Verweigerte Transplantation weckt Protest bei Migrantenorganisation
Einer türkischstämmigen Patientin wurde in Hannover eine Lungentransplantation verweigert. War der Grund Rassismus in der Klinik, wie eine Migrantenorganisation vermutet?
Die 49-jährige Selvi B. leidet seit Jahren unter einer schweren Lungenerkrankung und ist deshalb in medizinischer Behandlung. Auch mehrere Klinikaufenthalte hat sie schon hinter sich. Im Oktober 2011 wurde sie auf die Warteliste für eine Lungentransplantation an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) aufgenommen. Doch die Ärzte haben der in der Türkei geborenen und seit 1980 in Deutschland lebenden Frau zunächst die Verbesserung ihrer Deutschkenntnisse empfohlen, bevor eine Transplantation in Betracht kommt. Baki Selcuk von der Föderation der Arbeitsimmigranten in Deutschland (Agif) reagiete empört und warnt vor Rassismus in den Kliniken. „Spricht nicht ausreichend deutsch, muss sterben“, ist die Agif-Pressemitteilung zu dem Fall überschrieben.
Berufung auf Vorgaben des Gesetzes
Professor Tobias Welte vom Institut für Pneumologie an der MHH weist gegenüber nd die den Vorwurf des Rassismus entschieden zurück „In unserer Klinik sind in den vergangenen Jahren auch Patienten mit Migrationshintergrund erfolgreich Organe transplantiert worden“, betont er. Ausreichende Deutschkenntnisse seien aber eine Voraussetzung dafür, betont der Mediziner.
Die gehören zu den Vorgaben des Transplantationsgesetzes, an die sich die Klinik halten müsse Es schreibt für die kostenaufwendige Organtransplantation strenge Voraussetzungen vor. Da die Nachfrage nach Spenderorganen wesentlich größer ist als die zur verfügend stehenden Organe, werden lange Wartelisten geführt. Die Patienten werden genau untersucht, bevor sie in dort geführt werden. Dabei darf nicht nach finanziellen und sozialen Kriterien sondern allein nach Dringlichkeit und Erfolgsaussicht der Operation entschieden werden. Dazu gehört auch eine aktive Mitwirkungspflicht der Patienten für die Wiederherstellung ihrer Gesundheit, betont Welte. „Einem Raucher wird zur Auflage gemacht, seinen Zigarettenkonsum einzustellen. Ist er dazu nicht bereit wird eine Lungentransplantation abgelehnt“, nennt Welte das Beispiel. Der Zusammenhang zwischen dem Zigarettenkonsum und der Entwicklung einer transplantierten Lunge ist auch dem medizinischen Laien einsichtig. Warum aber auch ausreichende deutsche Sprachkenntnisse zu den Voraussetzungen einer Lungentransplantation gehören sollen, erschließt sich nicht ohne Weiteres.
Eine schier ausweglose Situation
Der Mediziner führt mögliche gesundheitliche Komplikationen an, die nach der Transplantation entstehen können. Häufig würden dann die exakten Anweisungen für die Medikamenteneinnahme telefonisch erfolgen. Da Patienten nach einer Transplantation bis zu dreißig unterschiedliche Medikamente einnehmen müssten und eine fehlerhafte Dosierung erhebliche gesundheitliche Auswirkungen haben kann, müsse vor der Transplantation gewährleistet sein, dass die Patienten diese Anweisungen auch sprachlich verstehen.
Noch hat Frau B. die Möglichkeit, auf die Warteliste für die Lungentransplantation zu kommen, betont Welte. Die Anwärter werden in regelmäßigen Abständen untersucht. Dann wird auch getestet, ob sich die Voraussetzungen gebessert haben. Für Frau B. stünden dann auch ihre deutschen Sprachkenntnisse erneut auf dem Prüfstand. Für die Patientin eine schier ausweglose Situation. In ihrer Lage Deutsch zu lernen, würde eine aussergewöhnliche Willensleistung voraussetzen.
Eine Bewerbung bei einer anderen Klinik hingegen dürfte für die Patientin keine Lösung sein. Sie sind an ebenso an die Vorgaben des Transplantationsgesetzes gebunden. Die Hinzuziehung von Dolmetschern für Patienten mit schlechten Deutschkenntnissen ist hierin nicht vorgesehen.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/806734.neue-lunge-nur-mit-deutschkenntnissen.html
Peter Nowak