Eine Ausstellung in Berlin wirft die Frage auf, ob ein juristisches Verbot von Hygienelisten im Internet nicht auch ein Beitrag zum Kampf gegen eine überwachte Gesellschaft ist
„Außer Kontrolle – Leben in einer überwachten Welt“[1] lautet der Titel einer Ausstellung, die im Museum für Kommunikation in Berlin zu sehen ist. Der Besuch lohnt sich, gerade weil sie sich nicht auf die Themen NSA und Snowden fixiert, die beim Titel der Ausstellung zu erwarten gewesen wären. Die Ausstellung richtet vielmehr den Fokus auf die Aspekte einer überwachten Gesellschaft, die in der aufgeregten Diskussion der letzten Monate oft zu kurz kamen.
Die Ausstellung beginnt mit kleinen Tafeln, auf denen in Bild und Text gezeigt wurde, wie im Mittelalter tatsächliche oder vermeintliche Straftäter, aber auch viele Menschen, die einfach in ihrer Zeit ein unangepasstes Leben führten, angeprangert worden sind. Sie trugen Schilder um den Hals, auf denen ihrer „Verbrechen“ aufgeführt waren, bevor oft auf grausame Weise hingerichtet wurden. Sie wurden gerädert, geköpft oder viergeteilt, oft weil sie beschuldigt wurden, mit dem Teufel im Bunde zu stehen.
Man sieht auf den Bildern unangepasste Frauen, die als Hexen angeprangert worden sind. Wenn man denkt, das sei nur ein kurzer Blick in ein fernes finsteres Zeitalter, wird man schnell eines Schlechteren belehrt. Es werden Fotos von Juden gezeigt, die nach 1933 auf der Straße an den Pranger gestellt, von SA-Männern gewacht und vom deutschen Mob begeifert worden sind. Wenige Jahre später wurden Frauen mit geschorenen Haaren auf den Pranger gestellt, weil sie Beziehungen mit nichtdeutschen Kriegsgefangenen oder Zwangsarbeitern eingegangen haben sollen. Und auch die Ausrede, auch diese finstere Zeit sei ja nun endgültig vorbei, wird der Ausstellungsbesucher nicht geltend machen können.
Eine Festnahme reicht für den Internetpranger
Auf einen kleinen Bildschirm blicken einem etwa die Gesichter von Menschen aller Altersstufen entgegen, die in ganz moderner Form angeprangert wurden. In einigen US-Staaten stellt die Polizei sämtliche Fotos von Menschen ins Netz, die sie festgenommen hat. In Kurzform werden Angaben zur Person und zum Grund der Festnahme genannt. Eine Frau wird beschuldigt, eine minderjährige Person in ihrer Wohnung beherbergt zu haben, ein junger Mann ist mit einer kleinen Menge Marihuana erwischt worden und ein anderer soll die öffentliche Ordnung gestört haben.
Es gab keinen Gerichtstermin und keine Verurteilung. Allein die Tatsache, dass sie von der Polizei dieser Delikte beschuldigt, reicht nach den Gesetzen dieser US-Bundesstaaten aus, um diese Menschen an den virtuellen Pranger zu stellen.
Auf einer anderen Webseite sind die Daten von Menschen aufgelistet, die das Gefängnis verlassen haben. Ihr aktueller Wohnort ist dort ebenso aufgeführt wie die die Delikte, wegen derer sie inhaftiert waren. Gerade für Menschen, die in kleineren Orten wohnen, kann ein solcher Internetpranger gravierende Folgen haben. Obwohl sie ihre Strafe abgesessen haben, werden sie so vor der Bevölkerung weiterhin als Feindbild präsentiert.
Fokus auch auf die Bevölkerung als Mob und Voyeur
Es ist ein Verdienst dieser Ausstellung, dass sie ihren Fokus nicht nur auf die Überwachung durch die Staatsapparate richtet, die schon vor Jahrhunderten begonnen hat, sondern auch thematisiert, wie große Teile der Bevölkerung daran beteiligt waren und sind.
Ohne einen Mob, der sich das Spektakel ansah, hätte schon im Mittelalter der Pranger nicht seine Wirkung entfalten können. Auch später waren die öffentlichen Hinrichtungen eine große Volksbelustigung, worauf Michel Foucault in „Überwachen und Strafen“ ausführlich hingewiesen hat.
Dass sich auch im Internetzeitalter das voyeuristische Interesse großer Teile der Bevölkerung gut aufrufen lässt, wird nicht nur am Beispiel der USA deutlich gemacht. Da werden Ausschnitte von Fernsehsendungen von Bärbel Schäfer[2] gezeigt, in denen das Darstellungsbedürfnis mancher Menschen auf den Voyeurismus der Zuschauer trifft, die jeden Fehltritt für ihren Hohn und Spott der schnell in Verachtung übergehen kann, ausnutzen.
In der Ausstellung wird aber auch gezeigt, wie scheinbar alte regionale Bräuche zur Diskriminierung und Abwertung von Menschen herhalten müssen, die nicht nach der gesellschaftlichen Norm leben. So reicht es in Norddeutschland, wenn eine Frau mit 25 Jahren noch unverheiratet ist, um sie in ihrem Wohnumfeld „alte Schachtel“ zu markieren. In einer anderen norddeutschen Stadt muss ein Junggeselle eine Rathaustreppe säubern, die von einer johlenden Menge immer wieder mit Bechern und andern Müll beworfen wird. Hier zeigt sich, wie sich unter dem Deckmantel alter Bräuche Ressentiments Bahn brechen, die sich gegen Menschen richten,
Anprangern zum guten Zweck?
Kurz wird in der Ausstellung auch auf die verschiedenen Hygienelisten eingegangen, mit denen sich in Berlin und anderen Städten Verbraucher über die hygienischen Verhältnisse in Restaurants und Lebensmittelläden informieren sollen
Da es dafür die gesetzliche Grundlage nicht gibt, wurden sie gerichtlich verboten[3]. Die Entscheidung hat bei großen Teilen der Öffentlichkeit für Unverständnis gesorgt. Der den Grünen angehörende Politiker, der besonders vehement für die Hygieneliste gekämpft hat, wird von der Berliner Boulevardpresse mit dem lobend gemeinten Titel Sheriff[4] adressiert.
Doch die Ausstellung legt die Frage nahe, ob die Entscheidung zum Verbot solcher Listen nicht durchaus mit dazu beiträgt, die überwachte Gesellschaft und deren weitere Sheriffizierzung zurückzudrängen. Schließlich sind auch die Sheriffs in den USA überzeugt, dass sie nur zum Wohle der Gesellschaft handeln.
Die Ausstellung „Außer Kontrolle? Leben in einer überwachten Welt“ ist im Museum für Kommunikation Berlin[5] bis zum 24. August 2014 zu sehen.
Anhang
Links
[1]
[2]
http://www.fernsehserien.de/baerbel-schaefer
[3]
http://www.tagesspiegel.de/berlin/berliner-bezirke-keine-hygienebewertung-gericht-untersagt-smiley-listen-fuer-pankow-und-lichtenberg/9661752.html
[4]
http://www.berliner-kurier.de/kiez-stadt/stadtrat-kirchner-vom-ekelfleisch-sheriff-zum-buergermeister–,7169128,10984508.html
[5]
http://www.mfk-berlin.de/
http://www.heise.de/tp/artikel/42/42012/1.html
Peter Nowak
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