die Schuld bei sich und wollten sich zurückziehen. Wanzek organisierte mit Kollegen Gesprächskreise, wo sich Betroffene aussprechen konnten, Rechtstipps bekamen und auch erste Gegenstrategien berieten. Eine wichtige Rolle spielte die von Wanzek mitgegründete Homepage www.nci-net.de. Sie entwickelte sich schnell zum Kristallisationspunkt des Widerstands.

Auch die Repressionen gegen die »Aufmüpfigen« spielen eine zentrale Rolle in Wanzeks Buch. Sie wurden öffentlich gemobbt und verklagt. In dieser Auseinandersetzung entwickelten sich viele zu Hobbyjuristen, die Broschüren und Bücher für ihre Kollegen in anderen Städten schrieben. Tatsächlich stieß der Kampf der Münchner Angestellten auch an anderen Siemens-Standorten auf Interesse.

Die IG Metall, die den Kampf am Anfang unterstützt hatte, zog sich zu diesem Zeitpunkt zurück – die Kollegen führten ihren Kampf weiter. »Ihr werdet den Kampf nicht gewinnen«, verkündete da noch ein Siemens-Manager, der wohl nicht mit der Beharrlichkeit der Ex-Siemensianer gerechnet hatte.

Die Homepage hat mittlerweile mehrere hundert Zugriffe pro Tag. Die Medien suchen dort nach interessanten Themen. Für Wanzek und ihre Kollegen bleibt die Selbstermächtigung der Beschäftigten zentrales Ziel, dem sie mit der Veröffentlichung des Buches näherkommen will. Und der Kampf geht weiter: Ihre Kollegin Christine Rosenboom ist vor Kurzem als Betriebsrätin zurückgetreten, weil die IG Metall von ihr verlangte, sich von der Homepage zu trennen. Sie entschied sich dagegen.

Inken Wanzek: Der Widerspruch des Gerry Gollmann. Books on Demand, 2009, 700 S., 39,90 Euro.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/172136.vom-aufrechten-gang.html

Peter Nowak