Die Gewalttaten der Nationalsozialisten geraten allseits aus dem Blick

Kein Vergessen?

Doch der 80. Jahrestag des Rigaer Blutsonntags 2021 ging auch weitgehend unbemerkt an der linken und antifaschistischen Bewegung in Deutschland vorbei. Nur im Berliner Stadtteil Friedrichshain, wo eine Straße nach der lettischen Hauptstadt benannt ist, organisierte eine kleine Initiative eine Veranstaltung am 30. November zum Gedenken an die Verbrechen in Riga.

Am 30. November und 8. Dezember des Jahres 1941 ermordeten Angehörige der deutschen Wehrmacht und SS und ihre Verbündeten in der Umgebung der lettischen Hauptstadt Riga 27 000 Jüdinnen und Juden. Es ist nur eines von vielen Verbrechen, das ganz normale Vollstrecker in der Zeit des Nationalsozialismus an der jüdischen Bevölkerung verübten. Doch der Rigaer Blutsonntag, wie das Massaker ….

…. von Opferverbänden genannt wird, ist hierzulande kaum bekannt – daran hat sich auch zu dessen 80. Jahrestag wenig geändert.
Dabei war die lettische Hauptstadt Riga Ende November auch in den deutschen Medien ein Thema. Hier ging es allerdings um das Treffen der Nato-Außenminister, die sich bei diesem Anlass klar gegen Russland positionierten. Der deutsche Ex-Außenminister Heiko Maas (CDU) gehörte zu den Lautesten im Chor derer, die Russland in seine Schranken verweisen wollen. Angesichts dessen blieb selbst dem »Erinnerungsweltmeister« Deutschland keine Zeit, an das Massaker an der jüdischen Bevölkerung vor 80 Jahren in Riga zu erinnern.
Auch die gegenwärtige Elite des baltischen Staates hat daran wenig Interesse – schließlich wurden dort noch in den letzten Jahren die SS-Verbände und ihre örtlichen Unterstützer öffentlich geehrt. An diesen Veranstaltungen nahmen neben bekannten Neonazis auch Vertreter*innen von rechten lettischen Regierungsparteien teil. Eine Gruppe von Antifaschist*innen aus Berlin hingegen, die die kleine Gruppe der lettischen Nazigegner*innen bei ihrem Protest gegen die Ehrung der Judenmörder unterstützen wollten, wurde 2016 am Flughafen von Riga aufgehalten und nach Deutschland abgeschoben. Die Bundesregierung hat dazu ebenso geschwiegen wie zu den rechten Gedenkaufmärschen.
Hier wird deutlich, was gemeint ist, wenn deutsche Politiker*innen an bestimmten Gedenktagen betonen, man habe »aus der Geschichte gelernt«: Gelernt hat Deutschland nämlich vor allem, wie man trotz mörderischer Geschichte wieder ein maßgeblicher Faktor in der europäischen Politik werden kann. Besonders gerne halten deutsche Politiker*innen den ehemaligen Alliierten vor – die Deutschland einst besiegt hatten – bei ihnen liege in puncto Menschenrechte vieles im Argen. Und mit Russland und Israel geraten ausgerechnet jene beiden Staaten besonders häufig in die Kritik, bei denen es angesichts der historischen Fakten geboten wäre, dass Deutsche einfach mal den Mund halten. Darüber waren sich in den 90er Jahren zumindest noch antifaschistische Gruppen einig: Unter dem Motto »Deutschland, halt’s Maul« protestierten sie dagegen, dass Deutschland wieder ein weltpolitischer Faktor werde. Allerdings agierten sie schon zu dieser Zeit aus einer Position der absoluten Minderheit heraus. Die Linken waren es auch, die damals an die vergessenen Opfer der deutschen Verbrechen erinnerten.
Doch der 80. Jahrestag des Rigaer Blutsonntags 2021 ging auch weitgehend unbemerkt an der linken und antifaschistischen Bewegung in Deutschland vorbei. Nur im Berliner Stadtteil Friedrichshain, wo eine Straße nach der lettischen Hauptstadt benannt ist, organisierte eine kleine Initiative eine Veranstaltung am 30. November zum Gedenken an die Verbrechen in Riga. Dort wurde auch ein Text von Margers Vestermanis verlesen – ein Überlebender des Rigaer Blutsonntags und heute einer der wichtigsten Historiker des Holocausts im Baltikum. Auch mit 97 Jahren widmet er sich noch der Erinnerungs- und Gedenkarbeit. Aber Vestermanis etwa zur Ehrung dafür in den Bundestag einzuladen, auf die Idee kam keine deutsche Partei – auch nicht Die Linke.Peter Nowak

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